Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen als Teil einer Gesamtstrategie zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung
Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Positionspapier als PDF
Das Bundeskabinett hat am 22. April 2009 den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommu-nikationsnetzen beschlossen. Hiermit sollen bereits bestehende freiwillige Abkommen zwischen dem Bundeskriminalamt und Internetanbietern auf eine gesetzliche Basis gestellt werden. Damit würden auch weitere Anbieter einbezogen, die keine Abkommen ohne Gesetz schließen wollen. Per Artikelgesetz sind hierzu diverse Änderungen des Telemediengesetzes und des Telekommuni-kationsgesetzes vorgesehen. Im Kern soll eine vom Bundes-kriminalamt zu erstellende und zu verantwortende Liste mit zu sperrenden Seiten[1 arbeitstäglich an die Zugangsanbieter (Provider) übermittelt werden. Diese sollen verpflichtet werden, mittels „geeigneter und zumutbarer technischer Maßnahmen“ Nutzeranfragen auf sogenannte Stopp-Seiten umzuleiten, welche auf die Strafbarkeit des kinderpornographischen Inhalts und eine Kontaktmöglichkeit zum BKA verweisen. Die Bundesregierung will dem Bundestag innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten Bericht über die Anwendung des Gesetzes erstatten.
Problemaufriss
Taten gegen die körperliche Unversehrtheit (§§ 223 ff. StGB) und sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 – 184g StGB) sind in Deutschland unter Strafe gestellt. Im Kampf gegen Kinder-pornographie werden insbesondere der sexuelle Missbrauch von Kindern (§ 176 StGB) sowie die Verbreitung, der Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften (§ 184b StGB) strafrechtlich verfolgt. Damit sind zwar wirksame Mittel für die Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet vorhanden; die aus § 184b StGB resultierende Verpflichtung für Provider, entsprechende Inhalte zu entfernen, ist jedoch auf deutsche Server beschränkt.
Unabhängig von schwer zu validierenden Verbreitungs- und Zugriffszahlen stellen die Ermittlungsbehörden eine allgemeine Zunahme mit Tendenz zu immer brutaleren Darstellungen und immer jüngeren Opfern fest: Die Polizeiliche Kriminalstatistik[2] verzeichnet seit Jahren einen konstanten Anstieg beim Besitz, der Beschaffung und Verbreitung von Kinderpornographie (2006: 7.318 Fälle; 2007: 11.357 Fälle). Bei der Besitzverschaffung von Kinderpornographie durch das Internet gab es von 2006 auf 2007 einen Zuwachs von 2.936 auf 6.206 Fälle. Bilder im Internet zeigen zunehmend Gewaltausübungen gegen Kleinkinder oder sogar Kleinstkinder, die schwer missbraucht und misshandelt werden. Die Dimension der Verbreitung von Kinderpornographie über das Internet in Deutschland verdeutlicht die Anzahl der Beschuldigten in einzelnen großen Ermittlungskomplexen allein in Deutschland.[3]
Es gibt unterschiedliche Angaben über den kommerziellen Anteil am Gesamtmarkt für kinderpornografische Schriften im Internet, so auch über den jenseits von Web- und FTP-Servern[4] stattfindenden Austausch (z. B. über E-Mail, Peer-to-Peer-Netzwerke, Mobilfunk).[5] Mit technischen Sperrmaßnahmen, wie sie der vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, ist diese Form der Verbreitung nicht erreichbar.
Vom Gesetzentwurf ausgenommen sind außerdem diejenigen Diensteanbieter, die den Zugang für unter 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommerziell anbieten sowie staatliche Einrichtungen, zum Beispiel Behörden, Bibliotheken, Universitäten und Schulen.
Das Datenschutzrecht verlangt auf Verfassungs- und Gesetzesebene den Schutz des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung und damit den Schutz von personenbezogenen Daten. Das Erheben solcher Daten durch das Bundeskriminalamt ist ebenso wie das Speichern, Verändern und Übermitteln – also ein Eingriff in die grundrechtliche Schutzsphäre – verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn eine Rechtsvorschrift dieses zulässt oder die/der Geschützte insoweit eingewilligt hat. Fehlt es hieran, ist die Grundrechts-einschränkung verfassungswidrig, unabhängig davon, welches andere Grundrecht (hier: die Würde der betroffenen Kinder) zu Lasten des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung geschützt werden soll. Sperrmaßnahmen, die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere das Fernmeldegeheimnis sowie das Recht auf infomationelle Selbstbestimmung verletzen, erfordern somit eine gesetzliche Grundlage, damit die Diensteanbieter die notwendigen technischen Maßnahmen im rechtssicheren Raum umsetzen können.
Kampf gegen Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen als Teil einer Gesamtstrategie
Die AGJ begrüßt das laufende Gesetzgebungsverfahren zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten über deutsche Provider auf ausländischen Servern. Sie ist eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme zur gesellschaftlichen Ächtung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.
Der Gesetzentwurf enthält die für die Sperrung gelisteter kinderpornographischer Webseiten sowie die Umleitung auf eine Stopp-Seite notwendige gesetzliche Einschränkung des Grundrechts des Fernmeldegeheimnisses.
Die geplante Sperrliste mit Internetseiten, die Kinderpornographie enthalten oder dem Verweis auf entsprechende Seiten dienen, ist geeignet, zufällige oder lediglich auf der Eingabe von Domain-Namen (www-Adresse) basierende Zugriffe zu verhindern. Damit könnten sowohl irrtümliche als auch aus „reiner Neugier“ motivierte Zugriffe verhindert werden. Für die Stopp-Seite vorgesehene Hinweise darauf, dass durch die Dokumentation und Veröffentlichung der Taten die Opfer zusätzlich traumatisiert und dauerhaft stigmatisiert werden, und dass Nachfrage zumindest mittelbar die Begehung weiterer Missbrauchstaten fördert, können sinnvolle Aufklärung leisten. Vor dem Hintergrund der deutlich gestiegenen Verbreitungs- und Zugriffszahlen steht die Einschränkung des Fernmeldegeheimnisses in einem ausgewogenen Verhältnis zu dem mit den gesetzlichen Regelungen verfolgten Zweck, Seiten, mit denen Kinderpornographie verbreitet und auf einfache Weise weltweit verfügbar gemacht wird, zu blockieren.
Das geplante Verfahren ist jedoch technisch nicht geeignet, Internetseiten auf ausländischen Servern wirksam unzugänglich zu machen – so reicht zum Beispiel bereits die Kenntnis der IP-Adresse eines einschlägigen Angebotes aus, um diese Form der Sperre zu umgehen. Einen geeigneteren, verfassungsrechtlich jedoch bedenklichen, Eingriff auf der IP-Ebene[6] sieht der Gesetzentwurf nicht verpflichtend vor. Eine solche gesetzliche Regelung zum Schutz der von Pornographie betroffenen Kinder würde dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wohl nicht genügen. Die jetzt vorliegende, technologieneutrale Formulierung mit der Mindestforderung nach DNS-Sperrungen und den Geboten Eignung, Effizienz und Verhältnismäßigkeit ist einerseits konsensfähig, spiegelt aber andererseits das Dilemma der Diskussion wider. Letztlich handelt es sich um eine notwendige Sicherstellung von Kinderrechten / Kinderschutz, ohne die Informationsfreiheit im Internet unangemessen einzuschränken. Aus Sicht der AGJ darf der Kampf gegen Kinderpornographie weder zu einer verfassungsfeindlichen „Durch-regulierung des Internet“ und unzulässigen Beschränkung grenzüberschreitenden Informationsaustauschs führen, noch darf er Symbolpolitik bleiben. Es ist notwendig, ihn als Teil einer Gesamtstrategie gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder zu führen:
1. Ein Ziel des Kampfes gegen Kinderpornographie im Internet muss eine international verbindliche Gesetzgebung sein. Die AGJ begrüßt ausdrücklich die aktuellen Vorschläge der Europäischen Kommission für entsprechende Rahmenvereinbarungen (25.3.2009), die nach Diskussion im EU-Ministerrat in nationales Recht umgesetzt werden könnten. Die internationale Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung (z. B. über Interpol) muss intensiviert werden, zu begrüßen sind Aktivitäten der EFK (Europäischen Finanzkoalition)[7] und der angekündigte Beitritt Deutschlands zu CIRCAMP (Cospol Internet Related Child Abusive Material Project)[8]. Darüber hinaus werden rechtliche Grundlagen zum Löschen bereits eingestellter und identifizierter Inhalte auf ausländischen Servern sowie zur Schließung von Websites benötigt. Es ist internationaler Druck auf die Staaten notwendig, die Kinderpornographie unzureichend oder schleppend verfolgen. Bei der Suche nach erfolgreichen nationalen und internationalen Maßnahmen ist es wichtig, sowohl positive als auch negative Erfahrungen aus Ländern, die bereits Sperrmaßnahmen auf vertraglicher oder gesetzlicher Basis anwenden (z. B. Großbritannien, Schweden, Norwegen, Finnland, Dänemark, Italien, Belgien, Schweiz, Neuseeland, Kanada) einzubeziehen. Beispielhaft sind Projekte und Netzwerke im Rahmen des EU-Programms „Safer Internet“.
2. Die AGJ fordert, den Kampf gegen Kinderpornographie im Internet im breiten Rahmen einer globalen Gesamtstrategie gegen sexuelle Ausbeutung von jungen Menschen (laut UNICEF werden weltweit jährlich 12 Milliarden Euro durch sexuelle Ausbeutung von Kindern umgesetzt) zu diskutieren und begrüßt ausdrücklich den „Pakt von Rio des Janeiro zur Prävention und Unterbindung sexueller Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen“ (III. Weltkongress, November 2008).
Zu berücksichtigen sind sowohl
- die sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen als auch
- die sexuelle Gewalt von Kindern und Jugendlichen,
- der Kinderhandel,
- die Kinderschutzstandards in Institutionen (z. B. in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe) sowie
- der Kinderschutz im Rahmen der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen im privaten Sektor (z. B. Kodizes der Tourismusindustrie, Mobilfunkunternehmen, Kreditunternehmen).
Die hiermit verbundenen Formen von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche stehen in engem Zusammenhang und sind eine Grundlage für die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von jungen Menschen. Ein wichtiger Teil einer Gesamtstrategie muss der Aufklärung und Prävention sowie der Vermittlung von Medienkompetenz sowohl an Kinder und Jugendliche, aber auch an Eltern und Fachkräfte dienen.
3. Die AGJ begrüßt Pläne, den „Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung“ fortzuschreiben und ihn in den NAP „Für ein kindergerechtes Deutschland“ zu integrieren.
4. Die AGJ betont die Bedeutung gemeinsamer Begriffe und Definitionen beim Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Begriffe wie „sexuelle Gewalt“, „sexueller Missbrauch“, „sexuelle Übergriffe“, „sexuelle Grenzverletzungen“, „Vergewaltigung“ werden häufig willkürlich verwendet. Die AGJ schließt sich der Forderung des III. Weltkongresses in Rio an, eine „eindeutige Definition von Kinderpornographie gemäß internationalen Standards zu beschließen“.
5. Als Teil einer Gesamtstrategie gegen sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche hält die AGJ deren Mitwirkung an der Ausgestaltung von Präventionsprogrammen und Hilfeangeboten für zwingend erforderlich. Viele Kinder und Jugendliche verfügen über Erfahrungen mit sexuellen Grenzverletzungen im Alltag. Darüber hinaus können sie unverzichtbare spezifische Medienerfahrungen und -kompetenz einbringen.
6. Für einen erfolgreichen Kampf gegen Kinderpornographie sind die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen. Das betrifft sowohl die Strafverfolgung (bessere technische Ausstattung, mehr und besser qualifizierte Ermittlerinnen und Ermittler, bessere Opfer- und Täteridentifizierung) als auch die Forschung und die Unterstützungsangebote für Opfer sowie die Täterarbeit.
Die angestrebten gesetzlichen Neuregelungen signalisieren zwar, dass rechtsfreie Räume in der Bekämpfung von Kinderpornographie auch in der virtuellen Welt des Internet nicht toleriert werden, notwendig ist jedoch die Bekämpfung von Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen als Teil einer Gesamtstrategie zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung.
Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 19. Mai 2009
[1] Liste über vollqualifizierte Domainnamen, Internet-Protocol-Adressen und Zieladressen von Telemedienangeboten, die Kinderpornographie nach § 184b StGB enthalten oder deren Zweck darin besteht, auf derartige Angebote zu verweisen
[2] Vgl. Bundeskriminalamt: Organisierte Kriminalität (Bundeslagebild 2007)
[3] z. B. Operation Marcy: 530; Operation Penalty: über 1.000; Operation Mikado: 322; Operation Himmel: 12.000; Operation Smasher: 987; vgl. ebd.
[4] FTP-Server (File Transfer Protocol) dienen im Internet als Speicherort zum Hoch- und Runterladen von Dateien.
[5] So konstatiert Kuhnen, dass trotz eines klaren Trends zur Kommerzialisierung der Markt mit illegalen Bildern größtenteils ein Tauschmarkt sei, bei dem unentgeltliche Verbreitung mit einem Anteil von 70% dominiere. (vgl. Korinna Kuhnen (2007): Kinderpornographie und Internet. Medium als Wegbereiter für das (pädo-)sexuelle Interesse am Kind?, Göttingen, S. 96 sowie Martin Gantner (2008): Viel Lob und ein wenig Tadel – Interview mit Korinna Kuhnen, In: Die Zeit, 48/2008)
Die Europäische Kommission geht hingegen davon aus, dass der nicht-kommerzielle Anteil am kinderpornographischen Markt lediglich 20% beträgt. (vgl. Pressemitteilung der EU-Kommission vom 25. März 2009 – IP/09/472)
[6] Das Internet Protocol (IP) bildet die Grundlage für den Austausch von Informationen über die Datenleitungen des Internets. Jedes direkt am Internet angeschlossene Gerät verfügt über eine eindeutige IP-Adresse, über die es angesprochen werden kann. Da außerhalb von technisch versierten Kreisen kaum jemand ernsthaft mit diesen, in kryptischen Nummernkolonnen daher kommenden IP-Adressen umgehen mag, wurden im World-Wide-Web die sogenannten Domainnamen (z. B. www.agj.de) etabliert. Es ist die Aufgabe sogenannter Domain-Name-Server (DNS), eine vom Nutzer aufgerufene www-Adresse, für den weiteren Datenverkehr in die IP-Adresse des jeweiligen Angebotes zu übersetzen. Die als Mindestforderung vom Gesetz verlangten DNS-Sperren verhindern beim Aufruf beanstandeter Angebote diesen Übersetzungsvorgang durch schlichte Manipulation des zugrundeliegenden Verweisregisters und leiten stattdessen auf eine Stopp-Seite um. Die Kenntnis der IP-Adresse eines einschlägigen Angebotes reicht allerdings bereits aus, um diese Form der Sperre zu umgehen. Durch eine Angebotssperre auf IP-Ebene würde ein Provider auch diese direkte Kontaktaufnahme zu einem auf der BKA-Liste vermerkten Internetserver blockieren, indem entsprechende Datenpakete anhand ihrer Adressinformationen identifiziert und nicht weitergeleitet würden. Der nutzerseitige Aufwand zum – grundsätzlich möglichen – Umgehen dieser IP-Sperren wäre höher, gleichzeitig bedeutet die providerseitige Filterung des gesamten, innerhalb der Kundschaft anfallenden Datenverkehrs einen ungleich höheren Aufwand.
[7] Die EFK ist eine öffentlich-private informelle europäische Gruppe, in der Polizei, Finanzdienstleister, Internetanbieter, Nichtregierungsorganisationen und andere Partner vertreten sind, unter anderem MasterCard, Microsoft, PayPal, VISA Europe und Missing Children Europe. Ziel ist die Verbesserung von Opferschutz und Täteridentifizierung, vor allem aber sollen Gewinne aus kriminellen Aktivitäten eingezogen werden.
[8] In CIRCAMP sind 13 Staaten organisiert: Norwegen, Großbritannien, Dänemark, Belgien, Frankreich, Finnland, Irland, Italien, Malta, Polen, Schweden, Niederlande und Spanien. Die meisten dieser Länder betreiben einen gemeinsamen Filter zur Sperrung (nach der jeweiligen Landesgesetzgebung) und zum Austausch von Sperrlisten.