Jugendliche und junge Erwachsene brauchen ganzheitliche Förderung und Unterstützung auf dem Weg in den Beruf – Anforderungen an wirksame und nachhaltige Jugendberufsagenturen

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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Mit der Verankerung eines flächendeckenden Ausbaus von sogenannten Jugendberufsagenturen im Koalitionsvertrag der CDU, CSU und SPD[1] kam im vergangenen Jahr erneut Schwung in die Diskussion um die Gestaltung des Übergangs von Schule und Beruf.[2] Das gemeinsame Ziel von Jugendberufs-agenturen ist es, die Beratungs-, Betreuungs- und Vermittlungsangebote aus den Sozialgesetzbüchern II (Grundsicherung für Arbeitsuchende), III (Arbeitsförderung) und VIII (Kinder- und Jugendhilfe) für junge Menschen wirksamer zu bündeln und gemeinsame Anlaufstellen zu schaffen[3], so dass Jugendliche und junge Erwachsene, nach Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht, ein, ihren individuellen Leistungsvoraussetzungen und ihrer Lebenslage entsprechen-des, nachhaltig wirksames Angebot erhalten. Die Umsetzung wird regional sehr heterogen gestaltet und die Angebote unterscheiden sich in Intensität und Ausgestaltung der Zusammenarbeit.[4] Die Hoffnung, die mit dem Koalitionsvertrag geweckt wurde, der Bund werde Ressourcen zum Ausbau zur Verfügung stellen oder gar Leitlinien und Mindeststandards formulieren, hat sich nicht bestätigt.[5] Das Anliegen, die sogenannten Jugendberufs-agenturen flächendeckend zu einer wirksamen Struktur auszubauen, ist aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ dennoch richtig und zielführend und sollte daher weiterhin in gemeinsamer Kraftan-strengung der beteiligten Rechtskreise, aber auch weiterer Bündnispartner, verfolgt werden.
In diesem Sinne fordert die AGJ mit ihrem Positionspapier eine bundesweite Stärkung der strukturierten Zusammenarbeit der Rechtskreise mit festen Anlaufstellen für junge Menschen, sowie die Verwirklichung eines ganzheitlichen Ansatzes bei der Ausgestaltung der Jugendberufsagenturen. In der Entwicklungsphase vom Jugendlichen zum Erwachsenen und in der Umbruchsituation von der verpflichtenden und strukturierten Schulbildung in einen selbst gewählten Beruf wird nicht nur gezielte und koordinierte Beratung bei der Integration in den Arbeitsmarkt benötigt. Es bedarf ebenso eines breit angelegten Unterstützungsangebots, das die Gesamtheit der aktuellen Lebensumstände berücksichtigt. Insbesondere junge Menschen in komplexeren Lebenslagen benötigen schnelle, gut abgestimmte und vor allem bedarfsgerechte Angebote aus einer Hand, welche ihre soziale und berufliche Integration gleichermaßen im Blick haben. Ohne eine rechtskreisüber-greifende Planung, Steuerung und Finanzierung von Angeboten, die Vernetzung mit weiteren lokalen Bündnispartnern, die institutionelle Zusammenarbeit auf Leitungs- und Arbeitsebene, ein gemeinsam entwickeltes Verständnis von ganzheitlicher Förderung und von Transparenz im Fallmanagement sowie die Sicherstellung konstanter Bezugspersonen für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wird dies jedoch kaum gelingen.

Damit sich das Unterstützungs- und Förderangebot von Jugendberufsagenturen auch mittel- und langfristig im Sinne von jungen Menschen auswirken kann, formuliert die AGJ folgende Anforderungen:

1. Für die Wahrnehmung der Bedarfe und die Interessensvertretung junger Menschen ist die Kinder- und Jugendhilfe strukturell, personell und ideell unverzichtbar bei der Gestaltung von Jugendberufsagenturen!

Es liegen bereits einige Stellungnahmen und Publikationen zum Thema Jugendberufsagenturen vor.[6] Viele von ihnen betrachten wichtige und notwendige institutionelle – aber nicht hinreichende – Fragen der beteiligten Akteure. Für die Gestaltung von Jugendberufsagenturen ist aus Sicht der AGJ jedoch die Perspektive der Jugendlichen und jungen Erwachsenen von entscheidender Bedeutung. Von ihren Bedarfen ausgehend sollten alle Angebote konzipiert und die Haltungen sowie das konkrete Handeln der Leitungs- und Fachkräfte abgeleitet werden. Die Kinder- und Jugendhilfe sieht sich hierbei in der zentralen Verantwortung, für die Bedarfe junger Menschen einzutreten. Ihre Prinzipien sollten die Verfahren und Ziele von Jugendberufsagenturen prägen und handlungs-leitend für die Fachkräfte aller zuständigen Rechtskreise sein. Im Einzelnen heißt das:

  • Die Teilnahme erfolgt freiwillig und eigenmotiviert.
  • Es gibt umfassende Möglichkeiten zur Partizipation.
  • Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und die Förderung der Selbstständigkeit stehen im Mittelpunkt aller Angebote.
  • Die Förderung erfolgt individuell, zeitnah und bedarfsgerecht. Auf die soziale und biografische Situation der Jugendlichen wird eingegangen.
  • Auf gesetzlich vorgeschriebene, pauschale Sanktionen wird verzichtet. Angemessene Grenzen und wirksame Konsequenzen werden personen- und sachgerecht aufgezeigt. Den Gründen für Unzuverlässigkeiten (z. B. nicht erscheinen zu verabredeten Terminen) wird in enger Zusammenarbeit aller Beteiligten frühzeitig nachgegangen. Es werden gemeinsam mit den jungen Menschen Alternativen entwickelt.
  • Es gibt verlässliche Strukturen und konstante Ansprechpartner, die einen vertrauensvollen Beziehungsaufbau zu den jungen Menschen, aber auch zu potentiellen Arbeitgebern und weiteren Förderangeboten in der Region ermöglichen. Dies erfordert eine stabile vertragliche Arbeitssituation der Fachkräfte und schließt Jugendberufsagenturen auf Projektbasis mit begrenzten Laufzeiten kategorisch aus.
  • Aufsuchende sozialpädagogische Ansätze sind ebenso selbstverständlicher Bestandteil des Angebots wie die klassischen Komm-Strukturen der beteiligten Institutionen. Sozialräumliche Bezüge werden berücksichtigt.
  • Der Umgang mit den Jugendlichen/jungen Erwachsenen ist wertschätzend und setzt an ihren vorhandenen Ressourcen und Kompetenzen an.
  • Der Prozess ist entwicklungs- und ergebnisoffen und wird erst als gelungen abgeschlossen, wenn das Ergebnis vom Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen selber als solches wahrgenommen wird. Die Rahmenbedingungen von Jugendberufsagenturen werden an die notwendige und zeitgemäße Flexibilität in der Arbeit mit jungen Menschen angepasst.

2.Der Erfolg von Jugendberufsagenturen muss insbesondere daran gemessen werden, inwieweit die Situation und die Förderung von benachteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen verbessert wurde!

Aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe kann der Erfolg und die Wirksamkeit von Jugendberufsagenturen nicht ausschließlich daran gemessen werden, wie gut die zuständigen Behörden zusammenarbeiten, wie stark der Verwaltungsaufwand minimiert wird oder wie sehr sich der Rückgang der Arbeitslosigkeit messen lässt. Jugendberufsagenturen müssen auch eine qualitative und quantitative Verbesserung der Förderung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zum Ziel haben und diese auch spürbar bewirken. Bei Personen in schwierigen Lebenssituationen, zum Beispiel bei Schulversagen, Wohnungslosigkeit oder Erfahrung mit Sucht- und Rauschmitteln, steht prioritär die Stabilisierung der Lebensumstände im Mittelpunkt. Sanktionen sollten gerade bei diesen Jugendlichen und jungen Erwachsenen nur in Ausnahmefällen (etwa bei unmittelbarem Leistungsbetrug) angewendet werden. Erst in einem nächsten Schritt sollte sukzessiv die Integration in eine Ausbildung oder einen Beruf erfolgen, damit diese auch mittel- und langfristig Erfolg zeigt. Erfolgreich im Sinne der jungen Menschen muss nicht zwingend gleichbedeutend sein mit dem arbeitsmarktpolitischen oder pädagogischen Verständnis desselben. Vielmehr muss jungen Menschen Raum gegeben werden, auch jene biografischen Wege einzuschlagen, welche der selbstbestimmten persönlichen Verwirklichung dienen und ihnen individuelle neue Perspektiven eröffnen. Für diesen Prozess wird Zeit und Offenheit benötigt. Ein Maßnahmenkorsett, das bereits den Zeitpunkt und die Art der gelungenen Integration vorsieht, geht an den Bedürfnissen der jungen Menschen vorbei und erschwert auch die Arbeit der Fachkräfte, die sich dazu angehalten sehen, primär bestimmte formale Vorgaben zu erfüllen, um ihre Arbeit durch eine vermeintliche Effektivität zu legitimieren. Die bislang vorherrschende Ausschreibungspraxis muss entsprechend grundlegend überdacht werden.

3. Ein gutes Kooperationsmanagement benötigt klare Zuständigkeiten, ein geteiltes Verständnis von Transparenz und gemeinsame Qualifizierungsangebote!

Das rechtskreisübergreifende Kooperationsgeschehen ist sehr komplex und kann sich lokal stark unterscheiden. Daher sollte es für ein konstruktives Zusammenspiel nicht nur einen Initiator, sondern auch einen Moderator geben, der „den Hut auf hat“ und die Kooperation stützend begleitet. Zur systematischen Gestaltung der Kooperationsprozesse und im Sinne kommunaler Daseinsvorsorge für die soziale und berufliche Integration wäre eine Stabsstelle oder Lenkungsgruppe bei der Verwaltungsspitze einer Stadt oder eines Landkreises denkbar.[7]

Für die reibungslose Zusammenarbeit auf der Arbeitsebene und ein gemeinschaftliches Verständnis von ganzheitlicher Förderung sind gemeinsame Qualifizierungen der Fachkräfte aus den verschiedenen Rechtskreisen erforderlich. Weiterbildungen, welche die spezifischen Themenfelder und Problembereiche von Jugendberufsagenturen im Blick haben, z. B. datenschutzkonforme Datentransfermöglichkeiten oder Fragen der rechtssicheren gemeinsamen Finanzierungen von Förderan-geboten, sollten sich in gemeinsamen Fortbildungsangeboten wiederfinden.

Ein gemeinsames Verständnis von Transparenz ist Grundbedingung für ein wirksames Übergangsmanagement. Die Leitungskräfte, aber auch die Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe, im Jobcenter und in der Agentur für Arbeit, sollten die Förderlogik, das Grundverständnis, aber auch den Alltag der jeweils anderen Rechtskreise kennen und verstehen lernen (z. B. durch regelmäßige Hospitationen). Strukturell sollten zudem in allen zentralen Gremien der Rechtskreise, beispielsweise im Jugendhilfeausschuss oder in der Trägerversammlung der Jobcenter die jeweils anderen Rechtskreisvertretungen einbezogen werden. Zudem wird ein gemeinsames Vorgehen beim Fallmanagement benötigt, welches – im Einverständnis mit den jungen Menschen – eine Schweigepflichtent-bindung, direkten Informationsaustausch oder rechtskreisübergreifende Fallkonferenzen ermöglicht.
Zentrale Herausforderung ist insbesondere aber auch, gemeinsam eine Bewertung und gegebenenfalls eine notwendige Qualifizierung bereits vorhandener Instrumente vorzunehmen. Vertikale und horizontale Kooperationsmöglichkeiten sind transparent zu machen und kommunal zu systematisieren.

4. Es werden sowohl verbindliche Kriterien als auch lokale Gestaltungsspielräume für Jugendberufsagenturen benötigt!

Nicht jede deklarierte Kooperation der Rechtskreise genügt den Ansprüchen an eine wirksame und nachhaltige Jugendberufsagentur, die einen ganzheitlichen Ansatz des Förderns und Unterstützens verfolgt, und sollte deshalb auch nicht gleich so heißen. Damit Jugendberufsagenturen den hohen Anforderungen und den vielfältigen Erwartungen an sie gerecht werden können, sollte es verbindliche Kriterien für die verbesserte Zusammenarbeit der Rechtskreise geben. Ausgangspunkt hierfür sind gesetzliche Verpflichtungen der drei Rechtskreise SGB II, III und VIII zur Zusammenarbeit. Die Erfahrungen aus dem Arbeitsbündnis Jugend und Beruf der Bundesagentur für Arbeit sowie die Erfahrungen zahlreicher weiterer Modellprojekte sollten einbezogen werden.

Folgende Aspekte bedürfen der näheren Bestimmung und einer bundesweit verbindlichen Regelung:

  • Einigung auf die Basiskooperationspartner Agentur für Arbeit, Jobcenter, Jugendamt (Verwaltung und Jugendhilfeausschuss) sowie Einbezug der Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe;
  • Entwicklung von Kooperationsverträgen;
  • Notwendigkeit einer rechtskreisübergreifenden Anlaufstelle (real oder virtuell) für alle jungen Menschen im Übergang Schule-Beruf mit einem Schwerpunkt auf die Zielgruppe benachteiligter und individuell beeinträchtigter Menschen;
  • Entwicklung von rechtssicheren Rahmenbedingungen für gemeinsame Fördermöglichkeiten, z. B. gemeinsame Kooperations-, Gestaltungs- und Finanzierungsmöglichkeiten, abgestimmte Bedarfsermittlung und gemeinsames Fallmanagement (so wie dies auch im Beschluss „Berufliche und soziale Eingliederung sozial benachteiligter junger Menschen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt“ der Arbeits- und Sozialminister-konferenz von November 2014 und der Jugend- und Familienministerkonferenz von Mai 2015 gefordert wird); Wege zur Überprüfung von Zielen und zur nachhaltigen Erfolgsmessung sowohl für die Arbeitsmarktintegrationals auch die soziale Integration.

Regionale Spielräume werden weiterhin benötigt, wenn es um folgende Handlungserfordernisse geht:

  • Gestaltung und Art der gemeinsamen Anlaufstelle (real oder virtuell? Unter einem Dach oder an verschiedenen Orten? Gestaltung der Anbindung im ländlichen Raum etc.);
  • Gestaltung des gemeinsamen Fallmanagements;
  • Entwicklung und Ausgestaltung der gemeinsamen Förderplanung;
  • Form der Einbindung der Rechtsträger in die Planungsgremien der jeweils anderen Rechtsträger;
  • Durchführung der rechtskreisübergreifenden, regionalen Bedarfs- und Problemanalyse vor Ort auf der Grundlage einer örtlichen Jugendhilfe- und Bildungsplanung sowie einer Arbeitsmarkt-/ und Ausbildungsmarktanalyse;
  • Schaffung einer Struktur von niedrigschwelliger, lebensweltorientierter Beratung;
  • Schwerpunktsetzung und Priorisierung, bezogen auf die lokalen Herausforderungen.

5. Rechtkreisübergreifende Finanzierungen müssen auf Bundesebene erleichtert und besser abgesichert werden!

Junge Menschen, die mit großen Schwierigkeiten auf dem Weg in den Beruf kämpfen, brauchen eine abgestimmte Förderung ihrer personalen und sozialen Kompetenzen sowie eine umfassende Qualifizierung für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Diese abgestimmte Förderung verlangt sowohl ein gemeinsames Fallmanagement zur Entwicklung einer Hilfestrategie als auch eine auch durch entsprechende Rechtsnormen gesicherte Möglichkeit der gemeinsamen Finanzierung. Denkbar wäre hier ein gemeinsamer Fördertopf – außerhalb des Eingliederungstitels der Jobcenter und der Haushaltsverpflichtungen der Agentur für Arbeit, um hier nicht in Konkurrenz zu anderen Zielgruppen und Leistungen zu geraten – wenn er unter Berücksichtigung der oben genanntem Jugendhilfeaspekte nutzbar wäre. Eine weitere Option liegt darin, dass die Agentur für Arbeit und die Jobcenter vor Ort eine rechtlich abgesicherte Möglichkeit erhielten, sich an Vorhaben der Kinder- und Jugendhilfe finanziell zu beteiligen. So könnten individuell gestaltete Förderangebote, die soziale und arbeitsmarktorientierte Integration zur Zielsetzung haben, gemeinsam konzipiert und finanziert werden. Hierbei wäre das Zuwendungsrecht anzuwenden und in der Durchführung Kinder- und Jugendhilfeträger einzubeziehen, die im kommunalen Jugendhilfegeschehen fest verankert sind und viel Erfahrung mit den Lebenslagen junger Menschen mitbringen. Über Ausschreibungen auf den Weg gebrachte Leistungen brauchen einen langen zeitlichen Vorlauf, sind „Konfektionsware“ und erlauben über den formalisierten Aufbau keine ausreichenden Anpassungsmöglichkeiten im Entwicklungsgeschehen des Einzelnen.
Eine koordinierte Hilfeplanung kann regelhaft nur dann gelingen, wenn die gesetzliche Verpflichtung zur Kooperation in allen für die Jugendlichen relevanten Rechtskreisen verankert und konkreter beschrieben ist. Durch die Verankerung einer abgestimmten Hilfeplanung können zudem die finanziellen Mittel wirtschaftlicher und sparsamer eingesetzt werden.

6. Es wird dringend eine Stärkung der Jugendsozialarbeit benötigt!

Mit dem Entstehen des SGB II und der Nachrangregelung im § 10 Absatz 2 Satz 2 des SGB VIII und § 13 Absatz 2 SGB VIII sind die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe für junge benachteiligte Menschen im Übergang Schule-Beruf vor Ort nicht mehr bedarfsgerecht entwickelt und vorgehalten worden. Im Gegenteil – der öffentliche Kinder und Jugendhilfeträger hat sich mit Bezug auf die Nachrangregelung vielerorts aus zuvor vorhandenen Jugendsozialarbeitsangeboten zurückgezogen. Die Problemlagen junger Menschen am Übergang von der Schule in den Beruf sind jedoch nicht selten, und dann oft primär, durch Nachsozialisierungs-bedarfe geprägt. Schon heute unterstellt die Fachwelt einen erheblichen Bedarf an Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe für diese Zielgruppe, auch wenn die Kommunen hier aus finanziellen Überlegungen Zurückhaltung üben. Wenn Jugendberufsagenturen wirksam werden sollen, müssen vor Ort im Rahmen der Jugendhilfeplanung Angebote der Jugendsozialarbeit entwickelt und vorgehalten werden. Nur mit einer starken Jugendsozialarbeit im Rücken wird es gelingen, die rechtskreisübergreifende Kooperation zum Wohl der besonders förderbedürftigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu gestalten. Die Jugendsozialarbeit bringt vor allem Beratungsangebote und aufsuchende Ansätze ein. Die einbezogenen Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe zeichnen sich häufig durch kreative Konzeptionen niedrigschwelliger Angebote sowie einem großen Erfahrungsschatz mit den vielfältigen Lebenslagen von jungen Menschen aus.
Um junge Menschen effektiv und ganzheitlich unterstützen zu können, müssen sie einen – im Konfliktfall einklagbaren – Anspruch auf Leistungen zur Unterstützung der Berufsausbildung nach dem SGB III sowie auf Leistungen der Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII erhalten.

7. Weitere lokale Netzwerkpartner müssen einbezogen werden!

Da die Anforderungen an die Lebensphase am Übergang zwischen Schule und Beruf zunehmend gewachsen und komplexer geworden sind und für zahlreiche Jugendliche und junge Erwachsene der Weg in den Beruf alles andere als einfach und gradlinig ist, ist es für Jugendberufsagenturen zwingend erforderlich, einen guten Überblick über die sozialräumlich vorhandenen Beratungs- und Unterstützungsangebote sowie die vorhandene Bildungsinfrastruktur zu haben. Neben den Basispartnern jeder Jugendberufsagentur – der Agentur für Arbeit, dem Jobcenter und der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe – sollten sukzessiv möglichst alle für die soziale und berufliche Integration junger Menschen zuständigen Akteure für eine enge Zusammenarbeit gewonnen werden. Allen voran gilt es, die weiterführenden Schulen und die Berufsschulen mit der je vorhandenen Schulsozialarbeit konsequent mit einzubeziehen und schon während der Schulzeit passende und qualifizierte Angebote der Kompetenz- und Berufsberatung für junge Menschen anzubieten. Regional verankerte Betriebe und die Institutionen des öffentlichen Dienstes sollten als potentielle Arbeitgeber Teil des Netzwerks jeder Jugendberufsagentur sein. Die Zusammenarbeit mit Jugendmigrations-diensten, Streetworkern, der Jugendgerichtshilfe, der Schuldner- und Suchtberatung und weiteren sozialen und psychosozialen Diensten ist, mit Blick auf die Förderung und Unterstützung junger Menschen in schwierigeren Lebenslagen, dringend zu empfehlen.

8. Jugendberufsagenturen müssen in eine jugend(hilfe)politische Gesamtstrategie eingebettet werden!

Die AGJ hält es für notwendig, die Gestaltung des Übergangs von Schule zu Beruf in eine regionale, jugend(hilfe)politische Gesamtstrategie einzubetten. Deshalb sollten Jugendberufsagenturen Bestandteil einer langfristig ausgelegten, integrierten Sozialplanung mit deutlichem Bezug zur Fachplanung, der Jugendhilfeplanung nach dem SGB VIII sein. Angebote müssen wirksam und aufeinander abgestimmt sein und sich an den Bedürfnissen junger Menschen orientieren. Über die Jugendhilfeplanung beteiligt der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe die Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe und entwickelt so notwendige Förderangebote für junge Menschen, um eine passgenaue, zielgruppenadäquate Bedarfsplanung, den Zugang zu schnellen Hilfen und das Wunsch und Wahlrecht der jungen Menschen mit Förderbedarf zu sichern.
Vor dem Hintergrund der komplexen Trägerstruktur der Jugendberufs-agenturen ist es allein aus jugend(hilfe)politischer Sicht notwendig, diese auch als Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe wahrzunehmen und durch entsprechende Planungsprozesse in einen strukturierten Katalog der örtlichen Jugendhilfeleistungen mit aufzunehmen, der mit den Leistungen öffentlicher und freier Träger im Bereich der Jugendsozialarbeit abzustimmen ist. Voraussetzung ist eine quantitative und qualitative Bedarfserhebung für entsprechende Angebote vor Ort.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 25./26. Juni 2015
    

[1] Vgl. CDU, CSU, SPD (2013): „Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode“. Berlin, S. 66
[2] Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ thematisiert bereits seit vielen Jahren den Übergang zwischen Schule und Beruf. Zuletzt veröffentlichte sie 2013 in einer Stellungnahme „Handlungsbedarfe an der Schnittstelle zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Arbeitswelt“.
[3] Die Verpflichtung zur Zusammenarbeit ist in § 18 Abs. 1 SGB II, in § 9 Abs. 3 SGB III und in § 81 SGB VIII verankert.
[4] Beispielsweise sind durch die seit 2010 bestehende Initiative der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Arbeitsbündnisse Jugend und Beruf“ bereits über 180 unterschiedliche Bündnisse mit verschiedenen Ansätzen und Organisationsstrukturen gewachsen. Mit der Initiative wurde und wird auch heute noch erfolgreich für eine intensive Kooperation der Agenturen für Arbeit, der Jobcenter und der öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe vor Ort geworben. Dabei wurden die lokal vorhandenen Gestaltungsspielräume genutzt und regional konsensfähige Lösungen angestrebt. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit werden heute alle Arbeitsbündnisse ohne weitere Differenzierung von der Bundesagentur für Arbeit als Jugendberufsagenturen bezeichnet. Auch im Rahmen des ESF-Bundesprogramms JUGEND STÄRKEN - Aktiv in der Region wurden modellhaft neue Kooperationsformen zwischen den Rechtskreisen SGB II, III und VIII, in Initiative der örtlichen Kinder- und Jugendhilfe, entwickelt und gefördert.
[5] Vgl. Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Jugendberufsagenturen – Aufgaben, Finanzierung, Unterstützung“ (Bundestagsdrucksache 18/3223) und Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Einrichtung von Jugendberufsagenturen“ (Bundestagsdrucksache 18/736).
[6] Z. B. des Bundesnetzwerks Jobcenter, des Deutschen Gewerkschaftsbunds, des Kooperationsverbunds Jugendsozialarbeit.
[7] Beispielsweise wird in Nordrhein-Westfalen der gesamte Übergangsprozess Schule-Beruf von den Kommunen über das landesgeförderte Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ gesteuert. Auch kennen wir positive Ansätze der kommunalen Initiative zur Zusammenarbeit über das Bundesprogramm JUGEND STÄRKEN – Aktiv in der Region.