Kleine Kinder in den stationären Formen der Hilfen zur Erziehung – Anforderungen an die  Ausgestaltung

Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für 
Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Diskussionspapier als PDF

Die in den letzten Jahren intensiv geführte fachliche und politische Debatte über eine Verbesserung des Kinderschutzes, aber auch die mediale Berichterstattung über Kindesmisshandlung und -vernachlässigung haben zu einer erhöhten Sensibilität für den Kinderschutz in der Gesellschaft insgesamt, jedoch vor allem bei den Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe geführt. Der gesellschaftliche Blick ist auf das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen gerichtet, mit dem Ziel, ihnen ein gelingendes Aufwachsen und förderliche Entwicklungsbedingungen zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere für ein rechtzeitiges bzw. frühzeitiges Erkennen von Risiken für die Kindesent-wicklung.  

Der Schutzauftrag in der Kinder- und Jugendhilfe ist in den letzten Jahren fachlich weiterentwickelt und gesetzlich deutlicher ausgestaltet worden.[1] Eine weitere Qualifizierung des Schutzauftrages des Jugendamtes ist mit den Änderungen des SGB VIII durch das Bundeskinderschutzgesetz vorgesehen.

Mit Blick auf die statistischen Zahlen, insbesondere seit 2005, ist ein erheblicher Anstieg der Inobhutnahmen und Heimunterbringungen vor allem kleiner Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren zu verzeichnen. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ befasst sich im vorliegenden Diskussionspapier mit der stationären Unterbringung kleiner Kinder im Alter von 0 bis 6 Jahren und erläutert die Anforderungen an die Ausgestaltung der stationären Heimerziehung sowie die Herausforderungen und Perspektiven für diese Hilfeform.

Ausgangslage 

Die Förderung kleiner Kinder im Allgemeinen sowie deren Schutz im Besonderen haben in den vergangenen Jahren in der öffentlichen Diskussion einen positiven Bedeutungszuwachs erfahren. Die zentrale Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe ist dabei, kleinen Kindern die für ihre Entwicklung und Entfaltung förderlichen Lebensbedingungen zu ermöglichen sowie deren Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu unterstützen und zu stärken. Diese positive Gestaltung der Entwicklungschancen beinhaltet auch, kleine Kinder vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen bzw. entsprechende Risiken frühzeitig zu erkennen und ihnen mit geeigneten Hilfen zur Erziehung entgegenzuwirken. Stellt das Jugendamt bei seiner Gefährdungseinschätzung eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes fest und kann die Entscheidung des Familiengerichts nicht abgewartet werden, ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind in Obhut zu nehmen (§ 8a SGB VIII). Die Inobhutnahme ist mit einer Unterbringung bei einer geeigneten Person, in einer geeigneten Einrichtung oder in einer sonstigen Wohnform verbunden (§ 42 SGB VIII). 

Der komplexe Abwägungsprozess über eine geeignete und notwendige Fremdunterbringung  kann mit einer Sorge der Fachkräfte verbunden sein, nicht angemessen oder nicht rechtzeitig reagieren zu können und in strafrechtliche Verantwortung genommen zu werden.  

Die statistischen Zahlen belegen eine deutliche Zunahme der Inobhutnahmen in den vergangenen Jahren. Insbesondere bei der Altersgruppe der 0- bis 6-Jährigen ist ein Anstieg der Inobhutnahmefälle zu verzeichnen. Bei der Altersgruppe der unter 3-Jährigen ist zwischen 2005 und 2008 die Zahl der Inobhutnahmen um 79 Prozent auf 3.233 angestiegen. Im gleichen Zeitraum ist für die Altersgruppe der 3- bis 6-Jährigen ein Anstieg um 72 Prozent auf 2.310 Inobhutnahmen ausgewiesen.[2] Im Jahr 2010 betrug die Anzahl der Inobhutnahmen von unter 3-Jährigen 3.210, von 3- bis 6-Jährigen 2.182.3 

Parallel dazu ist in den letzten Jahren die Zahl der Heimunterbringungen von Kindern in dieser Altersgruppe ebenfalls angestiegen. Die Fallzahl für Heimerziehungen bei den unter 6-Jährigen ist zwischen 2005 und 2009 von [3].130 bis 4.811 um 54 Prozent angestiegen. Bei einem Anteil von 40 Prozent der unter 6-Jährigen war der Grund für die Unterbringung eine Gefährdung des Kindeswohls.[4] In 2010 lag die Fallzahl der Heimunterbringungen der unter 6-Jährigen bei 4.876 5 und verbleibt demnach auf einem hohen Niveau.

Es ist unbestritten, dass bei der Herausnahme kleiner Kinder aus ihrem familiären Umfeld Bereitschaftspflegefamilien und Pflegekinderverhältnisse eine klare Priorität haben. Angesichts steigender Fallzahlen kann aber nicht in jedem Fall schnell genug eine geeignete (Bereitschafts-)Pflegefamilie gefunden werden. Insbesondere mit den dann notwendig werdenden Unterbringungen in stationären Einrichtungen befassen wir uns im Folgenden. 

Kinder, die eine stationäre Jugendhilfemaßnahme beginnen, haben in der Regel besonders schwierige Lebenssituationen durchlaufen, die nicht selten bereits Entwicklungsbeeinträchtigungen verursacht haben. Bindungs-störungen, mangelnde soziale Kompetenz, Aufmerksamkeitsdefizite und/oder Auffälligkeiten in der Motorik bzw. Sprache sind nur einige von vielen möglichen Folgen eines Alltags mit Mangel an Zuwendung, Förderung und Aufmerksamkeit. Die Herausnahme eines kleinen Kindes aus der Familie stellt eine zusätzliche Belastung für das Kind in dieser entwicklungspsychologisch sensiblen Phase dar und birgt Risiken für Diskontinuitäten. Daher bedürfen Ortswechsel und Beziehungsabbrüche zunächst einer besonderen Legitimation und sodann einer spezifischen pädagogischen Begleitung, vor allem aber einer zügigen Klärung des weiteren Aufenthaltes der Kinder. 

Anforderungen an das Verfahren der Herausnahme kleiner Kinder

Im Fall der Herausnahme kleiner Kinder, werden die Bindungen an die Herkunftsfamilie schon nach einer kurzen Zeit ohne Kontakt zu den Eltern/-teilen beeinträchtigt. So ist beispielsweise eine Woche ohne Kontakt zu den Eltern/-teilen für Kleinkinder ein bereits als äußerst problematisch einzuschätzender Zeitraum. Denn aufgrund ihres kognitiven Entwicklungsstandes ist das subjektive Zeitempfinden bei kleinen Kindern umso „kurzfristiger“ orientiert, je jünger sie sind: Sie können noch nicht wissen, dass eine Person auch dann weiterhin existiert, wenn die Kinder sie länger nicht sehen. Da sie noch nicht über die sogenannte Objekt- und Personenpermanenz verfügen, ist eine Bezugsperson sehr bald „verloren“ und sie reagieren oft mit Abwehr und Misstrauen, wenn diese wieder „auftaucht“. 

Sofern Kinder bereits in Obhut genommen worden sind, führen Verzögerungen im Klärungs- und Entscheidungsprozess über die weiteren Perspektiven für die Kinder und die Familie zu zusätzlichen Belastungen von Kindern und Eltern, die zudem ggf. eine Rückführung sehr erschweren können. Nach der Inobhutnahme kleiner Kinder besteht daher die Notwendigkeit einer zeitnahen Hilfeplanung, das heißt, ein erstes Hilfeplangespräch zur Klärung und Entwicklung von Perspektiven sollte innerhalb von 24 – 48 Stunden geführt werden. Sollte es eine offene Rückkehroption für das Kind geben, muss diese geklärt und ggf. mit unterstützenden Hilfen begleitet werden. Die zeitnahe Klärung ist auch im familiengerichtlichen Verfahren notwendig, um zu verhindern, dass über die entstehenden Bindungen – beispielsweise zur Betreuungsperson – neue Fakten geschaffen und damit Gerichtsentscheidungen beeinflusst werden bzw. ihnen vorgreifen. 

Anforderungen an die Hilfeplanung und an die Fallsteuerung 

Inobhutnahmen und stationäre Hilfen bei kleinen Kindern sind gravierende Einschnitte in die Biografien und Lebenswelten kleiner Kinder. Sie beinhalten immer auch ein Risiko diskontinuierlicher Lebensläufe durch mehrere Ortswechsel und Beziehungsabbrüche und die Gefahr von dadurch bedingten Bindungs- und auch Entwicklungsstörungen. Dies bedeutet aber vor allem, der Erkenntnis in der Praxis zur Geltung zu verhelfen, dass Bindungsbedürfnisse unaufschiebbar sind. Es gibt keine bindungsneutrale Unterbringung: Bindung ist ein Grundbedürfnis, entsprechend gehen Kinder mit den Beziehungsangeboten um, die ihnen gemacht werden. Die Unterbringung kleiner Kinder in Regelgruppen mit Fachkräften im Schichtdienst wird in Einzelfällen fälschlicherweise mit der Vermeidung von Loyalitätskonflikten begründet. Hier muss hervorgehoben werden, dass das Vorenthalten stabiler Beziehungs- und damit auch Bindungsangebote die kindlichen Entwicklungschancen minimieren und nicht etwa Schutz vor Konflikten bieten. 

Die Übergänge zwischen Elternhäusern, vorläufigen Schutzmaßnahmen und langfristigen Lebensorten sind so auch unter bindungsrelevanten Aspekten zu gestalten, beispielsweise durch ritualisierte Abschiede und Anfänge und durch Unterstützung der Kinder durch vertraute Gegenstände (sog. Übergangs-objekte), die sie aus der alten mit in die neue Umgebung mitnehmen. Hierbei muss jedoch stets bedacht werden, dass (wiederholte) Beziehungsabbrüche die Bindungsfähigkeit kleiner Kinder stark beeinträchtigen oder sogar zerstören können, sodass die Anzahl der Vermittlungen auf ein Minimum reduziert werden muss. Diese Übergangsgestaltung stellt für die sozialpädagogischen Fachkräfte vor allem im Hinblick auf die Bindungs-intensität eine enorme Anforderung dar, den Bindungserwartungen des Kindes einerseits gerecht zu werden und dem gegebenenfalls bevor-stehenden Beziehungsabbruch andererseits zu begegnen.      

Im Rahmen der Hilfeplanung steht im Mittelpunkt,  die Risiken und Ressourcen einer Trennung gegenüber den Chancen und Belastungen an einem neuen Lebensort genauestens abzuwägen und die Eltern/den Elternteil hierbei möglichst umfassend einzubeziehen. Ziel muss sein, sowohl für die kleinen Kinder, wie auch deren Eltern/-teil möglichst umgehend eine tragfähige und verlässliche Perspektive zu entwickeln sowie längere Phasen der Unsicherheit zu vermeiden. Insbesondere dann, wenn das kleine Kind längerfristig nicht bei den Eltern/dem Elternteil leben kann, gilt es, um deren Akzeptanz zu werben, sie in dieser veränderten Elternrolle zu beraten und die Kontakte zwischen Eltern/-teil und Kind fachlich zu begleiten. 

Die vertrauensvolle Zusammenarbeit der fallführenden Fachkraft mit den Eltern/dem Elternteil erfordert neben deren fachlicher Kompetenz auch möglichst personelle Kontinuität, die allerdings durch Zuständigkeits-regelungen in den Jugendämtern und auch personelle Fluktuation nicht immer gewährleistet werden kann. Ein personeller Wechsel in der Hilfeplansteuerung kann immer wieder auch zu einer neuen fachlichen Beurteilung der Hilfe, der möglichen Kompetenzen der Eltern und damit zu veränderten Perspektiven für das Kind führen. Im Hinblick auf mögliche zusätzliche Belastungen für die Entwicklung des kleinen Kindes sollten Änderungen im Hilfekonzept, insbesondere auch im Rahmen von Supervision und qualifizierter fachlicher Beratung, vorher gründlich reflektiert werden.

Anforderungen an die Ausgestaltung der Inobhutnahme und der stationären Heimerziehung 

Die Inobhutnahme und stationäre Heimerziehung bietet bereits verschiedene Angebotsformen speziell auch für kleine Kinder und bei Bedarf auch für Geschwisterkinder – beispielsweise in Inobhutnahmestellen, Familiärer Bereitschaftsbetreuung, Kleinstheimen oder familienähnlichen Lebensformen –, die in der akuten Krisensituation eine schnelle Aufnahme ermöglichen und auch im Rahmen von Hilfen zur Erziehung einen neuen Lebensort auf Dauer gewährleisten. Die bereits etablierten Angebote sind im Zusammenwirken der Jugendämter mit den Trägern der freien Jugendhilfe im Interesse der besonderen Bedürfnisse kleiner Kinder noch weiter zu entwickeln. Als Alternativkonzepte der Inobhutnahme könnten gemeinsame stationäre oder auch teilstationäre Angebote für Eltern mit ihren kleinen Kindern in akuten Krisensituationen gestaltet werden, die für kleine Kinder die Beziehungs-kontinuität mit den Eltern/dem Elternteil gewährleisten. Angebote der Beratung und Förderung der Erziehungskompetenz von Eltern/-teilen kleiner Kinder, die in absehbarer Zeit wieder in die Familie integriert werden können, sollten auch über mehrtägige Aufenthalte direkt in der stationären Einrichtung entwickelt und bereit gestellt werden. 

Die Vermischung von stationären, teilstationären und ambulanten Hilfen für kleine Kinder und deren Eltern/-teilen fordert hier neben fachlichen Konzepten auch Vereinbarungen über deren Finanzierung. Stationäre Hilfen für kleine Kinder müssen deren besonderen Bedürfnissen, die sich im Laufe ihrer Entwicklung auch verändern, gerecht werden und gleichzeitig Eltern/-teile und familiäre Bezüge einbeziehen. Dies umfasst beispielsweise eine räumliche Gestaltung und Umgebung, die „mitwächst“, dem Kind altersgemäß Anregung und Freiraum gibt und Kontakte mit der Familie altersgerecht und ungezwungen ermöglicht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass adäquate Beteiligungsformen für kleine Kinder entwickelt werden. 

Kinder im Lebensalter von 0 bis 6 Jahren und insbesondere 0 bis 3 Jahren benötigen im Alltag neben körperlicher Fürsorge und Pflege, viele Hilfestellungen bzw. eine vollumfängliche Betreuung. Die Grundbedürfnisse kleiner Kinder nach Kontinuität, Überschaubarkeit, Sicherheit und Präsenz, insbesondere bezogen auf Bezugspersonen auch oftmals „rund um die Uhr“ stellt die traditionelle Heimerziehung vor ein nicht lösbares Problem. Rechtliche Vorgaben durch Arbeitszeitgesetz und Gesundheitsschutz für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, entsprechend entwickelte Schichtdienst-modelle und auch Personalfluktuation führen zwangsläufig zu einem permanenten Wechsel der „Bezugspersonen“ für das kleine Kind. Familien(-analoge) Wohngruppen mit mindestens einer konstanten Bezugsperson „rund um die Uhr“ werden vielerorts von den Trägern der freien Jugendhilfe angeboten und den Bedürfnissen kleiner Kinder nach Bindung besser gerecht.

Sozialpädagogische Fachkräfte, die im Rahmen von Heimgruppen, Familien(-analogen) Gruppen oder anderen Settings mit kleinen Kindern arbeiten, benötigen spezifische Fachkenntnisse, die sich auf die Lebensphase frühe Kindheit, die darin enthaltenen psychischen und physischen Entwicklungsziele und Risiken sowie auf Erkenntnisse, insbesondere der Entwicklungs-psychologie und Bindungsforschung, beziehen. Die Fachkräfte müssen in der Lage sein, die Gesamtentwicklung des kleinen Kindes richtig einzuschätzen, besondere Belastungsstörungen oder Fehlentwicklungen zu erkennen, Verhaltensweisen und Signale wahrzunehmen und richtig zu interpretieren. Sie müssen angemessen reagieren können und rechtzeitig fachliche Beratung in Anspruch nehmen oder auch zusätzliche Spezialistinnen und Spezialisten einbeziehen. Insbesondere Säuglinge und Kleinkinder, die sich noch nicht differenziert artikulieren können, sind darauf angewiesen, dass ihre Bezugspersonen ihre nonverbalen Feinzeichen wahrnehmen, richtig einschätzen und angemessen darauf reagieren. 

Häufig fehlen Eltern/-teilen, deren Kinder in stationären Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe sind, die Fähigkeit, Signale ihrer kleinen Kinder wahrzunehmen, angemessen einzuordnen und entsprechend zu reagieren. Sie lieben ihre Kinder und sind gleichzeitig nicht in der Lage, deren physische, psychische und seelischen Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen. Elternarbeit muss hier ansetzen: Ist die Rückführung der Kinder zu den Eltern/dem Elternteil geplant, muss neben der Sicherung der äußeren Rahmenbedingungen, wie kindgerechte Umgebung und Gewährleistung der körperlichen Versorgung, auch die nötige Feinfühligkeit für die kindlichen Bedürfnisse und die Fähigkeit vermittelt werden, angemessen darauf zu reagieren. Dies umfasst auch die Bereitschaft der Eltern/des Elternteils, ggf. Hilfe und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. 

Ist die Rückkehr des kleinen Kindes in die Herkunftsfamilie in absehbarer Zeit nicht möglich und die Hilfe, vielleicht in einer Pflegefamilie, auf Dauer angelegt, bleibt gleichwohl die intensive Arbeit mit den Eltern/dem Elternteil notwendig. Die Eltern sind zu befähigen, diese Entscheidung nachhaltig mitzutragen und ihre spezifische Elternrolle im Interesse der weiteren Entwicklung des Kindes zu finden. Dazu gehört auch, die Aufrechterhaltung eines regelmäßigen und guten Kontaktes zwischen Eltern/-teilen und Kindern. Die Eltern/-teile brauchen nachhaltige Unterstützung, diese Entscheidung auch ihrer Umwelt gegenüber selbstbewusst vertreten zu können und Begleitung in der Gestaltung der weiteren Kontakte zu ihrem Kind.

Die Fachkraft in stationären Hilfen ist für das kleine Kind oftmals die wichtigste Bezugsperson und gleichzeitig aufgefordert, bei einer Rückkehroption in die Familie, vielleicht auch bei einer Vermittlung in eine Vollzeitpflege, diesen Prozess zu unterstützen. Die intensive Reflexion ihres beruflichen Handelns durch Supervision ist für die beteiligten Fachkräfte unabdingbar. Dies umfasst auch die Bearbeitung der eigenen emotionalen Betroffenheit, der Position in der Trias Kind-Eltern-Fachkraft sowie insbesondere auch der Begleitung bei Ablösungsprozessen. 

Schließlich gilt es,  alle Möglichkeiten zur Beschleunigung der Verfahren auszuschöpfen, um diese besser mit dem kindlichen Zeitempfinden zu synchronisieren. So muss sich die Dauer der Unterbringung an dem tatsächlichen Hilfebedarf ausrichten und nicht etwa durch gerichtliche und gutachterliche Verfahren verzögert werden.  

Herausforderungen und Perspektiven für die Kinder- und Jugendhilfe 
Die Gründe für eine Herausnahme eines Kindes aus der Familie bzw. für einen Antrag auf Hilfen zur Erziehung durch Eltern/-teile von kleinen Kindern sind vielfältig. Auch  wenn innerhalb der Familie das Wohl des kleinen Kindes gefährdet war, führt die  Trennung nicht nur für das kleine Kind zu einer weiteren Belastung, sondern   für das Familiensystem insgesamt. 

Diese ohnehin bestehende Belastungssituation verschärft sich noch durch langwierige Entscheidungsprozesse im Rahmen der Hilfeplanung, aber auch durch langandauernde familiengerichtliche Verfahren. Hier ist der örtliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe gefordert, die beteiligten Akteure im Rahmen einer Kooperation im Interesse der kleinen Kinder und ihrer Familien zusammen zu bringen. Ziel dieser Kooperation ist eine stringente Hilfeplanung der Fachkräfte durch festgesetzte Prioritäten und Fristen, Vereinbarungen mit Beratungsstellen, dem Gesundheitsamt, Sachverständigen, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Kinderärztinnen und -ärzten für qualifizierte, aber auch zügige zusätzliche fachliche Beurteilungen und die Optimierung der Verfahren mit dem Familiengericht, um zeitnahe Entscheidungen zu erreichen. Hier wären dann auch Verfahrensbeistände sowie Fachanwältinnen und Fachanwälte in die Kooperationsbeziehung und die Lobbyarbeit für die Interessen der kleinen Kinder und ihrer Familien einzubinden. 

Die Gründe für eine Überforderung von Eltern/-teilen und damit verbundenen Risikolagen für kleine Kinder, die schließlich eine Inobhutnahme und stationäre Hilfe erforderlich machen, sind vielfältig. Sie können sich ergeben aufgrund der fehlenden Reife junger Mütter und Väter, fehlender familiärer oder auch nachbarschaftlicher Unterstützung Alleinerziehender sowie aufgrund körperlicher oder psychischer Erkrankungen der Eltern/des Elternteils oder einer problematischen, gewaltbetonten Partnerbeziehung. Entsprechend breit gefächert muss vor Ort das Netz früher Hilfen zur Unterstützung der Familien bereits im Vorfeld aufgestellt sein. Gleichwohl sind frühe Hilfen nicht in jedem Einzelfall ausreichend und geeignet, kleinen Kindern den notwendigen sicheren Rahmen und die Förderung der Entwicklung zu geben. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind gemeinsam mit den Trägern der freien Jugendhilfe vor Ort z.B. im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften i.S.d. § 78 SGB VIII gefordert, die bestehenden Angebote mit Blick auf die kleinen Kinder und deren Familien weiterzuentwickeln und punktuell auch mit dem Gesundheitsbereich wie Familienhebammen, Kinderkrankenschwestern, aber auch mit Frühförder-stellen, Psychiatrie, Suchthilfe und Behindertenverbänden zu vernetzen.

Die besonderen Anforderungen an das Verfahren der Herausnahme der kleinen Kinder, an die Hilfeplanung und Fallsteuerung sowie an die Ausgestaltung der stationären Formen der Heimerziehung erfordern eine hohe Qualifikation der sozialpädagogischen Fachkräfte und entsprechende personelle und zeitliche Ressourcen. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion um die Personalbemessung und eine etwaige Fallzahlbegrenzung im ASD von Bedeutung.  

Angebote (neben den Angeboten nach § 19 SGB VIII), die eine gemeinsame stationäre Unterbringung der gesamten Familie ermöglichen, und die flexible und bedarfsgerechte Ausgestaltung der Übergänge zwischen stationären, ambulanten und teilstationären Hilfen müssen weiterentwickelt werden. Darüber hinaus sind  verstärkt Konzepte stationärer Hilfen, die über intensive Elternarbeit die Rückkehr von Kindern in die Familie anstreben, zu realisieren. Kehrt ein kleines Kind in die Familie zurück, so muss dies gelingen und darf nicht als Probe für die Eltern gestaltet sein. Dies sollte für die verantwortlichen Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe unumstößliches Ziel sein. 


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 24./25. November 2011  

 

[1] Im Rahmen der Novellierung des SGB VIII in 2005 durch das KICK und die damit verbundene Einführung des § 8a SGB VIII und der Neufassung des § 42 SGB VIII 
[2] Pothmann, J.: Fallzahlenzunahme für die Inobhutnahmen im Kontext einer Kinderschutzdebatte und sich verändernder rechtlicher Rahmenbedingungen, in: Forum Jugendhilfe Heft 3/2009, S. 43 ff.
[3] Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – vorläufige Schutzmaßnahmen, 2010; eigene Berechnungen
[4] Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- & Jugendhilfestatistik – AKJStat: Heimerziehung – gestern, heute und morgen, in: KomDat Heft 1 & 2 / 11, S. 18 ff.
[5] Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfe, Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen, Hilfe für junge Volljährige, 2010; eigene Berechnungen