Entschließung der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
zur umfangreichen Einbindung der Jugendhilfe bei der Erstellung von Landesgesetzen zum Jugendstrafvollzug 

Papier als PDF

 

I. Ausgangslage
Bis zum Inkrafttreten der Föderalismusreform am 01.09.2006 war der Bund für die gesetzliche Regelung des Strafvollzuges zuständig. 1976 hatte der Bundestag ein Justizvollzugsgesetz für Erwachsene erlassen, das bis heute gültig ist, und das auf den Bereich des Jugendstrafvollzuges sinngemäß angewandt wird.

Von 2007 an wird es Regelungen des Strafvollzuges auf Länderebene geben, denn infolge der Föderalismusreform wurde die Kompetenz hierfür auf die Bundesländer verlagert. 

Das besondere Augenmerk der Jugendhilfe ist hierbei auf die Regelungen über einen Jugendstrafvollzug zu lenken. Gibt es doch schon jahrzehntelang Forderungen und auch gesetzgeberische Aktivitäten, den Jugendstrafvollzug in einem eigenständigen Gesetz zu regeln. 
Verstärkt wird die Debatte um ein eigenständiges Jugendstrafvollzugsgesetz durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 31. Mai 2006 (BVerfG, 2 BvR 1673/04). Mit diesem Urteil hat das BVerfG den – nun – Landesgesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.12.2007 den Jugendstrafvollzug auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.

II. Forderungen des Bundesverfassungsgerichts
Das BVerfG stellt insbesondere fest, dass an die inhaltliche Ausgestaltung des Strafvollzuges für Jugendliche und ihnen in der Entwicklung gleichstehende heranwachsende Straftäter besondere verfassungsrechtliche Anforderungen zu stellen sind, die auch Auswirkungen auf die Erfordernisse gesetzlicher Regelungen im Jugendstrafvollzug haben.

„Die Ausgangsbedingungen und Folgen strafrechtlicher Zurechnung sind bei Jugendlichen in wesentlichen Hinsichten andere als bei Erwachsenen. Jugendliche befinden sich biologisch, psychisch und sozial in einem Stadium des Übergangs, das typischerweise mit Spannungen, Unsicherheiten und Anpassungsschwierigkeiten, häufig auch in der Aneignung von Verhaltensnormen, verbunden ist. Zudem steht der Jugendliche noch in einem Alter, in dem nicht nur er selbst, sondern auch andere für seine Entwicklung verantwortlich sind. Die Fehlentwicklung, die sich in gravierenden Straftaten eines Jugendlichen äußert, steht in besonders dichtem und oft auch besonders offensichtlichem Zusammenhang mit einem Umfeld und Umständen, die ihn geprägt haben. Für das Jugendstrafrecht und den Jugendstrafvollzug gewinnt daher der Grundsatz, dass Strafe nur als letztes Mittel (vgl. BVerfGE  90, 145 <201>) und nur als ein in seinen negativen Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Betroffenen nach Möglichkeit zu minimierendes Übel (vgl. BVerfGE 45, 187 <238>; 64, 261 <272 f.>) verhängt und vollzogen werden darf, eine besondere Bedeutung.“[1]

III. Notwendigkeit der Einbindung der Jugendhilfe
„Aus dem besonderen verfassungsrechtlichen Gewicht, das dem Ziel der Vorbereitung auf eine künftige straffreie Lebensführung im Jugendstrafvollzug zukommt, erwachsen dem Staat jedoch auch besondere positive Verpflichtungen. So hat er durch gesetzliche Festlegung hinreichend konkretisierter Vorgaben Sorge dafür zu tragen, dass für allgemein als erfolgsnotwendig anerkannte Vollzugsbedingungen und Maßnahmen die erforderliche Ausstattung mit den personellen und finanziellen Mitteln kontinuierlich gesichert ist. 

Der Staat muss den Strafvollzug so ausstatten, wie es zur Realisierung des Vollzugsziels erforderlich ist (BVferGE  35, 202 <235>). Dies betrifft insbesondere die Bereitstellung ausreichender Bildungs- und Ausbildungsmöglichkeiten, Formen der Unterbringung und Betreuung, die soziales Lernen in Gemeinschaft, aber auch den Schutz der Inhaftierten vor wechselseitiger Gewalt ermöglichen, ausreichende pädagogische und therapeutische Betreuung sowie eine mit angemessenen Hilfen für die Phase nach der Entlassung (vgl. BVerfGE 35, 202 <236>) verzahnte Entlassungsvorbereitung. Bei den schulischen und beruflichen Ausbildungsangeboten ist darauf Bedacht zu nehmen, dass solche Angebote auch dann sinnvoll genutzt werden können, wenn wegen der Kürze der Haftzeit ein Abschluss während der Dauer der Haft nicht erreichbar ist.“ [1]

Jugendhilfe hat, was das Eingehen auf spezielle Problemlagen von Jugendlichen mit fachlich-pädagogischen Methoden angeht, eine besonders hohe Kompetenz, um junge Menschen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten zu erziehen. Seit Jahrzehnten ist es die originäre Aufgabe der Jugendhilfe, ihre Leistungen und Angebote so auszugestalten, dass junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung gefördert werden. Dies ist gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB VIII eine der Kernaufgaben und auch eine Kernkompetenz der Jugendhilfe. Gerade was die Aneignung von Verhaltensnormen anbelangt, hat die Jugendhilfe Methoden entwickelt, die geeignet sind, die Spannungen und Unsicherheiten im Stadium des Übergangs zum Erwachsenwerden abzubauen und die damit verbundenen Anpassungsschwierigkeiten wesentlich zu verringern. Die Landesgesetzgeber haben bei Erstellung des Gesetzes daher nicht nur die Strafvollzugsseite zu beachten, sondern auch die Erfahrungen und Sichtweisen der Jugendhilfe. Das gilt umso mehr, als das vorrangige Vollzugsziel im Jugendstrafvollzug die Legalbewährung durch Wiedereingliederung und Integration des gefangenen jungen Menschen (Resozialisierung) ist.

IV. Forderung nach Einbindung
Damit die Jugendhilfe umfassend in die Entwicklung der Jugendstrafvollzugsgesetze eingebunden wird, sind die Jugendhilfestrukturen in den Bundesländern aufgefordert, ihre Kompetenzen zu einem frühest möglichen Zeitpunkt in die Beratungsprozesse und die anstehenden Gesetzgebungsverfahren einzubringen. Ebenso sind die Landesgesetzgeber und die Justizministerien der Länder aufgefordert, im Erarbeitungsprozess eigenständiger Jugendstrafvollzugsregelungen möglichst frühzeitig den Austausch mit der Jugendhilfe zu suchen. Nur wenn Jugendhilfe und Justiz bei der Entwicklung der zu erstellenden Gesetze ihre fachlichen Kompetenzen gleichermaßen einbringen und gestaltend wirken können, wird auch die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden und Institutionen, die jugendliche Straftäter sowohl vor ihrer Verhaftung als auch in den meisten Fällen nach ihrer  Haftentlassung betreuen, gelingen.

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ
Berlin, 29. / 30. November 2006

[1] Alle Zitate sind dem Urteil des BVerfG vom 31.05.2006 (BVerfG, 2BvR 1673/04) entnommen.