Qualität von Erziehung, Bildung und Betreuung in Kindertageseinrichtungen – Einschätzungen zum Ausbau der Kindertagesbetreuung für Kleinkinder

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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Das Ziel für Deutschland ist ehrgeizig, auch wenn im internationalen Maßstab gesehen der bedarfsgerechte Ausbau der Kindertagesbetreuung für Kleinkinder höchst überfällig ist:
Bis zum Jahr 2013 soll für alle ein- und zweijährigen Kinder, deren Eltern es wünschen, ein Platz in Kindertageseinrichtungen oder Kindertagespflege zur Verfügung stehen. Zudem sollen auch Kinder im ersten Lebensjahr ein bedarfsgerechtes Angebot erhalten. Nach Berechnungen von Bund und Ländern, die in der Verwaltungsvereinbarung zum Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung 2008-2013“, Artikel 5, festgehalten sind, bedeutet dies, dass bundesweit eine durchschnittliche Versorgungsquote von 35 Prozent erreicht werden soll.

Ob ein Platzangebot in dieser Größenordnung, ob ein solcher Betreuungsgrad (Schaffung eines Angebotes für rund jedes dritte Kind) in vier Jahren ausreichend sein wird, und wie sich die Nachfrage dann regional und vor allem lokal darstellt, wird erst die Zukunft zeigen. Unabhängig davon sind Kommunen, Länder und Träger gefordert, auf der Grundlage von im Vorfeld erhobenen Planungszahlen Plätze zu schaffen und die erforderlichen Fachkräfte zu qualifizieren. Dabei von vermeintlich sicheren Planungszahlen auf den tatsächlichen Bedarf zu schließen, stellt ein hohes Risiko dar. Vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs darf kein Kind ab 2013 mit einem Verweis auf prognostizierte Bedarfsdeckungsquoten zurückgewiesen werden.

Um eine ausreichende Zahl an Plätzen in Tageseinrichtungen zur Verfügung stellen zu können, besteht trotz des demographischen Wandels beispielsweise in den westdeutschen Bundesländern nach Berechnungen aus dem Jahre 2009 noch ein zusätzlicher Personalbedarf von 36.000 zu besetzenden Vollzeitstellen.[1]

Der Platzausbau und der daraus erwachsende Fachkräftebedarf bedeuten massive quantitative, aber zugleich auch qualitative Herausforderungen für die Kindertagesbetreuung. Länder, Kommunen und Träger haben daher neben dem investiven Ausbau unterschiedliche Anstrengungen unternommen, um auch der qualitativen Herausforderung gerecht zu werden (Bildungs- und Erziehungsempfehlungen, Sprachförderung, Weiterbildung der Fachkräfte, Schaffung neuer Ausbildungswege an Hochschulen). Weitere große Anstrengungen werden nötig sein, um den veränderten Ansprüchen an eine moderne und kindgerechte Kindertagesbetreuung gerecht zu werden.

Durch die neue Kinder- und Jugendhilfestatistik sowie den darauf basierenden Auswertungen des „Ländermonitoring“ der Bertelsmann-Stiftung werden erstmals Ausstattungs- und Qualitätsunterschiede in den Kindertages-einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland sichtbar, die Unterschiede in den Lebens- und Aufwachsensbedingungen von Kindern sehr deutlich dokumentieren.

Legt man die dokumentierten unterschiedlichen qualitativen Standards für Kindertageseinrichtungen zugrunde, so kann von einheitlichen Lebensverhältnissen für die kleinsten Kinder in den Bundesländern nicht gesprochen werden. Betrachtet man die Personalausstattung in Kleinkind-gruppen in Deutschland insgesamt, so besteht deutlicher Nachholbedarf in Bezug auf die fachlichen Maßstäbe, die aufgrund der Bedeutung der frühen Phase sowie der Schutzbedürftigkeit der Kinder erforderlich sind. Zu diesem Ergebnis kommt z. B. eine aktuelle Expertise aus dem Jahr 2009, wenn sie ausführt, dass „in der Mehrzahl der Bundesländer (…) die aus wissenschaftlicher Sicht notwendigen Mindeststandards bezüglich der Fachkraft-Kind-Relation nicht erreicht werden“.[2] Gleiches lässt sich für die Personalstandards für die Betreuung von Kindern im Kindergartenalter feststellen.

Weitere quantitative wie auch qualitative Anstrengungen sind also dringend erforderlich. Daraus erwachsen massive finanzielle Herausforderungen. Träger, Jugendämter und Länder stehen vor der Aufgabe, neben dem in seiner Dimension außergewöhnlichen quantitativen Ausbau, die erforderlichen Plätze auf Grundlage fachlicher Standards für Kinder unter 3 Jahren einzurichten.

Die einfache Umwidmung freiwerdender Kapazitäten in den Kindergärten wird diesem Anspruch nicht gerecht. Gegen altersgemischte Einrichtungen und Gruppen ist aus fachlich-pädagogischer Sicht nichts einzuwenden. Nicht akzeptabel ist aber, wenn den personellen, räumlichen und konzeptionellen Bedarfen, die aus der Kindertagesbetreuung für Kleinkinder erwachsen, keine Rechnung getragen wird; wenn Kindergartengruppen ohne Anpassung der Rahmenbedingungen mit Kleinkindern „aufgefüllt“ werden. Kleine Kinder brauchen unabdingbar eine deutlich höhere Betreuungsintensität; sie brauchen unmittelbarer und individueller die Fürsorge, die Aufmerksamkeit und die Anregung feinfühliger Erwachsener.
Deshalb ist es notwendig, auch in Kenntnis der vorhandenen Umsetzungsprobleme, die eigentlichen Ziele, die mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung verbunden waren, nicht aus dem Blick zu verlieren.

Es geht um die Entwicklungschancen der einzelnen Kinder wie die der Gesellschaft insgesamt. Es geht um Chancengleichheit, die wirksam und nachhaltig durch die frühe Teilhabe an Bildungsmöglichkeiten eröffnet wird. Es geht um das Vertrauen bei potenziellen Eltern, dass ihren Kindern angemessene Bedingungen zur Verfügung stehen, wenn sie ihr Kind einer Kindertagesbetreuung anvertrauen. Es geht also nicht allein um zusätzliche Plätze, da nur ein qualitativ gutes Betreuungsangebot in der Lage ist, die Bildungschancen für Kinder ebenso zu fördern wie die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für die Eltern.

Die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für das Tagesbetreuungsausbaugesetz machte deutlich, welche Ziele durch den Ausbau erreicht werden sollten: „Das Angebot muss vielfältiger und qualitativ besser werden, um den differenzierten Bedürfnissen von Kindern und Familien sowie den Anforderungen an eine Wissensgesellschaft zu entsprechen und Chancengleichheit für Kinder zu erreichen.“[3] 

Der Zusammenhang von Quantität und Qualität, die Voraussetzung, dass ein geschaffener Platz auch ein guter Platz sein muss, ist unauflösbar. Jeder Versuch, die Qualitätsfrage von der Ausbaufrage abzutrennen, gefährdet das verfolgte Ziel und stellt damit im Grunde den Ausbau selbst in Frage. „Jedes Kind braucht von Geburt an die realistische Chance auf eine optimale Förderung seiner individuellen und sozialen Entwicklung. Viele Eltern realisieren ihre vorhandenen Kinderwünsche nicht, weil sie keine Möglichkeiten sehen, ihr berufliches Engagement mit den familiären Aufgaben zu verbinden. Deshalb ist es notwendig, Wege für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben zu öffnen, die dem Wohle der Kinder dienen. Um diesen Anliegen gerecht zu werden, benötigen wir für die Kinder unter drei Jahren mehr Betreuungsplätze in guter Qualität“.[4]
Der Ausbau der Kindertagesbetreuung wird nur qualitativ gut gelingen, wenn diese Begründung zum Gesetzentwurf bei der Schaffung neuer Plätze auch umgesetzt wird.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin 25./26. Februar 2010

[1] vgl. KomDat 2/2009
[2] Vgl. Viernickel/Schwarz: Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung – Wissenschaftliche Parameter zur Bestimmung der pädagogischen Fachkraft-Kind-Relation, Berlin 2009
[3] vgl. Vorblatt zum Referentenentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege (Kinderförderungsgesetz – KiföG)“, BMFSFJ-602, Az.: 602-2213/27-001, 07. März 2008
[4] ebd.