Interkulturelles Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung – Konsequenzen für die Kindertages- betreuung
Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
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Der Umgang mit kultureller und sozialer Vielfalt ist eine der wichtigsten Herausforderungen in der Gegenwart und für die Zukunft unserer Gesellschaft. Familien kommt dabei als primäre Sozialisationsinstanz eine zentrale Bedeutung zu. Sie prägen wesentlich eine Haltung der kulturellen Sensibilität und Offenheit bei ihren Kindern aus und legen so die Voraussetzung für gelingende Integrationsprozesse. Sie sind allerdings nicht allein dafür verantwortlich, ob Integration gelingt. Die Herstellung von Chancengerechtigkeit und gleichberechtigten Teilhabe- und Zugangschancen ist Aufgabe der Gesellschaft. Dies erfordert eine neue Aufmerksamkeit für interkulturelle Öffnungsprozesse.
Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich auf den Bereich der Kindertagesbetreuung und geben Empfehlungen, wie die Integration kultureller und sozialer Vielfalt gelingen kann und dadurch nicht nur für den Einzelnen Teilhabemöglichkeiten verbessert, sondern für die Gesellschaft insgesamt wertvolle Ressourcen erschlossen werden. Dem entspricht ein Integrationsbegriff, der Integration nicht als eine einseitig zu erbringende Anpassungsleistung versteht, sondern der vielmehr im Sinne von Inklusion von der Anerkennung und von einem wertschätzenden Umgang mit Differenz und Heterogenität ausgeht. Es geht um die Entwicklung einer Grundhaltung für kultur- und migrationssensibles Arbeiten auf Grundlage der Anerkennung von Unterschieden.
Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ sind folgende strukturelle und konzeptionelle Aspekte grundlegend für ein interkulturelles Aufwachsen in öffentlicher Verantwortung:
- eine interkulturelle Öffnung auf Ebene der Verwaltung, der Träger, der Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege,
- die Einstellung interkulturell geschulten Personals, mit und ohne eigenen Migrationshintergrund, in der Kindertagesbetreuung,
- die Berücksichtigung des Themas in der Qualifizierung und Fortbildung von Fachkräften sowie von Kindertagespflegepersonen,
- die Förderung von Mehrsprachigkeit auf der Ebene der Fachkräfte,
- eine interkulturelle pädagogische Praxis in der frühkindlichen Erziehung, Bildung und Betreuung als Qualitätsstandard in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege,
- eine vorurteilsbewusste Erziehung in Kindertageseinrichtungen, die die Vielfalt von Werteorientierungen und Erziehungsstilen reflektiert und anerkennt,
- die bewusste Anerkennung und Förderung von Ressourcen, die mit dem Migrationshintergrund in Zusammenhang stehen (z. B. Mehrsprachigkeit, interkulturelle Kompetenz),
- die Förderung niedrigschwelliger Konzepte zur Beteiligung von Eltern (wie beispielsweise in Konzepten wie Stadtteilmütter, HIPPY, Opstapje, Rucksack usw. vorgesehen),
- eine Zusammenarbeit mit den Eltern, die auf deren Stärken und Ressourcen aufbaut,
- die Entwicklung und Verbreitung leicht zugänglicher, mehrsprachiger Informationen über Angebote,
- den Abbau von Zugangshürden zur Kindertagesbetreuung (z.B. für Eltern im ALG II Bezug),
- eine Erweiterung des Angebotsspektrums um offene Angebote und aufsuchende Programme im Kontext einer Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Familienzentren,
- die Implementierung lokaler Konzepte und Kooperationen von Einrichtungsträgern und anderen Akteuren zur Vermeidung von Segregation in Kindertageseinrichtungen und zur Förderung von Gelegenheiten interkulturellen Lernens sowie
- die Förderung der Entwicklung von der Integration zur Inklusion.
Ausgangslage
Über 15 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, also 19 Prozent der Gesamtbevölkerung, in Deutschland haben laut Mikrozensus einen Migrationshintergrund.[1] Davon sind rund ein Drittel Kinder im Alter von unter 5 Jahren. In vielen Großstädten liegt ihr Anteil sogar deutlich über der Hälfte.[2]
In den westlichen Bundesländern liegt die Teilhabe von Kindern mit Migrationshintergrund im Alter von drei bis sechs Jahren an frühkindlicher Erziehung, Bildung und Betreuung im Rahmen der Kindertageseinrichtungen bei durchschnittlich 84 Prozent, allerdings mit erheblichen Unterschieden in den einzelnen Bundesländern.[3] Laut erstem Zwischenbericht der Bundesregierung zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes besuchen dagegen nur 9 Prozent der unter Dreijährigen mit Migrationshintergrund in Westdeutschland eine Einrichtung oder werden in der Kindertagespflege betreut. Die Betreuungsquote bei Kindern selben Alters ohne Migrations-hintergrund liegt demgegenüber bei 18 Prozent.
Im März 2010 wurden rund 112.000 Kinder in der öffentlich geförderten Kindertagespflege betreut. Dies entspricht einem Anstieg gegenüber dem Vorjahr um rund 14 Prozent. Knapp zwei Drittel der Kinder in Kindertagespflege sind jünger als drei Jahre.[4] Die Kindertagespflege ist damit eine wachsende Betreuungsform.
Das Kinderförderungsgesetz sieht vor, dass ab 2013 jedes Kind mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung oder in der Tagespflege hat. Der Ausbau zielt auch auf Kinder mit Migrationshintergrund und soll laut Nationalem Integrationsplan positive Effekte für die frühe Sprachförderung haben.
Als Gründe für die geringe Inanspruchnahme werden, neben der selteneren Erwerbstätigkeit der Mütter, auch genannt, dass Eltern mit Migrationserfahrung vielfach nicht ausreichend über die vorhandenen Betreuungsangebote informiert sind oder Schwierigkeiten haben, die Leistungen überhaupt in Anspruch zu nehmen.[5]
Zugangsbarrieren bestehen vor allem für Kinder in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität, die häufig aus Angst vor Aufdeckung des fehlenden Aufenthaltsstatus nicht in einer Kindertageseinrichtung angemeldet werden.[6]
Der Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2009 kommt zu dem Schluss, dass es eines mehrdimensional ausgerichteten Maßnahmen-kataloges bedürfe, um eine individuelle Förderung sowie kontinuierliche Sprachentwicklung von Kindern mit Migrationshintergrund zu ermöglichen. Kindertageseinrichtungen müssten ihre pädagogische Praxis auch an interkulturellen Ansätzen orientieren, um an den kulturellen und lebensweltlichen Voraussetzungen der Kinder anzuknüpfen. So ist beispielsweise in 15 Bildungsplänen die Anforderung festgelegt, dass Kindertageseinrichtungen Zwei- und Mehrsprachigkeit wertschätzen und fördern sollen. In neun Bundesländern liegt derzeit Informationsmaterial über den Bildungsplan mehrsprachig vor.
Anforderungen an fachliche Entwicklungen
Die Wahrnehmung anderer passiert immer vor dem eigenen kulturellen, sozialen und familiären Hintergrund. Bei der Betrachtung der Lebensverhältnisse von Familien mit Migrationshintergrund stehen vermeintliche oder tatsächliche kulturelle Unterschiede häufig im Vordergrund. Dies muss von Fachkräften in der Kindertagesbetreuung durchbrochen werden, indem sie sich selbst für die Umwelt anderer und deren Werte öffnen und dies entsprechend weitergeben. Bei allen Kindern ist die Kompetenz zum Zusammenleben in gegenseitigem Respekt und wertschätzender Rücksichtnahme zu stärken.
Individuelle Unterstützungsbedarfe oder solche, die in der sozialen Lebenswirklichkeit begründet liegen, dürfen nicht vorschnell „kulturalisiert“ werden. Umgekehrt ist zu vermeiden, dass sozio-kulturell bedingte Differenzen nicht als solche wahrgenommen, sondern vielmehr als individuelle Probleme interpretiert werden.
Treffen verschiedene Werte, Normen, Gebräuche, Tugenden, Traditionen, aber auch verschiedene Erziehungsvorstellungen aufeinander, ist eine differenzierte Betrachtungsweise notwendig, die Gegenstand von Aus-, Fort- und Weiterbildung von Fachkräften sein muss.
Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind oft in verschiedenen Lebenswelten zu Hause. Für sie ist das Leben in unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Werten und Sprachen Normalität. Es gilt, für deren besondere Fähigkeiten und Ressourcen, z. B. Mehrsprachigkeit oder interkulturelles Verständnis, angemessenen Raum zu schaffen und dabei die Heterogenität von Migrantengruppen zu berücksichtigen.
Die Anforderungen an Fachkräfte in diesem Zusammenhang sind sehr komplex und erfordern zusätzliches kulturelles Wissen und Einfühlungsvermögen für die Besonderheiten der Lebenswelten von Kindern mit Migrationshintergrund, das bereits im Rahmen von grundständiger Qualifizierung befördert werden muss.
Einen Ansatz hierfür bietet das Konzept der vorurteilsbewussten Erziehung, das eine kritische Reflexion von Kindern über Vorurteile, Diskriminierungen und Einseitigkeiten anzuregen versucht.[7]
So können Vorurteile bzw. kulturbedingte Verhaltenszuweisungen von Kindern, aber auch in der Kindertagesbetreuung tätigen Personen vermieden werden. Fachkräfte müssen vielmehr in die Lage versetzt werden, interkulturelles Verständnis zu fördern. Um diese Anforderungen bewältigen zu können, benötigen sie Zeiten für kollegialen Austausch und Reflexion und die Möglichkeit, Beratung und Supervision in Anspruch zu nehmen.
Integrierte Sprachförderung für alle Kinder
Der Besuch einer Kindertageseinrichtung verbessert die Bildungschancen von Kindern. Vor allem für Kinder, die in der Familie mit einer anderen Sprache aufwachsen, ist wichtig, dass sie schon früh in der Kindertageseinrichtung mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen. In den ersten Lebensjahren erwerben Kinder Sprache implizit. Sie lernen beiläufig beim Tätig sein im Spiel sowohl vom Sprachvorbild der Erzieherin oder des Erziehers als auch in der Interaktion mit anderen Kindern. Darin können sie durch entsprechend qualifizierte Fachkräfte kontinuierlich und gezielt sprachlich angeregt und begleitet werden.
Sprachliche Bildung und Förderung ist in einem ganzheitlichen Bildungsbegriff anzusiedeln, d.h. sie darf sich nicht allein an Kinder mit besonderem Förderbedarf richten.
Aus fachlicher Sicht ist eine Entwicklung in Richtung einer integrierten Sprachförderung, die sprachliches Handeln in unterschiedlichen Bildungs-bereichen und Alltagssituationen aufspürt und systematisch nutzt, um die sprachlichen Aneignungsprozesse der Kinder zu unterstützen, notwendig. Die Kinder profitieren dabei in vielfältiger Weise von der Breite der Bildungsangebote in Kindertageseinrichtungen, die sprachliche Anreize bieten.
Auf Seiten der Fachkräfte stellt eine integrierte Sprachförderung hohe Anforderungen an eine differenzierte Sprachbeobachtung und an methodisch-didaktische Handlungskompetenzen. Dies setzt voraus, dass die Teams in ihrer sprachpädagogischen Arbeit längerfristig qualifiziert und fachlich begleitet werden.
Insbesondere Einrichtungen mit einem hohen Anteil an Kindern, die mehrsprachig aufwachsen, benötigen ausreichende personelle Ressourcen, um eine qualifizierte Sprachförderung leisten zu können. Für Kinder unter drei Jahren müssen stabile Bezugspersonen vorhanden sein, die kontinuierliche Dialogsituationen im Alltag ermöglichen.
Sprachliche Förderung kann besonders dann nachhaltig umgesetzt werden, wenn die Eltern mit eingebunden werden. Die Fachkräfte lernen durch den Austausch mit den Eltern das Ausdrucksverhalten der Kinder besser zu verstehen; umgekehrt erhalten die Eltern Einblick in die sprachliche Entwicklung ihres Kindes und Anregungen, wie sie diese auch zu Hause unterstützen können. Dazu kann auch gehören, dass in Kooperation mit anderen Partnern für Eltern mit geringen Deutschkenntnissen Kurse angeboten werden, die ihnen einen Zugang zur deutschen Sprache erschließen.
Mehrsprachig aufwachsende Kinder sollten in der Kindertageseinrichtung die Erfahrung machen, dass ihre Muttersprache respektiert und wertgeschätzt wird. Dies stärkt das Selbstwertgefühl der Kinder und erleichtert ihnen, sich auf das Erlernen der Zweitsprache einzulassen. Mehrsprachige Erzieherinnen und Erzieher können dabei sowohl für die Kinder sprachliche Vorbilder sein als auch neue Chancen der Zusammenarbeit mit Eltern eröffnen.
Nach dem SGB VIII haben Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege grundsätzlich den gleichen Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag. Für Kinder mit Migrationshintergrund ist die Begleitung und Unterstützung des Erwerbs der deutschen Sprache als "Zweitsprache" von besonderer Bedeutung. Tagespflegepersonen sind demnach gefordert, sich entsprechende Kenntnisse zur Sprachförderung sowie zur interkulturellen Erziehung über Fort- und Weiterbildungsangebote anzueignen. Immer mehr Kommunen haben hierzu eigene Fortbildungsmodule entwickelt. Neben diesen Angeboten ist die Unterstützung von Fachberatung sicherzustellen. Für die Zusammenarbeit mit den Eltern muss bei bedeutsamen fachlichen Kommunikationssituationen eine differenzierte sprachliche Verständigung sichergestellt werden. Im Einzelfall kann die Unterstützung von Sprach- und Kulturmittlerinnen und -mittlern notwendig werden.
Interkulturelle Öffnung – Zugänge verbessern, Bildungschancen steigern
Die interkulturelle Öffnung von Einrichtungen und Diensten ist eine Forderung des Nationalen Integrationsplanes der Bundesregierung. In Zusammenhang mit Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege wird interkulturelle Öffnung derzeit stark auf den Bereich von Rahmenbedingungen für gelingende Sprachförderung begrenzt. Die interkulturelle Öffnung von Kindertageseinrichtungen kann jedoch insgesamt dazu beitragen, die Teilhabe von Kindern mit Migrationshintergrund an frühkindlicher Erziehung und Bildung zu steigern. Dies setzt eine Auseinandersetzung mit strukturellen, fachlichen und persönlichen Ebenen voraus.
Es geht dabei sowohl um die Entwicklung und Umsetzung von Leitbildern, Konzepten, Vernetzung und Personalpolitik als auch um Fachwissen, Qualifikation oder Reflexion der Praxis sowie um persönliche Haltungen und Wertungen.
Sind die Leitbilder und Konzepte der Einrichtung an die Bedingungen des jeweiligen Sozialraumes angepasst und auch den Familien mit Migrationshintergrund im Einzugsbereich bekannt? Können diese sie inhaltlich verstehen? Müssen Familien selber Kontakt zur Kindertageseinrichtung oder zu Kindertagespflegepersonen aufnehmen oder gibt es eine Gehstruktur? Stehen mehrsprachige Informationen und Beschilderungen zur Verfügung? Nach welchen Kriterien wird Personal eingestellt? Wie werden Kolleginnen und Kollegen mit eigener Zuwanderungsgeschichte eingesetzt? Entspricht die Angebotsstruktur den Bedürfnissen und Wünschen der Familien im Einzugsgebiet?
Besteht die Möglichkeit, Fragen zum familiären Hintergrund, Erwartungen und Perspektiven mit Unterstützung einer fachlich kompetenten Dolmetscherin bzw. eines Dolmetschers ausreichend zu klären?
Der Bedarf an kultursensiblen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die ihre Wertschätzung gegenüber der Kultur der Migrationsfamilien vermitteln und die Werte der Mehrheitsgesellschaft nahebringen können, wächst.
Unter interkultureller Öffnung ist jedoch nicht nur die Vermittlung von interkulturellen Kompetenzen zu verstehen, sondern die bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Gebundenheit. Für die Angebote der Kindertagesbetreuung bedeutet dies, Öffnung für Veränderung und Weiterentwicklung der eigenen (Institutions-)kultur mit dem Ziel von Inklusion und damit dem Ausbau von Chancengerechtigkeit.
Zusammenarbeit mit den Eltern verbessern, (sozialräumliche) Vernetzung fördern
Um der sozio-kulturellen Vielfalt von Kindern und ihren Familien gerecht zu werden, ist generell eine interkulturell ausgerichtete pädagogische Praxis notwendig. Dies sollte sich in einer systematischen partnerschaftlichen Elternarbeit niederschlagen. Um sich als gleichberechtigte Partner einbringen zu können, brauchen Eltern grundlegende Aufklärung über die Strukturen und Ziele des Bildungssystems sowie ihre eigenen Möglichkeiten, ihre Kinder zu unterstützen und zu fördern.
Offene Angebote wie Müttertreffs, Mittagstische, die Bedürfnisse der Kinder und Familien des Stadtteils aufgreifende Gruppenangebote, Veranstaltungen im Familienbildungsbereich, Stadtteilcafés oder offene Kinderbetreuung im Sozialraum empfehlen sich auch als Baustein integrierter Einrichtungskonzepte, um die Akzeptanz von Einrichtungen und ihren Angeboten bei Familien mit Migrationshintergrund zu erhöhen.
Um Eltern systematisch und zielgerichtet zu informieren, können der Einsatz und die Qualifizierung (nicht nur) ehrenamtlicher mehrsprachiger Elternbegleiterinnen und -begleiter eine wichtige Brücke bauen. Solche Elternbegleiterinnen und -begleiter können eine Vermittlerfunktion zwischen den Einrichtungen eines Stadtteils und den Gemeinschaften von Migrantinnen und Migranten einnehmen. Flankierend dazu sind spezifische Informationen für Eltern über Ziele und Inhalte der pädagogischen Arbeit in den jeweiligen Einrichtungen erforderlich. Diese müssen nicht nur von der Sprache her verständlich formuliert werden, sondern sollen auch die Vorteile für die kindliche Entwicklung verdeutlichen.
In Kindertageseinrichtungen oder Familienzentren begegnen sich Familien unterschiedlicher Herkunft. Niedrigschwellige Gelegenheiten zum informellen Austausch unter den Eltern sowie konkrete Möglichkeiten für ihre systematische Einbindung in die Einrichtung müssen ausgebaut werden. Hierbei kann auf erfolgreiche Konzepte wie Opstapje, HIPPY oder Rucksack zurückgegriffen werden. Grundsätzlich bedarf es einer Offenheit, so dass Eltern ihre Vorschläge einbringen können und in deren Umsetzung unterstützt werden (z.B. Feste gestalten, Kochrunden, Ausflüge).
Eine bessere Vernetzung von familiennahen Angeboten wie Kinderbetreuung oder Beratungs- und Bildungseinrichtungen sowohl untereinander als auch mit Migrantinnen- und Migrantenorganisationen könnte ihre Akzeptanz weiter steigern. Dies ist jedoch nicht allein Aufgabe der Einrichtungen, sondern bedarf der aktiven Unterstützung der Kommune.
Unter Berücksichtigung der individuellen Migrationsgeschichte und sozialen Herkunft sind darüber hinaus Maßnahmen für eine verbesserte individuelle Förderung neben spezifischen Sprachförderangeboten weiter zu entwickeln.
Ziel muss es sein, die bestmögliche entwicklungsfördernde Umgebung für jedes Kind gemeinsam mit seinen Eltern zu gestalten.
Von der Integration zur Inklusion
Der Wechsel vom Integrations- zum Inklusionsverständnis beruht auf einer veränderten Perspektive bzw. Haltung gegenüber Vielfalt und Verschiedenheit.
Nicht die Frage, welche individuellen Merkmale bzw. defizitären Abweichungen von der Norm verändert werden müssen, damit ein Kind als integriert gilt, steht im Vordergrund. Handlungsleitend ist vielmehr die Frage nach sozialen Faktoren bzw. Rahmenbedingungen, die dem einzelnen Kind eine gesellschaftliche Inklusion ermöglichen können. Dabei sind Inklusion und der Bildungsauftrag, zur Teilhabe zu befähigen, mitzudenken.
Damit einher geht die vielfach noch zu leistende Aufgabe von öffentlichen und freien Trägern, die eigenen Organisationsstrukturen darauf zu überprüfen, ob sie der gewünschten Offenheit und Akzeptanz von Vielfalt den notwendigen Rahmen liefern und die erforderliche Qualität vorhalten.
Die Umsetzung inklusiver Konzepte in den Einrichtungen erfordert Veränderungen bei Einstellungen und Haltungen der Fachkräfte und Träger: Inklusion beginnt auch in den Köpfen.
Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 02./03. Dezember 2010
[1] Der Mikrozensus liefert statistische Informationen über die Bevölkerungsstruktur, die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung, der Familien, Lebensgemeinschaften und Haushalte, die Erwerbstätigkeit, Arbeitssuche, Aus- und Weiterbildung, Wohnverhältnisse und Gesundheit. Zur Gruppe der Kinder mit Migrationshintergrund gehören Kinder von Zuwanderern bis zur dritten Generation.
[2] So liegt der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund unter fünf Jahren beispielsweise in Dortmund bei 62 Prozent, in Frankfurt/Main und Nürnberg bei je 68 Prozent., vgl. Mikrozensus
[3] So besuchen z.B. im Saarland 11,1 Prozent der Kinder im Alter von unter 3 Jahren mit und 16,4 Prozent ohne Migrationshintergrund eine Tageseinrichtung und werden in der Kindertagespflege betreut (Hamburg 14,5 Prozent / 34,1 Prozent)., vgl. Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2009, Bertelsmann Stiftung, Berechnungen auf Basis von Daten der Kinder- und Jugendhilfestatistik sowie des Mikrozensus
[4] vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 383, 25. Oktober 2010, www.destatis.de
[5] vgl. Bericht der Bundesregierung 2010 nach § 24a Abs. 5 SGB VIII über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2009 – erster Zwischenbericht zur Evaluation des Kinderförderungsgesetzes
[6] Öffentlich getragene Kindertageseinrichtungen sind von den bundesgesetzlichen Übermittlungspflichten nach § 87 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz an die Ausländerbehörde betroffen.
[7] vgl. Projekt Kinderwelten: „10 Ziele und Prinzipien vorurteilsbewusster Erziehung“, www.kinderwelten.net