Dokumentation zur Transfertagung „Schutzkonzepte: Inklusiv - Digital - In öffentlicher Verantwortung“

Dokumentation „Schutzkonzepte: Inklusiv – Digital – In öffentlicher Verantwortung“

Transfertagung der Verbundprojekte SCHUTZINKLUSIV FokusJA SOSdigital
in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
am 12./13. Juni 2024 in Münster

 

Programm

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ fungiert als zentrales Forum und Netzwerk der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Regelmäßig organisiert sie Fachveranstaltungen, um Akteur*innen aus der Praxis eine Plattform zum Austausch über aktuelle fachliche Themen zu bieten. In diesem Rahmen erfolgte die Transfertagung „Schutzkonzepte: Inklusiv – Digital – In öffentlicher Verantwortung“ statt, die durch eine Kooperation Verbundprojekten SCHUTZINKLUSIVFokusJA und SOSdigital möglich wurde.

Diese Tagung widmete sich der Vorstellung zentraler Ergebnisse aus den genannten Projekten und beleuchtete dabei die Grundlagen und Herausforderungen der Entwicklung von Schutzkonzepten in der Kinder- und Jugendhilfe. Ein besonderer Fokus lag auf der Qualifizierung und Institutionalisierung von inklusiven und digitalen Schutzkonzepten sowohl bei öffentlichen als auch bei freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe.

Die Veranstaltung richtete sich an alle Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe und bot Raum für Diskussionen und den Austausch von Perspektiven mit Praxispartnern zur zukünftigen Entwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten in der Kinder- und Jugendhilfe.

Unser besonderer Dank gilt allen Referierenden aus den Verbundprojekten und den Podiumsgästen, die mit ihren Beiträgen und ihrer Expertise die Veranstaltung bereichert haben: Ihre wertvollen Inputs und Präsentationen waren inspirierend und haben wichtige Diskussionen angeregt! Ebenso möchten wir den Protokollführer*innen unseren Dank aussprechen, deren Werk sichert, dass alle wesentlichen Diskussionsergebnisse hier zur Verfügung gestellt werden können.* Ermöglicht wurde die Tagung ganz wesentlich durch die Kolleg*innen der Universität Münster, die als ausgezeichnete Gastgeber*innen den Raum und Atmosphäre bereitet haben.

Gemeinsam mit den Verbundprojekten bedanken wir uns auch ausdrücklich bei etwa 75 Teilnehmer*innen, die mit ihrer Mitwirkung und Diskussionsfreudigkeit maßgeblich mit zum Erfolg der Veranstaltung beigetragen haben. 

Wir würden uns freuen, Sie ggf. auf zukünftigen (Kooperations-)Veranstaltungen der AGJ begrüßen zu dürfen! 

* Bitte beachten Sie, dass die Textform der Protokolle, aufgrund der verschiedenen Protokollführer*innen, unterschiedlich ausfällt.

 

Erster Veranstaltungstag, 12. Juni 2024

Grußwort 

Kerstin Claus, Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs 

Video

Vortrag: Was Schutzkonzepte voraussetzen … 

Prof. Dr. Karin Böllert und Dr. Bernd Christmann, Universität Münster/ Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Universität Hildesheim  

PPt.-Präsentation

Podcast

Diskussion zum Einführungsvortrag „Was Schutzkonzepte voraussetzen…“ 

Prof. Dr. Karin Böllert und Dr. Bernd Christmann, Universität Münster/ Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Universität Hildesheim

Moderation: Angela Smessaert, Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ 

Die Tagung hatte den Anspruch, den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu fördern. In diesem Kontext wurde die Frage aufgeworfen, ob es spezifische Themen gibt, die den Projekten besonders häufig begegnet sind als auch Themen, bei denen die Projekte im positiven Sinne „irritiert“ wurden.

Zur Diskussion:

Prof. Dr. Wolfgang Schröer (für FokusJA):
Herr Prof. Dr. Schröer nahm selbstkritisch Bezug auf die Rolle der Wissenschaft in Zusammenhang mit der Legitimierung sexueller Gewalt und betonte, dass die Wissenschaft erst „aktiviert“ werden musste, um sich den dringend zu bearbeitenden Themen zu widmen. Er stellte fest, dass die Wissenschaft oft auf Erkenntnisse zurückgreift, die in der Praxis entwickelt wurden und dass diese einen immensen Anregungsgehalt für die Wissenschaft besitzen. Insgesamt stehe die Wissenschaft noch am Anfang, was diese Themen betrifft. Weiter betonte er, dass der Transfer als Transferraum verstanden werden sollte, der es ermöglicht, Perspektiven zu vermitteln und in gegenseitigen Austausch zu bringen. Wissenschaft kann eine positive Rolle spielen, indem sie einen reflexiven Raum hinzufügt, um aktuelle Praxis, Anforderungen und Herausforderungen zu hinterfragen und abzugleichen.

Prof. Dr. Karin Böllert (für SCHUTZINKLUSIV):
Frau Prof. Dr. Böllert hob die inspirierenden Gespräche im Projekt mit Praxispartnern hervor, die intensiv, fruchtbar und auf Augenhöhe stattfanden. Sie merkte selbstkritisch an, dass der Einbezug der Praxis von Beginn an stärker hätte erfolgen sollen, was jedoch im Verlauf des Projekts intensiviert wurde. Sie betonte, dass es notwendig sei, die Praxis bei der Auswahl der Forschungsfrage und im Prozess der Antragsstellung vollumfänglich einzubeziehen. Eine Problemanalyse aus der Perspektive von Praxis und Wissenschaft sollte vor Beginn eines Projekts durchgeführt werden. Zudem wies sie darauf hin, dass die Unterscheidung von Praxis auf Struktur- und Handlungsebene künftig um die Praxis der Adressat*innen ergänzt werden müsste. Im Projekt „Schutzinklusiv“ wurde der Anspruch, junge Menschen zu beteiligen, nur bedingt erfüllt. Insgesamt konnten durch vielfältige Austauschformate zwischen den Praxispartnern und der Wissenschaft sehr wichtige Projektergebnisse erzielt werden, was zeigt, dass die Forschung der Praxis viel zu verdanken hat.

Dr. Bernd Christmann (für SOSdigital):
Herr Dr. Christmann berichtete von vielen inspirierenden „Aha-Erlebnissen“, die nur durch den engen Austausch mit Praxispartnern zustande gekommen sind. Er nannte wichtige Impulse zu aktuellen technischen Entwicklungen und deren sozialen Folgen, insbesondere im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz und der Erstellung von „Deep Fakes“. Er hob die Ungleichzeitigkeit zwischen dem Tempo technischer Entwicklungen, den daraus resultierenden sozialen Folgen und der wissenschaftlichen Antragslogik hervor. Dies führte dazu, dass das Thema Künstliche Intelligenz (KI) bei der Antragsstellung noch nicht berücksichtigt wurde, im Projektverlauf jedoch schnell neu hinterfragt werden musste.

Fragen aus dem Publikum:

Eine erste Frage bezog sich auf die Verfügbarkeit der Ergebnisse des Projekts „SOSdigital“. Herr Dr. Christmann verwies auf ein Online-Portal, das aktuell entsteht und auf dem die Ergebnisse sukzessive zugänglich gemacht werden.

Eine weitere Frage zielte auf die genaue Bedeutung des Gedankens „Schutzkonzept im Jugendamt“ ab. Herr Prof. Dr. Schröer präzisierte, dass Schutzkonzepte sowohl den Ort und das Gebäude eines Jugendamts umfassen als auch die vielfältigen und sehr heterogenen Aufgaben dieser Institution. Als Beispiele hierfür nannte er Hilfeplangespräche, Hilfemaßnahmen und die Praxis des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD), die im Kontext von Schutzkonzepten und der Umsetzung der UN-Kinderrechte reflektiert werden müssen. Aufgrund der Komplexität der Institution Jugendamt stellt dies jedoch eine erhebliche Herausforderung dar.

Dokumentation der Foren: Forschung mit Praxis im Gespräch 

Forum 1: 
SchutzINKLUSIV im Gespräch mit stationären Erziehungshilfen und Eingliederungshilfen: Risiko- und Potentialanalyse 

Vortrag: Prof. Dr. Jana Demski und Maik Sawatzki, Universität Münster

Moderation: Prof. Dr. Karin Böllert, Universität Münster

Nachgefragt und diskutiert wurden einerseits Fragen zur Forschungsmethodik, z. B. ob und inwiefern Einwilligungserklärungen der Personensorgeberechtigten eingeholt wurden, damit die jungen Menschen an den ethnografischen Beobachtungen in ihrer Wohngruppe teilnehmen konnten. Im Rahmen dessen wurde auch nachdrücklich betont, dass insgesamt eine hohe Offenheit der jungen Menschen besteht, sich an Forschung zu beteiligen. Es sollte noch viel mehr über partizipative Einbindung der jungen Menschen selbst (z. B. zur Generierung relevanter Fragestellungen, aber auch Reflexion etwaiger Ergebnisse) nachgedacht werden.

Darüber hinaus wurden in der Diskussion auf der inhaltlichen Ebene zum einen allgemeine Themen im Kontext von Schutzkonzepten, näher in Bezug auf Risiko- und Potential-Analysen, bewegt. So wurde vor dem Hintergrund exemplarisch vorgestellter Aussagen aus den Erhebungen noch einmal deutlich, dass Situationen selten pauschalierend beurteilt werden können, sondern vielmehr die sich damit ergebenden Potenziale als auch Risiken einer differenzierten Betrachtung und Abwägung bedürfen (z. B. ein auf dem Einrichtungsgelände geschaffener Skater-Park öffnet die Einrichtung in den Sozialraum hinein, kann jedoch auch das Sicherheitsgefühl der jungen Menschen beeinträchtigen). Wichtig sei dabei zudem der Anspruch, dass derart differenzierte Überlegungen auch im Rahmen der Prüfung der Schutzkonzepte seitens der Betriebserlaubnisbehörden eine wichtige Rolle spielten. Unter Risiko-Gesichtspunkten wurde des Weiteren darauf aufmerksam gemacht, dass grundsätzlich auch das von Fachkräften verwendete „wording“ in Bezug auf junge Menschen ein Risiko-Punkt darstellen kann. 

Nicht nur, aber vor allem auch mit besonderem Blick auf die inklusiven Aspekte und Weiterentwicklungsbedarfe wurden zum anderen vor allem folgende Gesichtspunkte diskutiert:

  • Die Mitarbeitenden bringen stets auch ihre eigenen Werte-Prägungen mit in ihr pädagogisches Handeln. Vor dem Hintergrund eines nach wie vor recht stark vorhandenen gesellschaftlichen Exklusionsdenkens gegenüber (jungen) Menschen mit Behinderungen, erscheint es daher grundsätzlich erklärbar, dass sich dies zum Teil auch in der Fachkräfte-Haltung zeigt, wie z. B. in pauschaler Abwertung von Fähigkeiten („die kann das ja eh nicht“).
  • In Bezug auf die in diesem Kontext nochmal besonders wichtige Weiterentwicklung eines einrichtungsbezogenen, inklusiven Leitbilds wurde darauf hingewiesen, dass eine echte Lebendigkeit eines solchen Leitbilds sowohl ausreichend Zeit (z. B. in der Einarbeitung neuer Mitarbeitender) als auch verständlicher Übersetzung für die konkrete pädagogische Arbeit bedarf.
  • Die Fachkräfte sind sich häufig der bereits jetzt schon vorhandenen Heterogenität in den Wohngruppen nicht so recht bewusst. Eine inklusiv gelebte Pädagogik erfordert aufgrund der heterogeneren Bedarfslagen jedoch eine individualisiertere Pädagogik, deren Umstellung den Fachkräften auch vor dem Hintergrund des lange gelebten Anspruchs „die Regeln müssen für alle gleich sein“ schwer fällt. 
  • Festzustellen ist, dass die Fachkräfte gegenüber einer inklusiven Weiterentwicklung der Wohngruppen durchaus positiv aufgeschlossen gegenüber stehen. Sie schätzen sich jedoch häufig im Umgang mit jungen Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend kompetent ein, sodass sie sich schwer tun, die Verantwortung – gerade auch in Bezug auf die Sicherstellung eines ausreichenden Schutzes – zu übernehmen und z.T. Abwehrhaltungen aufbauen.

Forum 2: 
FokusJA im Gespräch mit Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe: Qualitätsstandards 

Vortrag: Sehresh Tariq, Universität Hildesheim

Moderation: Dr. Tanja Rusack, Universität Hildesheim

Wesentliche Inhalte des Vortrages:

  • Forschungsbedarf und Ziele:

Es besteht ein großes Forschungsdesiderat hinsichtlich der Untersuchung des Jugendamts als relevanter Akteur in der Kinder- und Jugendhilfe. Bisher liegt der Fokus nur sehr vereinzelt auf dem Jugendamt.

Ziele des Gesamtverbundes umfassen den Erkenntnisgewinn zur Kooperation, die Verbesserung der Hilfeplanung, die Entwicklung von Qualitätsstandards für Schutzkonzepte im Jugendamt, die Schließung von Forschungslücken und die Erfüllung von Praxisbedarfen.

  • Vorstellung einiger Ergebnisse der Online-Erhebung:

Das Datenhandbuch zur ersten bundesweiten Onlinebefragung zur Erfassung kinder- und jugendrechterelevanter Verfahren in Jugendämtern und Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft enthält eine umfassende Darstellung wichtiger Informationen und Daten zu Schutzkonzepten im Jugendamt sowie in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe in öffentlicher Trägerschaft, die durch eine Onlinebefragung im Herbst 2022 erhoben wurden.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass die Hälfte der Befragten angibt, ein Schutzkonzept zu haben. Das Verständnis des Schutzkonzeptes bezieht sich jedoch hauptsächlich auf § 8a SGB VIII-Verfahren und nicht auf institutionelle Schutzkonzepte.

  • Institutionelle Schutzkonzepte als partizipative Organisationsentwicklungsprozesse:

Materialien (Fallbeispiele) sollen Reflexionsräume öffnen und dazu beitragen, die eigene Organisation und ihre Machtkonstellationen zu hinterfragen und zu reflektieren.

  • Schrittweise Entwicklung eines institutionellen Schutzkonzeptes beinhaltet: 
    • Prozessplanung,
    • Risiko- und Ressourcenanalyse,
    • Bausteine: Prävention, Interventionsplan und Fallanalyse, Aufarbeitungskonzept.
  • Zentrale Gestaltungsprinzipien eines institutionellen Schutzkonzeptes sind:
    • Sensibilisierung,
    • Beteiligung von Kindern und Jugendlichen,
    • Beschwerdeverfahren,
    • Stärkung der Kinder- und Jugendrechte,
    • Reflexion von Machtverhältnissen,
    • Betroffenenkonzept.

Wesentliche Inhalte der Diskussion und offene Fragestellungen:

  • Schutzkonzeptbegriff:

Unterschiedliche Konnotationen in der Fachpraxis führen zu Verwirrungen und Begriffsunschärfen. Eine Klärung ist notwendig und sinnvoll, um über dieselben Sachverhalte sprechen zu können.

  • Machtkonstellationen im Jugendamt:

1:1-Konstellationen nehmen aufgrund des Fachkräftemangels zu. Eine professionelle Haltung ist Voraussetzung, um Entscheidungen über Schicksale zu treffen und die Sprache über Adressat*innen zu reflektieren.

Stereotype und Vorurteile der Fachkräfte sowie die hohe Schwelligkeit der Behörde und ihrer Sprache als Machtkonstellation erschweren Beschwerdemöglichkeiten unter Kolleg*innen.

  • Motivierung der Jugendämter:

Fachkräfte des ASD profitieren von einem Schutzkonzept, in dem alle geschützt sind. 

Es ist wichtig, das Jugendamt in allen Facetten mitzudenken (das Jugendamt ist nicht nur    Hilfeplanung).

  • Reflexion von Hierarchien und Abhängigkeiten:

Freie Träger und ihre Abhängigkeiten sowie Hierarchien müssen reflektiert werden. Auch hier kommen Beschwerden an. Die Beteiligung von Trägern der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe sowie jungen Menschen sollte als Chance gesehen und vermittelt werden.

  • Ressourcenfokus:

Es ist notwendig, auch den Blick auf bereits vorhandene Ressourcen zu richten.

  • Offene Fragestellungen:
    • Wie können 1:1-Situationen mit Adressat*innen und Fachkräften gerahmt werden?
    • Welche Fachkräfte gelangen in 1:1-Situationen mit Adressat*innen und wie kann hier der Schutz aller Beteiligten gewährleistet werden?
    • Für wen sollten die Beschwerdemöglichkeiten erweitert werden?
    • Wie können möglichst alle Bereiche des Jugendamtes abgebildet werden?
    • Wie können Fachkräfte motiviert werden, an der Planung und Umsetzung eines institutionellen Schutzkonzeptes mitzuwirken?

Forum 3:
SOSdigital im Gespräch mit Trägern der Sexualpädagogik, Medienpädagogik und Prävention sexualisierter Gewalt: Digitale Kontexte

Vortrag: Hannah Esser, M.A. und Dr. Bernd Christmann, Universitat Munster; Sabine Diener-Kropp, Gesellschaft für Medienpadagogik und Kommunikationskultur/MeKoSax

Moderation: Dr. Bernd Christmann, Universität Münster

PPt.-Präsentation 

Zum Vortrag:

  • Digitale Medien stellen für Kinder und Jugendliche zentrale Erfahrungsräume dar, die Chancen wie Risiken bergen. 
  • Mit Blick auf die Entwicklung von Schutzkonzepten gibt auch die Broschüre der UBSKM „Schutzkonzepte für den digitalen Raum – Bestandteile eines Konzepts zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt“ Empfehlungen, digitale Aspekte in Schutzkonzepten aufzugreifen. Betont wird auch die notwendige Verknüpfung von Prävention sexualisierter Gewalt, Sexualpädagogik und Medienpädagogik (siehe: https://beauftragte-missbrauch.de/themen/schutz-und-praevention/schutz-im-digitalen-raum).
  • In dem Projekt SOSdigital wird u. a. vor diesem Hintergrund der pädagogische Umgang mit mediatisierter sexualisierter Gewalt und mediatisierter Sexualität untersucht. Hier wird insbesondere auch nach Veränderungen im Zuge der Covid-19-Pandemie gefragt. Das Projekt SOSdigital hat in einer quantitativen Online-Befragung Fachkräfte der Sexualpädagogik, Medienpädagogik und Prävention sexualisierter Gewalt (n=181) befragt. Im Vordergrund stehen die Fragen, wie die Fachkräfte das Mediennutzungsverhalten von jungen Menschen und die Veränderungen der pädagogischen Praxis durch die Covid-19-Pandemie einschätzen und wie ihre Einstellung zu digitalen Medien ist.
  • Die Referentin Hannah Esser stellte Ergebnisse der quantitativen Befragung vor. Die Ergebnisse wurden von Sabine Diener-Kropp kommentiert und mit Eindrücken aus ihrer Praxis an der Schnittstelle zwischen Medien- und Sexualpädagogik begleitet. 
  • Mit Blick auf die Zielgruppen geben die Befragten an, diese durch die Pandemie teilweise weniger erreicht zu haben. Zugleich wird auch angegeben, teilweise durch neue digitale Methoden auch neue Zielgruppen erreicht zu haben. Inhaltlich verzeichnen vor allem die Sexualpädagog:innen einen erhöhten Bedarf an Schutzkonzepten in digitalen Räumen und Präventionsfachkräfte mehr Beratungsbedarf.
  • Sabine Diener-Kropp kommentierte, dass sie in ihrer eigenen Praxis beobachtet, dass Kinder als Zielgruppe schlecht(er) erreicht werden können, weil pädagogische Fachkräfte und erwachsene Bezugspersonen durch die noch nicht vorhandene digitale Mediennutzung bei Kindern keinen Bedarf an digitaler Medienbildung und Prävention sehen. Jugendliche werden dagegen primär über Eltern und Schule, die eine Art Gatekeeping-Funktion einnehmen, erreicht und seltener durch die eigene Initiative der Jugendlichen. Dass sich Jugendliche mehr Aufklärung und insbesondere eine Sensibilisierung von Lehrkräften wünschen, erfährt Sabine Diener-Kropp auch in ihren Angeboten. Fachkräfte in Schulen sehen sich dagegen nicht in der Verantwortung, externalisieren die Präventionsarbeit und verweisen auf Eltern als erzieherische Instanz.
  • Sabine Diener-Kropp hielt zudem fest, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und aus Wohngruppen nicht so gut erreicht werden.
  • Hannah Esser berichtete weiterhin aus der quantitativen Befragung, dass 34 % der Befragten einen Anstieg an Anfragenaufgrund von konkreten Vorfällen sexueller Grenzverletzungen und sexualisierter Gewalt mittels digitaler Medien seit Beginn der Pandemie verzeichnen. Sie zeigte auf, inwiefern sich die Häufigkeit der Thematisierung grundsätzlicher Inhalte und Formen sexualisierter Gewalt in den Angeboten im Vergleich (vor und seit Pandemie) aus Sicht der befragten Fachkräfte verändert hat.
  • Sabine Diener-Kropp teilte aus Praxisperspektive mit, dass auch sie einen Anstieg an Anfragen durch die Pandemie beobachten konnte. Grundsätzlich hielt Sabine Diener-Kropp fest, dass die überwiegenden Anfragen nicht präventiver Natur sind, sondern sie hinzugezogen wird, wenn bereits Fälle aufgetreten sind. Vor allem Anfragen im Kontext Cybermobbing mit Verknüpfung von sexualisierter Gewalt sind aus ihrer Sicht häufiger vorgekommen. Die Jugendlichen in den Angeboten berichten ihr, dass Erfahrungen sexualisierte Gewalt im digitalen Raum auch nach der Pandemie weiterhin erhöht auftreten. Hier stellt sich aus ihrer Sicht die Frage, ob es sich dabei um einen tatsächlichen Anstieg des Phänomens handelt oder ob sich die Wahrnehmung und das Bewusstsein verändert haben.
  • Insbesondere Mädchen berichten in den Angeboten, dass sie ungefragt Dickpics erhalten, nehmen dies aber nicht als sexualisierte Gewalt wahr. Sexualisierte Gewalt wird insgesamt weiterhin primär als Tat durch fremde Erwachsene verstanden. Jugendliche als Täter*innen werden selten thematisiert und adressiert, obwohl diese insbesondere im digitalen Raum eine große Gruppe der Täter*innenschaft ausmachen. Es ist deswegen zu vermuten, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist.
  • Hannah Esser erläuterte die Ergebnisse zu den Plattformen, die mit Blick auf mediatisierte sexualisierte Gewalt am häufigsten benannt wurden. Zu den am häufigsten thematisierten Plattformen aus Sicht der befragten Fachkräfte gehören Instagram, TikTok, Snapchat, Messengerdienste und Online-Spiele.
  • Sabine Diener-Kropp kommentierte aus der Praxis, dass sich dies im Wesentlichen mit ihren Eindrücken deckt. Sie erläuterte, dass im Falle von Cybergrooming die Erwachsenen, die Kontakt mit Kindern und Jugendlichen online suchen, einen schnellen Wechsel auf Privatkontaktmöglichkeiten anstreben. Darüber hinaus berichtete sie, dass Plattformen wie Ebay-Kleinanzeigen von Täter*innen genutzt werden. Zudem erläuterte sie, dass ihr in der jüngsten Vergangenheit auch Cloud-Dienste, die als Möglichkeit des Austauschs und der Katalogisierung unter Täter*innen genutzt werden, begegnet sind. Überrascht war Sabine Diener-Kropp, dass das Darknet in der Befragung nicht häufig genannt wurde. Aus dem Publikum wurde die Einschätzung genannt, dass es sich hier um eine Perspektivfrage handeln könnte: Wenn Fachkräfte das Darknet nicht thematisieren, wird von den Adressat*innen ggf. auch weniger davon berichtet.
  • Hannah Esser stellte die Ergebnisse aus der quantitativen Befragung bzgl. der Selbsteinschätzung der Fortbildungsbedarfeund Medienkompetenz sowie der Einstellungen zu digitalen Medien der befragten Fachkräfte vor. Sie fasste zusammen, dass die Einstellungen und Selbsteinschätzungen der Medienkompetenz bei medienpädagogischen Fachkräften leicht medienpositiver und medienkompetenter ausfallen, jedoch keine gravierenden Unterschiede vorliegen.
  • Sabine Diener-Kropp kommentierte, dass sich insbesondere die Praxisfelder der Medienpädagogik und Sexualpädagogik überschneiden und ihrem Eindruck nach, zunehmend voneinander lernen. Fachkräfte aus schulischen Kontexten haben jedoch noch nicht genug Bewusstsein für die Komplexität des Phänomenbereichs und folgen eher Verbotslogiken. 

Zur Diskussion:

  • Die Teilnehmenden des Forums beteiligten sich während der Präsentation rege und teilen ihre Erfahrungen aus der Praxis mit. Anknüpfend an die Kommentierung durch Sabine Diener-Kropp, dass Angebote häufig erst bei Vorfällen in Anspruch genommen werden, wurden Schulen und Schulbehörden in der Verantwortung gesehen. Es bedarf es mehr Prävention statt einer Feuerwehr-Logik, eine Schärfung für grenzwahrenden Umgang und eine Sensibilisierung für Problembewusstsein anstatt einer Droh- und Verbotsmentalität. Sabine Diener-Kropp betonte hier beispielhaft die Sensibilisierung für das Recht am eigenen Bild und betonte, dass Fachkräfte hier auch eine Vorbildfunktion innehaben. In der Diskussion wurden gleichermaßen auch auf die Ressourcenknappheit und den Fachkräftemangel im Kontext Schule Bezug genommen, die hinderlich für den Qualifizierungsprozess sind. Umso mehr ist die Fortbildung von Lehrkräften und eine Verankerung dessen in den Landesschulbehörden zu fordern. Schließlich fördere die nach außen gestrahlte Kompetenz Anvertrau-Verhalten.
  • In Bezugnahme auf den von Sabine Diener-Kropp eingebrachten Aspekt, dass das unfreiwillige Erhalten von Dickpics durch Jugendliche normalisiert werde, wurde die Frage aus dem Plenum eingebracht, ob es sich bei den berichteten Strategien der Jugendlichen (Melden und „Wegwischen“) um eine Verharmlosung oder nicht auch um Medienkompetenz handeln könnte. Sabine Diener-Kropp brachte ein, dass es sich zwar um technische Medienkompetenz handele, dass Bewusstsein, dass Grenzen überschritten und Gewalt angetan wurde, fehle jedoch. Insbesondere mit Blick auf eine potentielle Eskalationsdynamik sei dieses Problembewusstsein relevant. Eine Teilnehmende brachte dagegen den Punkt ein, dass es sich hier um eine Haltungsfrage handele, wo Gewalt anfange. Eine weitere Teilnehmende knüpfte hieran an und problematisierte, dass in der Diskussion die Fokussierung von Täter*innen auf Betroffene verlagert wird. Täter*innen müssten hier stärker in den Blick genommen und adressiert werden.
  • Mit Blick auf die Selbsteinschätzung von Fachkräften, dass ein erhöhter Fortbildungsbedarf in Bezug auf digitale Medien besteht, wurde der Generationenkonflikt eingebracht und die Frage gestellt, wie Fachkräfte abgeholt werden können. Zusammenfassend wurde festgehalten, dass oftmals ein Interesse an Medienwelten reicht, um im Austausch mit Adressat*innen Einblicke in ihre Mediennutzung zu erhalten.
  • Aufträge an Akteur*innen: Mit Blick auf die Fortbildung von Lehrkräften im Bereich digitale Medien wurde gefordert, dass das Thema auch in den Landesschulbehörden verankert werden muss.

Podiumsdiskussion: Was wir von Schutzkonzepten erwarten …
Kooperationspartner*innen der Projekte

Podiumsgäste: Lisa Eisenbarth, BVKM; Jörg Freese, Deutscher Landkreistag; Joachim Glaum, Niedersächsisches Landesjugendamt; Sabine Diener-Kropp, Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur/MeKoSax; Iris Hölling, Jugendamt Treptow-Köpenick; Beate Martin, Institut für Sexualpädagogik

Moderation: Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Universität Hildesheim 

Die Podiumsdiskussion „Was wir von Schutzkonzepten erwarten ...“ hat den Blick unmittelbar auf die Erwartungen und auch Grenzen von Schutzkonzepten in der Entwicklung und alltäglichen Praxis der Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe gerichtet.

Erfahrungen mit Schutzkonzeptentwicklung

Es wurden Erfahrungen in den jeweiligen Tätigkeitsfeldern mit der Entwicklung von Schutzkonzepten ausgetauscht. 

Aufträge an Akteur*innen:

  • Transfer von Wissenschaft zu Praxis als Aufgabe der Landesjugendämter
  • Aufgabe der Landesjugendämter ist insbesondere die Implementierung von Schutzkonzepten und Verfahren. Die stellt derzeit noch eine Lücke dar. Schutzkonzepte dürfen keine Papiertiger sein, sondern müssen gelebt werden.
  • Die Bedürfnisse und Lebenswelten von jungen Menschen mit Behinderungen müssen mehr Berücksichtigung finden. Es sollte Partizipationsprozesse und ein Beschwerdemanagement für junge Menschen mit Behinderungen auf eine verständliche und niedrigschwellige Art und Weise geben.

Ergebnisprotokoll Diskussion:

  • Schutzkonzepte von Einrichtungen sind manchmal 100 Seiten lang: Vielmehr sollten sie kurz und fokussiert sein. Zudem braucht es einen Übersetzungsprozess: Wie können die verschriftlichten Konzepte gelebt werden?
  • Planungsphase/Prozessplanung wichtig (Meilensteinplanung, Ressourcen klären, Steuerungsrunde festlegen etc.)
  • Jugendamt als machtvolle Institution, dies muss immer wieder reflektiert werden. Auch die Verwaltung muss sensibilisiert werden für die eigene machtvolle Position. 
  • Sexualpädagogik und Schutzkonzepte müssen zusammengedacht und berücksichtigt werden. 
  • Prävention muss ganzheitlich gedacht werden: Die Verantwortung für den Schutz liegt bei den Fachkräften/den Erwachsenen. Und daher sind Schutzkonzepte ein gutes Instrument, um dies umzusetzen. 
  • Schutzprozesse statt Schutzkonzepte: Es geht um die Prozesse und weniger um die Verschriftlichung.
  • Beteiligung als Gestaltungsprinzip von Schutzkonzepten
  • Kontinuierliche Fortbildungen und Ressourcen sind unabdingbar für die Entwicklung von Schutzkonzepten

Zukunftsvision

Es erfolgte ein Blick in die Zukunft mit Überlegungen, wo wir 2030 in der Entwicklung von Schutzkonzepten in der Kinder- und Jugendhilfe stehen, welche Herausforderungen sich gezeigt haben und was unbedingt weiter vertieft werden muss.

Aufträge an Akteur*innen:

  • gewünscht wird der Einbezug der Praxis bereits bei der Entwicklung des Forschungsdesigns und bei der Erarbeitung der Fragestellungen. Bisher passiert dies eher auf der Ebene, dass das Praxiswissen von der Forschung bestätigt wird und für die Praxis wenig neues Wissen generiert wird.
  • gewünscht wird, dass Universität/Wissenschaft bei Schutzkonzeptentwicklungsprozessen begleitet, damit Praxiseinrichtungen auch eine gute Reflexionsfolie haben.
  • Verstetigung und Nachhaltigkeit bei Ergebnisgenerierung und Veröffentlichungen (bei Plattformen etc.) ist auch auf der Seite von Wissenschaft wichtig (zur Verfügung stehen und Absicherung. Nicht nach Projektende die Praxis alleine in der Verantwortung lassen)
  • Räume der Vernetzung von Theorie/Wissenschaft und Praxis
  • Medienumgang in der Familie: Infoveranstaltungen für (werdende) Eltern sollen umgesetzt werden

Ergebnisprotokoll Diskussion – Zukunftswünsche:

  • Eine inklusive Gesellschaft wurde hergestellt (nicht verantwortet durch die Menschen mit Behinderung, sondern von der gesamten Gesellschaft)
  • Lösungen für digitale Schutzkonzepte sind vorhanden (derzeit große Herausforderung und wenig Wissen)
  • Adressierung von Erwachsenen in Schutzkonzepten
  • Weniger restriktiv, sondern einen guten Umgang finden: Weniger Schutzkonzept, vielmehr Stärkungsgesetz
  • Gute Praxisbeispiele liegen vor, an denen wir uns orientieren können
  • Inklusive Schutzkonzepte liegen vor
  • Diskussion darüber, wie Prozesse strukturiert sind, Schutzkonzepte werden gelebt
  • Recht auf sexuelle Bildung wird umgesetzt
  • Gesetz zur inklusiven Jugendhilfe wurde verabschiedet und wird umgesetzt
  • Alle Einrichtungen haben ein Schutzkonzept geschrieben und haben verinnerlicht, dass es um Prozesse geht, die evaluiert und gelebt werden. 
  • Es gibt Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche im Jugendamt (und nicht nur für Eltern/Erwachsene), die auch genutzt werden. 
  • Schutzkonzepte und -prozesse erfahren ihre eigene Wirksamkeit
  • Einfache und (für Kinder) verständliche Sprache ist in den Verfahren und Ergebnissen vorhanden
  • Umgang mit Fluktuation ist gefunden und Fachkräfte können gehalten werden.
  • Anerkennungsverfahren ausländischer Fachkräfte sind verbessert
  • Schutzkonzepte haben auch Einzug erhalten in die Familien (nicht nur in den Einrichtungen), z. B. durch Verfahren bei den Gesundheitsuntersuchungen etc. 
  • Es wird aber wahrscheinlich auch weiterhin einen hohen Druck geben, der auf den Fachkräften im Jugendamt lastet; hohe Herausforderungen bzgl. Digitalisierung werden weiterhin gesehen

Digital-analoger Alltag

Möglichkeiten und Herausforderungen von Schutzkonzepten, die sich durch den digital-analogen Alltag ergeben.

Forderungen/Aufträge an Akteur*innen:

  • Beratungs- und Begleitfunktion der Landesjugendämter auch in Bezug auf Schutzkonzepte und Inklusion: Hier noch viel Arbeit zu tun und bisher wenig Struktur
  • Digitalisierung wird in den Schutzkonzepten bisher viel zu wenig berücksichtigt

Offene Punkte/Fragestellungen

  • Übersetzung in leichte Sprache durch KI ist nicht unbedingt gegeben
  • Qualifizierung im Bereich Behinderung und Inklusion ist notwendig

Ergebnisprotokoll Diskussion:

  • KI wird genutzt, ohne dass es ein Konzept und eine begleitete Struktur gibt; sie dringt in den Arbeitsalltag hinein, man kann sich dem nicht verschließen und braucht daher Konzepte und einen Umgang.
  • Eine aktive Auseinandersetzung mit KI und Digitalisierung ist daher dringend geboten
  • Wichtig ist jeweils bei Digitalisierungsprozessen und dem Einsatz von KI, dass immer ein Mensch dahintersteht, der die dahinterliegenden Prozesse kennt.
  • Fachkräftemangel darf nicht dazu führen, dass persönliche Rechte nicht geschützt werden
  • Kulturpessimismus: Es wird lange dauern, Prozesse zu Digitalisierung anzuerkennen und sich damit konstruktiv auseinanderzusetzen
  • KI ist bisher noch sexistisch, rassistisch oder anders diskriminierend. Daher müssen Texte etc. von Fachkräften begleitet werden, oder/und KI besser trainiert werden mit großen Datensätzen – Bezug zu Schutzkonzepten derzeit noch unklar
  • KI ersetzt nicht Fachlichkeit, kann sie aber ergänzen
  • Umgang mit Sexualität und Macht: Wie kann dies in den Schutzkonzeptentwicklungsprozessen berücksichtigt werden?

 

Zweiter Veranstaltungstag, 13. Juni 2024 

Dokumentation der Foren: Forschung mit Praxis im Gespräch 

Forum 1:
Schutzinklusiv im Gespräch mit stationären Erziehungs- und Eingliederungshilfen: Wie lassen sich inklusive Schutzprozesse gestalten? 

Vortrag: Lydia Schönecker, SOCLES/ Johann Hartl, DJI/ Dr. Kristin Teuber, SOS-Kinderdorf 

Moderation: Dr. Thomas Meysen, SOCLES

Was bedeuten inklusive Schutzkonzepte? 

Es wurde erläutert, dass Behinderung als soziales Konstrukt zu verstehen ist und verschiedene Einschränkungen impliziert, die für den Schutz vor sexualisierter Gewalt relevant sein können. Inklusion wurde u. a. als „Annahme und Bewältigung menschlicher Vielfalt“ beschrieben. Diese macht auch organisatorische Anpassungen und spezifische Fachkompetenzen erforderlich. Ein inklusives Schutzkonzept sollte für alle jungen Menschen funktionieren und bekannte Schwachstellen sowie individuelle Bedürfnisse berücksichtigen. In der Diskussion wurden Themen wie die Haltung in inklusiven Wohngruppen, die Fokussierung auf individuelle Bedarfe (Wandel zur Individualpädagogik) und die Herausforderungen von heterogenen Gruppenkonstellationen thematisiert.

Rahmenbedingungen und Perspektiven der Gestaltung inklusiver Schutzprozesse

Es wurden Forschungsergebnisse vorgestellt, die über ein quasi-experimentelles Kontrollgruppendesign gewonnene Daten zu Schutzkonzepten zur Anwendung des PräviKIBS-Programms auf eine Teilgruppe umfassen. Probleme wie kognitive Beeinträchtigungen und unterschiedliche Einschätzungen zwischen Fachkräften und Kindern während der Erhebung wurden hervorgehoben. Trotz hoher Zustimmung bei den Fachkräften für inklusive Ansätze gibt es u. a. Defizite in der systematischen Risiko- und Potenzialanalyse sowie der Umsetzung pädagogischer Konzepte (z. B. sexualpädagogische Konzepte, digitaler Schutz). Strukturelle Flexibilität und umfassend breite, pädagogische Konzepte wurden als notwendig markiert.

Organisationale Lernprozesse

Der erfolgreiche Einsatz inklusiver Präventionsprogramme erfordert Ressourcen und die systematische Verknüpfung von Praxiserfahrungen mit Forschungserkenntnissen. Die nachhaltige Verankerung von Kenntnissen, Beteiligungs- und Beschwerdemöglichkeiten für junge Menschen mit Behinderung sowie die Qualifizierung von Mitarbeitenden sind entscheidend. Neue Risikokonstellationen gilt es in inklusiven Settings zu identifizieren. Organisationale Lernprozesse, die sowohl individuelles als auch kollektives und trägerbezogenes Lernen umfassen, wurden als kontinuierlich und herausfordernd beschrieben. Der Erfolg entsprechender Lernprozesse hängt u. a. von Organisationskultur, guter Führung und den jeweiligen Strukturen sowie Prozessen ab.

Forum 2:
FokusJA im Gespräch mit Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe: Fortbildungskonzepte und Plattform

Vortrag: Lena Knaebe, Hochschule Hannover

Moderation: Dr. Bernd Christmann, Universität Münster

Hintergrund

Bezugnahme auf Krisendiskurs der Institution Jugendamt 

  • „In der Medienöffentlichkeit permanent kursierender Defizitverdacht“ (Bode & Turba 2015, S. 105)

Es fand eine Auseinandersetzung mit der Frage statt, ob das Thema Sexualisierte Gewalt ein Sonderthema im Kinderschutz ist:

  • in der Öffentlichkeit ist das Thema besonders emotional aufgeladen
  • Spannungsfeld von Tabuisierung und Skandalisierung
  • Das Thema ist geprägt von Heterogenität
  • Fälle von sexualisierter Gewalt sind Komplex und können schwerwiegende Folgen für Betroffene haben
  • es bestehen spezifische Schwierigkeiten in der Offenlegung und der Diagnostik
  • es fehlt die Herausbildung von Handlungsroutinen 
  • Fälle haben zudem eine Polizeiliche und juristische Dimension
  • es bestehen Unklarheiten und Lücken im Bereich der Hilfsmaßnahmen

Kurzvorstellung der Ergebnisse: Aktenanalyse

Allgemein:

  • Auswahlkriterium: Sexualisierte Gewalt als Bestandteil der Fallgeschichte
  • Forschungsinteresse: Handlungs- und Entscheidungsprozesse im ASD, Kooperationen, Herausforderungen und Lösungsansätze → Ermittlung von Fortbildungsbedarfen und -inhalten
  • Datenmaterial: n=13 Fallakten mit insgesamt 5.140 Seiten (Ø 395)
  • Drei beteiligte städtische Jugendämter aus NRW
  • nicht-repräsentatives qualitatives Sample, mehrfache Selbstselektion, Ergebnisse begrenzt generalisierbar

Die Ergebnisse der Akten zeigen:

  • ausschließlich innerfamiliäre Gewaltkonstellationen
  • einen unbestätigten Verdachtsfall
  • fast alle Betroffenen sind weiblich
  • Täter bis auf eine Ausnahme männlich (leiblicher Vater, Partner der Mutter, Bruder, erweiterter Familienkreis)
  • unterschiedliche Formen der Offenlegung und Meldung ans Jugendamt (Eltern, Kita, Schulsozialarbeit, Gericht, freie Träger, Polizei…)
  • keine Hinweise darauf, dass Jugendämter Schilderungen junger Menschen bezweifeln
  • genuine professionelle Position, trotzdem fachliche „Abhängigkeiten“ (→Technologiedefizit)
  • unklare Tatbestände (Welche Handlungen wurden konkret verübt, insbesondere bei sexuellen Handlungen unter Gleichaltrigen?); Frage der Einvernehmlichkeit häufig ungewiss)
  • Kausalitätsproblem → Risikoeinschätzung (Rückfallgefahr) → Sexualisierte Gewalt als „unüberwindbares“ Problem
  • wahrnehmungslenkende Wirkung von sexualisierter Gewalt
  • es liegt ein diffuser Trauma-Begriff vor
  • thematische Überlagerungen (Wechsel der Dimension „Fall von“)
  • sexualisierte Gewalt als starker Hebel für Bewilligung von Hilfen und Maßnahmen 

Die Ergebnisse der Aktenanalyse zeigen folgende Herausforderungen:

  • Schilderungen der jungen Menschen sind häufig zentraler bzw. einziger „Beweis“
  • Eigenlogik sexualisierter Gewalt
  • adäquate Interventionen/Hilfen
  • Langwierigkeit von Fallverläufen, unvorhersehbare Ereignisse

In den Akten ist zu sehen, dass Schutzmaßnahmen

  • deutlich häufiger als Schutzkonzepte vertreten sind
  • als situative Ansätze genutzt werden, um möglichst unmittelbaren Schutz herzustellen
  • eine räumliche Trennung, Kontrolle, Reglementierung, Hilfe sind
  • ein breites Intensitätsspektrum aufweisen
  • verschiedener Akteur*innen (Freie Träger, Polizei, Landesjugendämter…) involvieren 

Außerdem wichtig:

  • Begriffe sind voneinander zu trennen: 
  •  Schutzkonzepte = Schutzpläne ≠ Institutionelle Schutzkonzepte
  • regelmäßig, aber nicht häufig Bestandteil der Fallakten
  • Kontrakt zwischen Jugendamt und Adressat*innen
  • spiegeln Machtasymmetrie wider
  • prozessualer Charakter (Entwicklung, Überprüfung, Anpassung)
  • Formulierung von Handlungsaufträgen

Dies können Standards für Aktenführung sein

  • transparente Regeln und Absprachen im Team über die Art der Aktenführung
  • Balance/Differenzierung/Gewichtung von Aktenbestandteilen nach Relevanz
  • bedarfsorientierte, funktionale Technologie bei digitalen Akten
  • Betrachtung von Hinweisen im Fallverlauf, insbesondere bei langfristigen Fallkonstellationen
  • Identifikation von Problematiken/Baustellen, die im Fallverlauf entstehen
  • Zielkontrolle

Kurzvorstellung der Ergebnisse: Gruppendiskussionen

Allgemein:

  • Erhebungszeitraum: Mai 2022 - November 2022
  • 10 Gruppendiskussionen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Sachsen und Thüringen mit Fachkräften Allgemeiner Sozialer Dienste (ASD), n=56
  • Thematischer Schwerpunkt: Spezifika von Hilfeplanung innerhalb des Jugendamtes in Kontexten sexualisierter Gewalt
  • Fokus auch auf inklusive Hilfeplanung sowie Voraussetzungen und Bedingungen fachlicher Qualifizierung für die adäquate Bearbeitung von Hilfeplanverläufen in Fällen von sexualisierter Gewalt
  • Die Auswertung erfolgte anhand der dokumentarischen Methode (von Ralf Bohnsack) 

Orientierungen der Gruppendiskussionen

  • Orientierungen: Hilfeplanung
    • Orientierung an individueller Bewältigung der Fachkräfte (Bewältigungsorientierung)
    • Orientierung an eigener subjektiver moralischer Bewertung
    • Orientierung an Sachbearbeitungslogik
    • Orientierung an Bedarfen/ Tempo/ aktueller Situation der Adressat*innen
  • Orientierungen: Unsicherheiten
    • Orientierung an routinierter Bearbeitung von Fällen
    • Orientierung an eigenen Emotionen (Prekäre Wahrnehmungs(un-)sicherheit
    • Orientierung an der Position im Kinderschutzgefüge/ Positionsorientierung
  • Orientierungen: Inklusion und Hilfeplanung
    • Orientierung an eingeschränktem Behinderungsbegriff
    • Orientierung an (Nicht-)Zuständigkeit 
    • Orientierung an der Sicherung des Kindeswohls

Transfergedanke 

Grundfragen: 

  • Wie können die Ergebnisse so aufbereitet werden, dass sie unterschiedlichen Zielgruppen (leicht) zugänglich gemacht werden? 
  • Was braucht die Fachpraxis, um die sich aus den Ergebnissen ergebenden Bedarfe umzusetzen?
  • Wer soll adressiert werden? 
  • Wie konkret können und sollen „Materialien“ überhaupt sein, wenn es sich eher um strukturelle Bedarfe handelt?

Transferumsetzung

  • regelmäßiger Austausch mit Praxispartner*innen
  • Erarbeitung von Qualitätsstandards für institutionelle Schutzkonzepte
  • Erstellung einer Wissensplattform
  • Erstellung von Podcasts
  • Erstellung eines Leitfadens samt Qualifizierungsschemas 
  • Rahmenkonzept für Fortbildungen
  • Erstellung von Expertisen
  • Veröffentlichungen
  • Fallbeispiele
  • Factsheets
  • Checklisten (Akten, Hilfeplanung)

à Hinweis auf die Transferwebsite: www.fokus-jugendamt.de  

Diskussion 

Wie kann der ASD unterstützt werden z. B. in Kooperationsprozessen?

  • Innerhalb einer anstehenden Publikation soll thematisiert werden, welche Kooperation bestehen. Hierfür wurde ein Leitfaden entwickelt indem versch. Akteur*innen dargestellt werden wie z. B. Fachberatungsstellen. 

Zufriedenheit und selbstkritische Haltung der Fachkräfte 

  • Spannungsfeld zwischen Wunsch „ich würde die Kinder in der Einrichtung viel öfter besuchen, kann es aufgrund der Ressourcen aber nicht“. Fachkräfte gelangen an ihre Grenzen aufgrund von zeitlich und personell eingeschränkten Ressourcen und das muss immer wieder berücksichtigt werden.

Wie haben sich die Orientierungen gebildet?

  • Die verschiedenen Orientierungen haben sich durch die verschiedenen Ausführungen in den Gruppendiskussionen ergeben.

Warum wird der Fokus nur auf den ASD gelegt?

Durch Verengung des Blicks fällt ein blickerweiternder Ansatz schwer: Gefordert wird die Öffnung des Jugendamtes mit seinen jeweiligen Arbeitsbereichen.

  • Information: Der Fokus der beiden Forschungsprojekte lag auf den ASD aber auf der Plattform sind auch weitere Dokumente zu finden. Der Leitfaden an sich ist z. B. auf den ASD fokussiert, aber durchaus auf andere Bereiche erweiterbar.

Forum 3: 
SOSdigital im Gespräch mit Trägern der Sexualpädagogik, Medienpädagogik und Prävention sexualisierter Gewalt: Professionalisierung und Kooperation

Vortrag: Franziska Schmidt, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf/ Jasmin Stehr, Hochschule Hannover 

Moderation: Franziska Schmidt, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf/ Jasmin Stehr, Hochschule Hannover 

PPt.-Präsentation 

Zum Vortrag:

Überblick

Der Vortrag thematisierte die Rolle von Antinomien und Paradoxien im professionellen Handeln, insbesondere in den Bereichen Sexualpädagogik und Prävention sexualisierter Gewalt. Ein zentrales Spannungsfeld ist die professionelle Grundhaltung, die in diesen Bereichen stark variiert.

Anknüpfung an frühere Forschungsprojekte

Es wurde auf ein früheres Forschungsprojekt verwiesen, das den Umgang mit diesen Spannungen untersuchte. Besonders hervorgehoben wurde, dass die professionelle Grundhaltung in der Sexualpädagogik und der Prävention sexualisierter Gewalt sehr unterschiedlich ist.

Neues Forschungsprojekt: Digitale Medien

Das aktuelle Forschungsprojekt konzentriert sich auf digitale Medien, die einen zentralen Bestandteil der Lebenswelt junger Menschen darstellen. Auch hier gibt es Gewalterfahrungen und eine zusätzliche Antinomie zwischen Fortschrittsoptimismus und Technologieskepsis.

Forschungsdesign und Methoden

Das Forschungsdesign differenziert zwischen drei Praxisfeldern: Medienpädagogik, Sexualpädagogik und Prävention sexueller Gewalt. Die Methoden umfassen:

  • Sekundäranalyse: Diese zeigte, dass die allgemeine Medienerziehung von Erwachsenen oft kritisch ist, gekennzeichnet durch eine grundsätzlich negative Haltung, Verbotsmentalität und widersprüchliches eigenes Verhalten sowie falsche Einschätzung von Medienkompetenz.
  • Qualitative Inhaltsanalyse von Gruppendiskussionen: Diese ergab, dass es einen großen Bedarf an Ressourcen und mehr Vernetzung/ Kooperation zwischen Fachkräftegruppen gibt. Zudem bestehen unterschiedliche Herausforderungen je nach professioneller Prägung des Teams.

Ableitung und Weiterentwicklung

Auf Basis der Forschungsergebnisse wird ein Fortbildungsportal aufgebaut, das alle drei Praxisfelder als Zielgruppe erfasst. Es handelt sich um eine Selbstlernplattform zur Unterstützung der reflexiven Auseinandersetzung mit Praxismaterialien, die aus der Praxis für die Praxis entwickelt wurden.

Diskussion und Rückfragen:

  • Zur Plattform: Die Plattform wird dieses Jahr gestartet, Aktualisierungen sind offen. Es besteht die Hoffnung, dass ein Praxispartner die Plattform übernimmt oder dass sie in weiteren Forschungsprojekten aufgegriffen wird.
  • Projektanlage: Das Projektteam bestand nicht aus einer gemischten professionellen Zusammensetzung, jedoch gibt es innerhalb der einzelnen Personen Vielfalt. Verschiedene Schwerpunktsetzungen bleiben sinnvoll, um die Ziele zu verfolgen.
  • Frage nach Ergebnissen: Ergebnisse der Gruppendiskussionen hinsichtlich der Antinomie zwischen "stärken" und "schützen" bleiben offen. Eine Veröffentlichung ist nach Abschluss der Auswertung geplant und wird auch in die Plattform einfließen.
  • Praxisbericht von pro familia: Es wurde ein unterschiedlicher Zugang von Sexualpädagoginnen im Vergleich zu Expertinnen zum Thema Prävention vor Gewalt festgestellt. Kooperation hilft, Scheu abzubauen und Medienpädagogik als Basis zu nutzen.
  • Praxisbericht: Es muss noch mehr bei Arbeitgebern für die Potentiale sozialer Medien in Bezug auf Prävention geworben werden.
  • Schutzkonzept: Es wurde gefragt, ob konkrete Bezüge zwischen den Erkenntnissen und einem Schutzkonzept bestehen. Das Verbundprojekt hat sich damit bisher nicht beschäftigt, dies könnte ein nächster Schritt sein.
  • Praxisbericht Johanniter Unfallhilfe: Die Johanniter Unfallhilfe entwickelt eine Arbeitshilfe für verschiedene Handlungsfelder, bisher nur für den Jugendverband öffentlich: Link zur Arbeitshilfe.
  • Kreativer Anteil von Medienpädagogik: Neben einer kritischen Haltung zur Datenverwendung und technischem Wissen über Einstellungen (4 Bereiche Medienkompetenz: Baarcke) sollte das Gestalten mit Medien geöffnet werden.
  • Schnelllebigkeit der Digitalisierung: Diese wurde als große Herausforderung der professionellen Arbeit identifiziert.

Der Vortrag und die anschließende Diskussion zeigten, wie wichtig es ist, verschiedene Perspektiven und Ansätze zu integrieren, um den Herausforderungen in den Bereichen Medienpädagogik, Sexualpädagogik und Prävention sexualisierter Gewalt gerecht zu werden.

Podiumsdiskussion: Wie der Transfer gelingen kann …

Podiumsgäste: Dr. Bernd Christmann, Universität Münster; Laura Henter, Jugendamt Dortmund Stab/Koordination Kinderschutz; Prof. Dr. Wolfgang Schröer, Universität Hildesheim; Dr. Kristin Teuber, Leiterin SPI im SOS Kinderdorf, München; Birgit Westers, BAGLJÄ, LWL-Dezernat Jugend und Schule; Bernd Eberhardt, DGfPI; Moderation: Prof. Dr. Karin Böllert, Universität Münster

Moderation: Prof.in Dr. Karin Böllert (Universität Münster)

Zu Beginn der abschließenden Podiumsdiskussion wurde ein kurzer Input gehalten, der Berichte aus den Forschungsprojekten SchutzInklusiv, SOSdigital und FokusJA zu den Erfahrungen mit dem Transfer beinhaltete. Die Berichte verdeutlichten die Herausforderungen im Forschungsprozess in Bezug auf den Transfer und warfen Fragen auf, wie die Transferperspektive auch nach Abschluss der Forschung weitergetragen werden kann. Herausforderungen wurden hierbei in Bezug auf teilweise unterschiedliche Verständnisse von Transfer sowie Erwartungshaltungen an Forschungsprozesse, die Weiterfinanzierung von Transferphasen benannt. Durch die Forschungsprojekte wurde im Forschungsprozess der Austausch mit Praxispartner*innen als gewinnbringend in Hinblick auf neue Entwicklungen und praxisorientiertere Verständnisse erlebt. Mit Blick auf verschiedene Zielgruppen wurde die Frage diskutiert, wie man diesen in Forschungsprozessen gerecht werden könne. Aus den Projekten wurde berichtet, dass Transfer als eigener Forschungsraum aufzufassen sei, der wiederum Forschungsräume eröffne. Zudem wurde Transfer als ein Prozess erlebt, der aktiv gesucht werden muss und in welchem die Rollenverständnisse der Beteiligten Forschungspartner*innen ständig ausgehandelt werden müssen.

Die anschließende Podiumsdiskussion fand unter der Frage „Wie Transfer gelingen kann?“ statt. Die Podiumsdiskussion begann mit der Aussage, dass sich Forschende und Praxispartner*innen im Transferprozess als gegenseitig voneinander Lernende verstehen sollten. Daraus resultierte die Frage, inwiefern die Perspektive auf Praxis anerkennend und wertschätzend, auch mit der Darstellung von Forschungsergebnissen, dargestellt werden kann. Aus der Praxis wurde verdeutlicht, dass hierbei insbesondere eine Komplexitätsreduktion von Forschungsergebnissen für die Praxis erforderlich ist. Zudem wurden die Bedeutung von wissenschaftlichen Ergebnissen für die weitere Prozessgestaltung (z. B. in Bezug auf Schutzkonzepte) sowie die gleichzeitige Notwendigkeit von Dialog und keiner einseitigen Implementierung betont. 

Hinsichtlich der Erwartungen von Praxis an Transfer wurde verdeutlicht, dass die Klärung eines Grundverständnisses von Transfer erforderlich ist und Transfer über Projektende hinausgedacht werden muss. Auch die Ressourcenfrage im Transferprozess sowie ein möglichst gleichberechtigtest Forschungsverhältnis wurden als Anforderungen genannt. So sollten zu Beginn von Forschungsprozessen bzw. bereits bei Antragstellung gemeinsam Notwendigkeiten und Forschungsfragen bestimmt und abschließend in Forschungsprozessen neben Evaluationen auch gemeinsame Auswertungen fokussiert werden. Als wichtig wurde dabei zudem die Frage nach der Verantwortung erachtet. Hierbei wurden sowohl aus Wissensschafts- als auch aus Praxisperspektive ein Verständnis von Transfer in Form von Feedbackschleifen als hilfreich angesehen. Aus beiden Perspektiven wurden hierauf bezogen Ressourcen in Bezug auf Regelmäßigkeiten eines Austauschs, Bedingungen von Forschungsförderungen wie Antragslogiken (Transfernotwendigkeiten sind z. B. nicht voraussehbar) und einer Notwendigkeit von Transparenz (Was ist möglich im Transfer?) als herausfordernd betrachtet. Ein wechselseitiges Verständnis und ein Fokus auf Zeit, Ressourcen, Übersetzungsleistung von Wissenschaft in Praxis, die Notwendigkeit von Multiplikator*innen hierfür sowie der Dialog von Praxis auch untereinander und eine Orientierung an Best-Practice-Beispielen wurden genannt. 

Weiter wurde betont, dass die Hochschullehre als erste Schnittstelle des Transfers angesehen werden könnte und Studierende an dieser Stelle als Multiplikator*innen dienen können, um Forschungsergebnisse auch für die Praxis zugänglicher zu machen. Aus dem Publikum wurde ein Forschungsprojekt (Schutzkonzepte in der Jugendverbandsarbeit), an dem das Institut für soziale Arbeit e.V. Münster beteiligt war, als Best-Practice-Beispiel für gelungenen Transfer genannt. Hier habe sich eine Netzwerkstruktur als Ergebnis von Transfer etabliert, die eine Loslösung vom Projektcharakter darstellt und eine Dauerstelle ermöglicht. Aus Perspektive des Betroffenenrates wurde in Hinblick auf einen gelingenden Transfer die Entwicklung von Schutzkonzepten in Schulen und die Bedeutung von Jugendamtsleitungen betont. 

Als herausfordernd wurde die starke Personenabhängigkeit in Transferprozessen betrachtet. Dabei stellte sich die Frage, welche Strukturen dies lösen könnten. Die Etablierung der Transferstelle Schutzkonzepte in Hildesheim wurde hier beispielhaft genannt. Die Berücksichtigung von überöffentlichen Trägerstrukturen, die Berücksichtigung von Transfergedanken, auch in Rechtsdebatte, und die Ermöglichung von Partizipation, Entwicklung von Materialien, Veranstaltungen etc. sowie die Etablierung von guten Strukturen für Transfer wurden abschließend als weitere Voraussetzungen für einen gelingenden Transfer betont.