Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ zur Vorbereitung des XX. Hauptgutachtens der Monopolkommission gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 GWB
Vorbemerkungen
In dem Zwölften Hauptgutachten der Monopolkommission 1996/1997 (S. 330 ff.) ist die Kinder- und Jugendhilfe explizit als ein Sozialleistungsträger benannt worden, der durch ein enges Kooperations- und Austauschgeflecht zwischen Staat und Freier Wohlfahrtspflege charakterisiert ist. Diese u.a. im SGB VIII geregelten Kooperationsstrukturen werden in dem Gutachten als neokorpora-tistische Strukturen in dem Sinne bewertet, dass Koordinations-leistungen jenseits einer wettbewerblichen Marktordnung stattfinden. Kritikwürdig erscheinen in diesem Kontext eine mangelnde Konsumentensouveränität, die schwache Stellung der Leistungs-empfänger und Leistungsempfängerinnen sowie die fehlende demokratische Legitimation neokorporatistischer Absprachen. Leistungsberechtigte – so das Zwölfte Hauptgutachten – hätten nur einen sehr geringen Einfluss auf die Qualität und Ausgestaltung des Angebotes, es fehle eine kundenorientierte interne und externe Kontrolle der Leistungserbringung und Mittelverwendung. Gefordert wird eine wettbewerblich orientierte Reform des sozialen Versorgungssystems, deren marktwirtschaftlichen Strukturen bspw. durch die Nicht-Diskriminierung anderer Leistungserbringer und einen ungehinderten Marktzugang gekennzeichnet wären, die Stärkung einer Gewinnorientierung durch die Reform des Gemeinnützigkeitsprivilegs wird ebenso empfohlen wie der Übergang von der Objekt- zur Subjektförderung (S. 345 ff.).
Auch wenn an dieser Stelle nicht der Ort ist, die im Zwölften Hauptgutachten formulierten Annahmen und Perspektiven einer notwendigen kritischen Würdigung zu unterziehen, so soll doch darauf hingewiesen werden, dass bereits im Elften Kinder- und Jugendbericht (2002) vor den Folgen eines rein marktförmig organisierten preisgesteuerten Wettbewerbs zuungunsten eines fachlich gesteuerten Qualitätswettbewerbs in der Kinder- und Jugendhilfe nachvollziehbar gewarnt worden ist. Erfahrungen der Kinder- und Jugendhilfe mit der Ausschreibungspraxis der Bundesagentur für Arbeit verweisen ebenfalls darauf, dass rein marktkonforme Praxen zu erheblichen Qualitätseinbußen der Leistungen beitragen und zu einem Ausschluss von Trägern führen können, denen die materiellen Grundlagen der Einlösung fachlicher Standards der Leistungserbringung entzogen werden. Schließlich gilt es darauf hinzuweisen, dass sich seit der Veröffentlichung der Zwölften Hauptgutachtens in der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur eine Intensivierung des Wettbewerbs bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen und eine teilweise Neuregelung von Finanzierungsstrukturen durchgesetzt haben. Wesentlicher ist, dass die Beibehaltung und Umsetzung des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses in der Kinder- und Jugendhilfe den öffentlichen Träger in der Wahrnehmung seiner Verantwortung stärkt sowie seiner Verpflichtung zur Planung und Gewährleistung einer bedarfsgerechten Angebots- und Trägervielfalt Rechnung trägt. Freie Träger garantieren im Rahmen des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses die rechtlich gebotene Pluralität des Leistungsangebotes und tragen so entscheidend dazu bei, dass Nutzer und Nutzerinnen von Leistungen und Angeboten ihr Wunsch- und Wahlrecht realisieren können. Eine Anwendung des Vergaberechtes würde von daher im Widerspruch zu zentralen Grundprinzipien des SGB VIII stehen.
Vor diesem Hintergrund nimmt die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ im Weiteren zu den die Organisation der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland betreffenden Fragen Stellung.
1. Welche Marktanteile haben die öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Träger der Kinder- und Jugendhilfe und wie haben sich diese Marktanteile in den letzten Jahren verändert?
Grundsätzlich ist die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland gekennzeichnet durch eine Vielfalt von Trägern, die sich durch unterschiedliche Wertorientierungen sowie durch plurale Inhalte, Methoden und Arbeitsweisen voneinander unterscheiden (§ 3 Abs. 1 SGB VIII). Die Leistungen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien werden von Trägern der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe (Jugendamt und Landesjugendamt) und von den Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe erbracht (§ 3 Abs. 2 SGB VIII). Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den Trägern der öffentlichen und der freien Kinder- und Jugendhilfe ist der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit zum Wohl der Adressatinnen und Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe verpflichtet (§ 4 Abs. 1 S. 1 SGB VIII). Festgelegt ist außerdem, dass bei einem (rechtzeitigen) Angebot von geeigneten Einrichtungen, Diensten und Veranstaltungen durch die freie Kinder- und Jugendhilfe die öffentliche Kinder- und Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen (§ 4 Abs. 2 SGB VIII) und die freie Kinder- und Jugendhilfe fördern sowie die verschiedenen Formen der Selbsthilfe stärken soll (§ 4 Abs. 3 SGB VIII).
Das SGB VIII enthält keine eigene Definition der Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe. Zu verstehen sind darunter alle natürlichen oder juristischen Personen, die im verwaltungsrechtlichen Sinne nicht öffentlich-rechtlich sind. Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe sind nach privat-gemeinnützig und privat-gewerblich zu unterscheiden.
Für eine Trägerprivilegierung und damit einhergehende Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit gibt es im SGB VIII keine Rechtsgrundlage.
Die im Anhang beigefügten Tabellen der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik des Forschungsverbundes DJI/TU Dortmund geben einen aktuellen Überblick über die Fallzahlen im Bereich der Hilfen zur Erziehung nach Trägergruppen (öffentlicher Träger, freigemeinnütziger Träger und privatgewerblicher Träger). Insgesamt liegt das Verhältnis zwischen den öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe in Westdeutschland bei etwa eins zu zwei sowohl in Hinblick auf die Zahl der Einrichtungen und Plätze als auch in Bezug auf das Personal, worin insbesondere die hohe Bedeutung zivilgesellschaftlicher Akteure zum Ausdruck kommt. In Ostdeutschland sind in den letzten Jahren die hohen Anteile der öffentlichen Träger stark zurückgegangen, so dass eine deutliche Annäherung an das westdeutsche Modell der kooperativen Wahrnehmung der öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen durch öffentliche und frei-gemeinnützige Träger zu verzeichnen ist. Demgegenüber haben privat-gewerbliche Träger in der Kinder- und Jugendhilfe keine signifikante Bedeutung erlangt. Länderspezifische Unterschiede in der Förderpraxis privatgewerblicher Träger im Bereich der Kindertageseinrichtungen führen in diesem Handlungsfeld in einigen Bundesländern zwar zu erhöhten Anteilen privat-gewerblicher Träger, ihre Einbeziehung in die staatliche Förderung führt aber auch in diesen Bundesländern nicht zu einschneidenden Veränderungen im Trägerspektrum.
2. Gibt es Unterschiede bei der finanziellen und/oder nicht finanziellen Förderung von Einrichtungen in unterschiedlicher Trägerschaft?
Der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe ist verpflichtet, die Erbringung von Leistungen und die Wahrnehmung von Aufgaben – im Rahmen der Gewährleistungs- und Planungsverpflichtung nach §§ 79 und 80 SGB VIII – sicherzustellen. Dabei kann er sich der Leistungserbringung durch Dritte bedienen. Folgende Rechts-beziehungen bzw. verschiedene Finanzierungsformen sind dafür im SGB VIII vorgesehen:
Die Erbringung rechtsanspruchsgesicherter Leistungen, die durch Dritte vorgenommen wird, erfolgt auf der Grundlage des jugendhilfe-rechtlichen Dreiecksverhältnisses – Leistungsberechtigter (Bürgerin/-Bürger), (öffentlicher) Leistungsträger und (privater) Leistungs-erbringer/Leistungsanbieter. Zwischen dem Leistungsträger und Leistungserbringer werden Vereinbarungen – öffentlich-rechtlicher Vertrag – geschlossen, die unter anderem die Entgelte betreffen. Rechtsgrundlage für eine Entgeltübernahmefinanzierung sind §§ 78a ff. SGB VIII (stationäre und teilstationäre Leistungen) und für alle nicht in § 78a Abs. 1 SGB VIII genannten Leistungen § 77 SGB VIII. Die Leistungsentgelte beziehen sich auf sämtliche Kosten der Leistungserbringung, die in Form von Fachleistungsstunden bzw. Tagessätzen abgerechnet werden. Privat-gemeinnützig und privat-gewerbliche Träger sind ohne Unterschiede gleichermaßen im § 78a ff. SGB VIII einbezogen. Wenn Träger der Kinder- und Jugendhilfe eine Betriebserlaubnis nach §§ 43-45 SGB VIII besitzen, sind sie umsatzsteuerfrei gestellt und das unabhängig davon, ob es sich bei diesen Trägern um privat-gemeinnützige oder privat-gewerbliche Träger oder Privatpersonen handelt.
Für Leistungen, auf die im Gesetz kein Rechtsanspruch besteht oder bei denen gegenüber dem Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe der Rechtsanspruch aus dem Gesetz nicht geltend gemacht wird, kommt eine Finanzierung im Rahmen von Zuwendungen nach § 74 SGB VIII sowie eine Finanzierung gegenseitiger Leistungsverträge auf der Rechtsgrundlage von § 77 SGB VIII in Betracht. Bei Zuwendungen erhält der freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe eine pauschale Finanzierung für die Zurverfügungstellung eines Angebotes in Form von Einrichtungen, Diensten oder Veranstaltungen. Neben der Anerkennung als gemeinnütziger Träger sind die fachliche Eignung des Trägers und die Gewährleistung einer wirtschaftlichen und zweckbestimmten Mittelverwendung Voraus-setzung für die Förderung.
Vereinbarungen nach § 77 SGB VIII können sowohl eine nachträgliche Einzelfallabrechnung als auch eine Vorabfinanzierung mit nach-träglicher Einzelabrechnung sowie pauschal finanzierte Leistungen beinhalten. Die Gemeinnützigkeit des Trägers ist hier keine Finanzierungsvoraussetzung. Die Wahl der Finanzierungsform liegt im Ermessensspielraum des öffentlichen Trägers.
3. Welche Wettbewerbshemmnisse sehen Sie im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe?
Während somit im Bereich der Entgeltübernahme Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII mit allen Trägern – öffentlich, privat-gemeinnützig oder privat-gewerblich – abgeschlossen werden können, kommt eine Zuwendungsfinanzierung nach § 74 SGB VIII nur für die Träger in Betracht, die gemeinnützige Ziele verfolgen (§ 74 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VIII).
Eine Definition des Begriffes „gemeinnützige Zwecke“ gibt § 52 der Abgabenordnung, nach der rein gewerbliche Träger ausgeschlossen sind und für die somit eine Förderung nach § 74 SGB VIII nicht möglich ist. Ansonsten gilt für alle anderen Träger die Notwendigkeit des Nachweises der Gemeinnützigkeit, beispielsweise durch das Finanzamt.
Eine Zuwendung bzw. auf Dauer angelegte Förderung setzt Eigenmittel des Trägers voraus, was für die freien Träger zu erheblichen Herausforderungen führen kann, worauf nicht zuletzt im 14. Kinder- und Jugendbericht hingewiesen worden ist, wenn die Sachverständigen-kommission festhält, dass hinsichtlich einer optimalen bedarfs-orientierten Angebotsstruktur die freien Träger von Einrichtungen zunehmend vor manchmal kaum zu lösende Probleme der Finanzierung gestellt werden. „Diese resultieren auch daraus, dass die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe auch vorgehalten werden müssen, um im richtigen Moment in Anspruch genommen werden zu können. (…) Hier müssen die Träger die Gesamtfinanzierung sichern, obwohl dies allein von ihnen (…) auch angesichts der mitunter ‚marktorientierten’ Förderung nicht immer leistbar ist. (…) Voraussichtlich werden sich nicht wenige Träger der freien Jugendhilfe in den nächsten Jahren organisatorisch-strukturell fortentwickeln (müssen), um zukunftsfähig zu bleiben“ (BMFSFJ, 2013:392).
Im Bereich der Kindertagesbetreuung können alle Träger von Einrichtungen, die die rechtlichen und fachlichen Voraussetzungen für den Betrieb einer Einrichtung erfüllen, gefördert werden. Die Regelung zur Finanzierung kann durch Landesrecht vorgenommen werden (§ 74a SGB VIII).
So genannte „andere Aufgaben“ der Kinder- und Jugendhilfe (§ 76 Abs. 1 SGB VIII) umfassen hoheitliche Aufgaben und können ausschließlich auf anerkannte Träger der freien Kinder- und Jugendhilfe übertragen werden. Die Anerkennung als freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe ist in § 75 SGB VIII geregelt. Sie nimmt Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip und damit auf die Gemeinwohlorientierung der anerkannten freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Die Gemeinnützigkeit eines freien Trägers der Kinder- und Jugendhilfe schließt die Ausschüttung von Gewinnen aus und beinhaltet die Verpflichtung, diese ausschließlich für gemeinnützige Zwecke zu verwenden. Die Anerkennung als freier Träger ist zudem die Voraussetzung für eine stimmberechtigte Mitgliedschaft im Jugendhilfeausschuss (§ 71 SGB VIII) und die im § 80 SGB VIII geregelte Beteiligung an der Jugendhilfeplanung.
4. Wie sind die Jugendhilfeausschüsse organisiert und wie setzen sie sich zusammen?
Die Kinder- und Jugendhilfe hat die Aufgabe, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern und dazu beizutragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Dafür gilt es, einen Beitrag für die Schaffung positiver Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien zu leisten. Daneben soll die Kinder- und Jugendhilfe Eltern und andere Erziehungsberechtigte bei der Erziehung beraten und unterstützen und Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl schützen (§ 1 SGB VIII). Für diese und weitere Aufgaben errichtet jeder örtliche Träger ein Jugendamt bzw. jeder überörtliche Träger ein Landesjugendamt (§ 69 Abs. 3 SGB VIII). Dabei werden die Aufgaben des Jugendamtes durch den Jugendhilfeausschuss und durch die Verwaltung des Jugendamtes wahrgenommen (§ 70 Abs. 1 SGB VIII), was eine sogenannte Zweigliedrigkeit des Jugendamtes bedeutet.
Dem Jugendhilfeausschuss stehen Beschluss-, Antrags- und Anhörungsrechte zu. So hat der Jugendhilfeausschuss in Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe ein Beschlussrecht, das allerdings begrenzt wird durch die von der Vertretungskörperschaft (Stadtrat, Kreistag u.a.) bereitgestellten Mittel, durch die von ihr erlassene Satzung und der von ihr gefassten Beschlüsse (§ 71 Abs. 3 S. 1 SGB VIII). Dem Jugendhilfeausschuss steht zudem ein Anhörungsrecht insofern zu, als dass er vor jeder Beschlussfassung der Vertretungskörperschaft in Fragen der Kinder- und Jugendhilfe angehört werden soll (§ 71 Abs. 3 S. 2 SGB VIII). Die Vertretungskörperschaft ist im Verhältnis zum Jugendhilfeausschuss das übergeordnete Organ.
Zusammengesetzt ist der Jugendhilfeausschuss nach bundes-rechtlicher Regelung mit drei Fünfteln der Mitglieder der Vertretungskörperschaft des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe oder von ihr gewählte Frauen und Männer, die in der Kinder- und Jugendhilfe erfahren sind (§ 71 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII). Zwei Fünftel sind Frauen und Männer, die von den im Bereich des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe wirkenden und anerkannten Träger der freien Jugendhilfe vorgeschlagen und von der Vertretungskörperschaft gewählt werden (§ 71 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII). Das Vorschlagsrecht gilt für die Träger der freien Jugendhilfe, die anerkannt sind. Dies können juristische Personen oder Personenvereinigungen sein, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe im Sinne deren Aufgabenbereiche nach § 1 SGB VIII tätig sind, gemeinnützige Ziele verfolgen, über entsprechende fachliche und personelle Voraussetzungen für die Aufgabenerfüllung verfügen und schließlich die Gewähr für eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit bieten (§ 75 Abs. 1 SGB VIII).
Die Mindestzahl der stimmberechtigten Mitglieder im Jugendhilfe-ausschuss beträgt zehn. Zusätzliche Personen oder Institutionen können als beratende Mitglieder ohne Stimmrecht hinzugezogen werden. Weitergehende Regelungen, unter anderem zur Zusammensetzung sowie zum Verfahren und zur Ausgestaltung der Geschäftsordnung des Jugendhilfeausschusses, können durch Landesrecht getroffen werden (§ 71 Abs. 5 SGB VIII).
Der Jugendhilfeausschuss ist für die kommunale Kinder- und Jugendhilfepolitik das zentrale Gremium – er befasst sich mit allen Angelegenheiten der Kinder- und Jugendhilfe. Zu seinen Aufgaben gehören insbesondere die Erörterung aktueller Problemlagen junger Menschen und ihrer Familien sowie die Auseinandersetzung mit Anregungen und Vorschlägen für die Weiterentwicklung der Jugendhilfe, die Förderung der freien Jugendhilfe sowie die Jugendhilfeplanung (§ 71 Abs. 2 SGB VIII).
Die Jugendhilfeplanung nimmt dabei einen Schwerpunkt für die Befassung des Jugendhilfeausschusses ein. Sie ist Grundvoraus-setzung für die Entwicklung einer bedarfsgerechten Angebotsstruktur der Kinder- und Jugendhilfe. Eine entsprechende soziale Infrastruktur entwickelt sich grundlegend in der Aushandlung von Konzepten zwischen Jugendamt und Trägern der freien Kinder- und Jugendhilfe, der partnerschaftlichen Auswertung der Ergebnisse sowie der gemeinsamen Fortschreibung der Konzepte, was ausreichende sächliche und personelle Mittel voraussetzt, um ihrer Steuerungs-verantwortung in qualifizierten Infrastrukturplanungs- und Entwicklungs-prozessen jenseits von Einzelfallentscheidungen gerecht werden zu können. Von daher betont die AGJ, dass die Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe zielgruppenbezogen und bedarfsgerecht zu entwickeln ist, ihre Wirksamkeit und Funktionalität ständig überprüft und ggf. angepasst werden muss. Strukturen und Entwicklungen im sozialen Nahraum sind dabei ebenso im Blick zu halten wie die Nutzung vorhandener Angebote durch junge Menschen und ihre Familien. Grundlage dafür ist eine kommunale Kinder- und Jugendbericht-erstattung, auf welcher die Planung der Infrastrukturangebote unter Beteiligung ihrer (potenziellen) Nutzerinnen und Nutzer sowie in enger Kooperation mit den Trägern bestehender Einrichtungen und Dienste aufbauen kann. Eine solche gleichermaßen datenbasierte wie beteiligungsorientierte Jugendhilfeplanung ist als offene Entwicklungs-planung anzulegen. Die Gestaltung einer Infrastruktur, die vorausschauend, fördernd und problemvermeidend wirken soll, bedarf einer diskursorientierten Jugendhilfeplanung als Instrument des Austarierens zwischen Bedarfsdynamik und Angebotsentwicklung, als Instrument der Evaluation (in Verbindung mit der Qualitätsentwicklung nach § 79a SGB VIII) und Nachsteuerung.
Ein Ergebnis der Jugendhilfeplanung sind Beschlussvorschläge zum Mitteleinsatz, die von der Mehrheit der Mitglieder des öffentlichen Trägers der Kinder- und Jugendhilfe mitgetragen werden müssen und unter dem Vorbehalt des Finanzausschusses stehen. Grundlage solcher Beschlüsse ist eine Gesamtsicht auf die Kinder- und Jugendhilfe und die durch sie vertretenen Belange junger Menschen und ihrer Familien. Wesentliche Voraussetzung einer solchen Gesamtsicht bzw. daran anknüpfender Entscheidungsprozesse ist die in der spezifischen Konstruktion des Jugendamtes angelegte Potentialität, zum Teil divergierende Interessen so miteinander zu verknüpfen, dass den Anliegen von Kindern, Jugendlichen und ihrer Familien fachlich angemessen und begründet auch jenseits singulärer Trägerinteressen entsprochen werden kann. In der Bündelung der vielfältigen Erfahrungen, Ansätze und Konzepte sowie der Wertorientierungen eines breiten Trägerspektrums findet die Pluralität der Lebenswelten von Kindern, Jugendlichen und ihrer Familien ihren angemessenen Ausdruck und werden deren Interessen mittelbar durch die Träger vertreten. Jugendhilfeausschüsse haben somit nicht nur ein fachpolitisches, sondern vor allem auch ein kinder- und jugendpolitisches Mandat und nehmen von daher eine anwaltschaftliche Funktion wahr.
Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 02. April 2014