Weiterentwicklung der Psychotherapeutenausbildung – Qualitative und quantitative Absicherung der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen!
Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, als Forum und Netzwerk bundeszentraler Zusammenschlüsse, Organisationen und Institutionen der freien und öffentlichen Jugendhilfe in Deutschland, hat sich intensiv mit der Weiterentwicklung der Psychotherapeutenausbildung befasst.
Die AGJ macht darauf aufmerksam, dass die angestrebten Neuregelungen der Psychotherapeutenausbildung im Sinne der umfassenden Reformvorschläge seitens der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) zu einer quantitativen und qualitativen Verschlechterung der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen führen und damit auch Auswirkungen auf die Kinder- und Jugendhilfe haben werden.
Situation
Es gibt relativ weitfortgeschrittene Bestrebungen, die Psychotherapieausbildung zu reformieren, mit dem Ziel den Berufszugang zu vereinheitlichen. Bisher existieren in der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten (PP; arbeitet mit Erwachsenen) und zum Kinder- und Jugendpsychotherapeuten (KJP) unterschiedliche Ausbildungswege, die sich aus den unterschiedlichen Kompetenzanforderungen an PP und KJP begründen. Für die Ausbildung zum PP wird eine bestandene universitäre (Master-)Abschlussprüfung im Studiengang Psychologie (bei einer Mindeststudiendauer von insgesamt 9-Semestern) vorausgesetzt. Für die Ausbildung zum KJP wird daneben auch eine bestandene Abschlussprüfung in den Studiengängen Pädagogik oder Sozialpädagogik sowie in 10 von 16 Bundesländern ein Abschluss in Heilpädagogik anerkannt. Somit reicht formal gesehen bisher ein BA-Abschluss in Sozialer Arbeit oder Pädagogik / Heilpädagogik für die Aufnahme einer KJP-Ausbildung aus. Auch wenn es ein Konsenspapier der Bundesarbeitsgemeinschaft der Verbände staatlich anerkannter Ausbildungsinstitute für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendpsychotherapeuten gibt, in dem auf einen Masterabschluss als Eingangsvoraussetzung bestanden wird.
Die vorliegenden Reformvorschläge, die von der BPtK als Gesetzesentwurf dem Bundesgesundheitsministerium für Gesundheit im Dezember 2010 übermittelt wurden und von der DGPs unterstützt werden, zielen im Wesentlichen auf folgende Veränderungen:
- keine Unterscheidung mehr zwischen PP- und KJP-Ausbildung, eine Differenzierung soll zukünftig über Weiterqualifizierungen erfolgen (Ein-Beruf-Modell),
- eine genaue Definition der Eingangsvorrausetzungen, angepasst an die Veränderungen durch BA- und MA-Studiengänge mit der Folge, dass de facto nur noch Psychologie-Masterstudiengänge zur Psychotherapieausbildung qualifizieren.
Mit Blick auf die nachhaltige Sicherung des Qualifikationsniveaus in den psychotherapeutischen Ausbildungen, insbesondere in der Ausbildung zum KJP, unterstützt die AGJ Überlegungen, diese bisher freiwillige Festlegung auf einen Masterabschluss als Zugangsvoraussetzung auch formal-rechtlich abzusichern.
Anders sieht es jedoch mit der Veränderung der Ausbildungsstruktur aus. Die AGJ sieht in den angestrebten Veränderungen, insbesondere in dem Ausschluss von Nicht-Psychologinnen und Nicht-Psychologen und dem „Ein-Beruf-Modell“, erhebliche Risiken für die Qualität und Quantität der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen.
Sicherung der Qualität der psychotherapeutischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen
Es ist anzunehmen, dass die angestrebten Neuregelungen der Psychotherapieausbildung dazu führen werden, dass der Anteil derer, die ihre Ausbildung zum KJP auf ein Studium der Sozialen Arbeit begründen, deutlich abnehmen wird, da für sie keine postgraduale Ausbildung mehr möglich sein wird, sondern ein erneutes grundständiges Studium gefordert ist. In Kombination mit den von der BPtK vorgeschlagenen Inhalten der zulassungsbefähigenden Studiengänge werden damit fundierte Kenntnisse zu (sozial-)pädagogischen Wissensbeständen und Handlungsstrategien eher unwahrscheinlich. Die Überlegungen zu der neuen grundständigen Ausbildung lässt eine deutliche Absenkung des sozialpädagogischen Anteils erwarten, sodass notwendige Kompetenzorientierungen zukünftig fehlen werden, die u. a. zur Analyse und Einordnung multipler Problemlagen, aber auch zur Vernetzung mit in den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen beteiligten (Regel- und unterstützenden) Institutionen befähigen. Die Zunahme von „verinselten“ Hilfen / Therapien ist zu befürchten. Da aber viele behandlungsbedürftige psychische Beeinträchtigungen, insbesondere auch bei Kindern und Jugendlichen, sich auf eine Kombination von bio-psycho-sozialen Faktoren zurückführen lassen und folglich auch Behandlungsstrategien bei diesen drei Ebenen ansetzten müssen, ist die in dem Reformvorschlag zum Ausdruck kommende disziplinäre Verengung aus Sicht der Kinder und Jugendlichen als ein Rückschritt zu werten. Eine solche Engführung kinder- und jugendpsychotherapeutischer Konzepte führt unweigerlich zu einem erhöhten Bedarf an Jugendhilfeleistungen und erhöht damit auch den Abstimmungsbedarf zwischen den beiden Systemen (Therapie und Kinder- und Jugendhilfe).
Keine zunehmende Pathologisierung von Kindern und Jugendlichen
Neben diesen grundlegenden disziplinären Verschiebungen rechnen die Ausbildungsverbände (z. B. für die Deutsche Gesellschaft für Verhaltenstherapie - dgvt) damit, dass sich die praktischen Erfahrungen der zukünftigen KJP sehr viel mehr als bisher auf psychiatrische Kliniken beziehen werden, zumal bereits das erste Praktikum in einer psychiatrischen Klinik absolviert werden muss. Als Folge dieser stärkeren klinischen Berufssozialisation befürchtet die AGJ eine weitere Pathologisierung von schwierigen Lebenslagen, die sich beispielsweise in einer verstärkten Medikalisierung sowie zunehmenden Aufnahme von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen niederschlagen könnte. Dies entspricht weder den fachlichen Vorstellungen der Kinder- und Jugendhilfe noch denen der KJP.
Gefahr eines quantitativen Versorgungsengpasses
Auf einer anderen Ebene, aber keineswegs weniger gravierender für die Versorgung von psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen sowie ihren Eltern, ist – auf der Grundlage bisheriger Erfahrungen – zu erwarten, dass sich deutlich weniger Absolventinnen und Absolventen eines grundständigen Studiums für die Spezialisierung des KJP entscheiden. Dies wird nach Ansicht der AGJ zur Folge haben, dass es zu einem deutlichen quantitativen Versorgungsengpass für diese Kinder und Jugendlichen kommen wird. Bereits heute sind von den in Deutschland insgesamt 19.991 (im Jahr 2013) tätigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten lediglich 4.322 KJP, wovon ca. die Hälfte eine Doppelapprobation haben (also PP und KJP sind). Somit münden lediglich ca. 20 Prozent der ausgebildeten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in dem Bereich der KJP, von denen wiederum ein hoher Anteil Soziale Arbeit studiert hat. Von den Doppelapprobierten arbeiten lediglich ca. 13 Prozent regelmäßig mit Kindern und Jugendlichen. Hierfür gibt es mehrere Gründe (z. B. ein höherer Aufwand bei Therapien mit Kindern, das Bereithalten von zusätzlichen Tests und Diagnoseinstrumenten, ein höherer Anteil nicht originär klinischer Arbeiten, wie die Mitwirkung an Hilfeplänen etc.). Dabei ist bereits jetzt offensichtlich, dass die angestrebte Ausbildungsreform eine Spezialisierung für den Bereich der KJP noch unattraktiver erscheinen lässt, als dies bisher bereits der Fall war. Denn die größte Gruppe derer, die sich bisher für diesen Bereich interessiert hat, wird zukünftig von der Ausbildung ausgeschlossen sein. Damit wird sich das bereits jetzt bestehende unausgewogene Verhältnis von Angebot und Nachfrage weiterhin zu Ungunsten der betroffenen Kinder und Jugendlichen verändern. Da die psychischen Probleme aber in der Regel bei Nicht-Bearbeitung weiter bestehen bleiben (und damit auch die Belastung für die Familien), ist ein weiterer Anstieg von Jugendhilfeleistungen – quasi als Ersatzleistung – zu vermuten.
Die AGJ möchte an dieser Stelle in erster Linie auf die mit diesen Entwicklungen einhergehenden und zu erwartenden Probleme für die Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe bzgl. eines sich abzeichnenden – sowohl adäquat fachlichen als auch quantitativen – Versorgungsengpasses aufmerksam machen.
Aus diesem Grund hat die AGJ an verschiedene relevante Akteure einen entsprechenden Brief verfasst, verbunden mit der nachdrücklichen Bitte, dass sowohl die zuständigen Ministerien auf Bundes- und Landesebene als auch die relevanten Fachgesellschaften die zu erwartenden Entwicklungen im Rahmen der weiteren Reformberatungen berücksichtigen.