Gesetzesvorhaben gefährdet die gezielte Förderungarbeitsloser Jugendlicher. Entwurf eines Gesetzes zur Neuaus- richtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente
Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
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1. Vorbemerkung
Der von der Bundesregierung am 17. Oktober dieses Jahres vorgelegte Kabinettsentwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente im SGB II und SGB III verfolgt das Ziel, durch eine Zusammenfassung, Reduzierung und Vereinfachung des vorhandenen Instrumentariums die Effizienz der Mittelverwendung bei der Arbeitsmarktintegration zu steigern und gleichzeitig den Handlungsspielraum vor Ort zu erweitern. Im Rahmen der vorliegenden Stellungnahme bezieht sich die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ auf die absehbaren Auswirkungen des Gesetzesvorhabens auf die Zielgruppe der sozial benachteiligten jungen Menschen. Die AGJ stellt fest, dass die Neuregelungen eine Abkehr vom Ziel der Chancengerechtigkeit darstellen, indem sie in ihrer Gesamtheit die Benachteiligung eines ohnehin schon vielerlei Belastungsfaktoren ausgesetzten Teils der jungen Generation verstärken.
2. Auswirkungen der Instrumentenreform im SGB II und SGB III auf sozial benachteiligte junge Menschen
Die angestrebte Instrumentenreform gefährdet das derzeit im SGB II und SGB III verankerte Handlungsspektrum zur Bekämpfung einer Verstetigung und Verfestigung von Jugendarbeitslosigkeit. Mit ihrer deutlichen Reduzierung des bisherigen Leistungsumfangs stellt die Reform in der aktuellen Ausformung eine Gefahr für die erfolgreiche Praxis der Mischfinanzierungen auf kommunaler Ebene dar und erhöht insgesamt die Wahrscheinlichkeit, dass sozial benachteiligte junge Menschen dauerhaft von staatlichen Transferleistungen abhängig bleiben.
Der Gesetzentwurf berücksichtigt in zentralen Punkten weder die einstimmigen Beschlüsse der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) vom 29./30. Mai 2008[1] sowie vom 8. Oktober 2008[2] noch die zahlreichen, bereits anlässlich des ersten und zweiten Referentenentwurfes des Gesetzes gefassten Stellungnahmen von Trägern und Verbänden aus dem Bereich Jugendberufshilfe und Jugendsozialarbeit.
Gemeinsame Zielrichtung der Beschlüsse der JFMK als auch der Stellungnahmen der Fachorganisationen und freien Träger ist die Forderung, im Rahmen der geplanten Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente im SGB II und SGB III ein spezifisches, bedarfsgerechtes und flexibles Instrumentarium für sozial benachteiligte junge Menschen sicherzustellen.
Kritisch wird zur Kenntnis genommen, dass den Bedarfen dieser Zielgruppe u.a. bei berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen nur unzureichend Rechnung getragen wird. Im Vordergrund muss die gezielte und individualisierte Förderung stehen, um den Zugang zu Ausbildung oder zum Arbeitsplatz zu eröffnen.
Die AGJ macht als Zusammenschluss von Trägern der freien und öffentlichen Jugendhilfe auf der Bundesebene erneut darauf aufmerksam, dass die Integration von sozial benachteiligten jungen Menschen in die Arbeitswelt unter dem Aspekt der Schaffung nachhaltiger Chancen eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe höchster Priorität darstellt, der sich staatliches Handeln in allen Politikfeldern verpflichtet fühlen muss.
Der vorliegende Regierungsentwurf weist in Richtung einer deutlichen Verschlechterung der Fördermöglichkeiten für diese Zielgruppe. Zu kritisieren sind insbesondere folgende geplante Regelungen:
- Mit der beabsichtigten Streichung der ABM-Förderung für die Zielgruppe des SGB II fällt für sozial benachteiligte Jugendliche eine nutzbringende Fördermöglichkeit ersatzlos weg. Gerade diese Maßnahmen werden in Kombination mit Leistungen der Kommunen auf der Grundlage des § 13 SGB VIII erfolgreich eingesetzt, um Jugendlichen einen strukturierten Tagesablauf nahe zu bringen und ihnen den Weg ins Erwerbsleben zu ebnen.
- Der geplante Wegfall der Förderung von Jugend-wohnheimen konterkariert die von der Zielgruppe in dem Fall geforderte Mobilität, dass Arbeits- und Beschäftigungs-angebote nicht im erreichbaren Wohnumfeld der jungen Menschen und ihrer Familien liegen. Viele junge Menschen aus dem Leistungsbereich des SGB III haben sich gerade in den letzten Jahren bereit erklärt, für ihre persönliche und berufliche Entwicklung die Trennung von ihrer Herkunftsfamilie in Kauf zu nehmen und haben in diesem Sinne verstärkt die Angebote von Jugendwohnheimen in Anspruch genommen. Diese jungen Menschen sind auf die Existenz von Jugendwohnheimen angewiesen. Die beabsichtigte gesetzliche Neuregelung gefährdet die Erfolge in diesem Bereich und führt insbesondere zu unvertretbaren Wettbewerbsnachteilen für junge Menschen in struktur-schwachen Landkreisen. Der Bedarf nach investiven Zuschüssen für Jugendwohnheime war nie größer als heute.
- Mit dem beabsichtigten Fortfall des § 10 SGB III „Freie Förderung“ wird eine Regelung abgeschafft, welche die Möglichkeiten der aktiven Arbeitsförderung durch freie Leistungen erweiterte. Die Abschaffung der freien Förderung beendet damit die Anwendung des bisher flexibelsten Instrumentes der Arbeitsmarktpolitik.
Die Gefahr besteht, dass flexibel anwendbare arbeits-marktpolitische Instrumente, die eine individualisierte Förderung ermöglichten, ersatzlos verloren gehen und sich damit gesellschaftliche und berufliche Integrationschancen und Teilhabeoptionen junger Menschen verringern.
- Schließlich ist das vorgesehene neue Instrument eines Vermittlungsbudgets für Einzelhilfen unzureichend, da es Gruppenmaßnahmen ebenso ausschließt wie eine Aufstockung der Einzelhilfen nach dem SGB II. Die Ausgestaltung der freien Förderung mit einem Volumen von 2 % des Eingliederungs-Budgets ist nicht geeignet, die Abschaffung der sonstigen weiteren Leistungen im SGB II zu kompensieren.
- Die bekannten Schwächen in der Bewilligungspraxis eigenen Wohnraums im Zusammenhang mit der Zwangsverweisung auf Bedarfsgemeinschaften im Rahmen der Gesetzesreform bestehen weiterhin. Der Zwang zum Verbleib in mitunter von multiplen Problemhintergründen geprägten Familienver-bänden konterkariert vielfach das angestrebte Ziel einer Verselbständigung junger Menschen und behindert diese damit auf ihrem Weg in ein selbstverantwortetes Leben.
- Mit der im Gesetzentwurf verankerten verpflichtenden Ausschreibung eines Großteils der neugefassten Leistungen entsprechend den Bestimmungen des Vergaberechtes verbinden sich Risiken, die den gesetzgeberischen Zielen einer Entbürokratisierung und Flexibilisierung zuwider laufen. So bedingt der erhöhte Verwaltungsaufwand eines öffentlichen Vergabeverfahrens die Wahrscheinlichkeit, dass Hilfen zu spät einsetzen und damit wirkungslos bleiben. Auch besteht die Gefahr, dass die Gestaltung individueller Lösungsansätze vor Ort durch starre vergaberechtliche Regelungen mehr behindert als gefördert wird. Insbesondere trifft dies zu für niedrigschwellige Angebote nach § 45 SGB III. Insgesamt stellt die Verpflichtung zur öffentlichen Ausschreibung von Leistungen in diesem Bereich potenziell eine erhebliche Beeinträchtigung der Qualität Sozialer Arbeit dar.
3. Fazit
Die AGJ stellt fest, dass die mit dem aktuellen Regierungsentwurf verbundenen Neuregelungen im SGB II und SGB III geeignet sind, einer Arbeitsmarktpolitik Vorschub zu leisten, die sich gegen sozial benachteiligte Jugendliche richtet und die damit einem Teil der jungen Generation das gesellschaftspolitische Signal gibt, ausgegrenzt und abgeschrieben zu sein.
Die AGJ macht darauf aufmerksam, dass überall dort, wo unter den Maßgaben einer intelligenten und zukunftsorientierten Bewilligungs-praxis bestehende arbeitsmarktpolitische Instrumente mit kommunal-politischen Instrumenten, insbesondere der Jugendberufshilfe und Jugendsozialarbeit, sowie mit schulischen Fördermöglichkeiten der Länder kombiniert werden, selbst stark benachteiligte Jugendliche erfolgreich bei der Entwicklung einer selbständigen Lebensführung unterstützt werden können.
Die AGJ erwartet von der Bundesregierung, diese Ansätze zu stärken, statt ihnen teilweise bzw. gänzlich die gesetzliche Grundlage zu entziehen. Deutschland kann es sich nicht erlauben, sein Bildungsangebot in spezifischen Bereichen zu verbessern, gleich-zeitig aber einem Teil der sozial benachteiligten jungen Menschen jede Unterstützung bei der Integration in Arbeit zu verweigern.
Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 26./27. November 2008
[1] „Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit – Zielgerichtete und passgenaue Hilfen für sozial benachteiligte junge Menschen“
[2] „Qualifizierungsinitiative für Deutschland „Aufstieg durch Bildung“ – Förderung sozial benachteiligter junger Menschen sicherstellen“