Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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Das Bundesministerium der Justiz setzte im März 2006 eine Arbeitsgruppe ein, die vor dem Hintergrund schwerwiegender Fälle von Kindesvernachlässigung und Delinquenz von Kindern und Jugendlichen prüfen sollte, wie familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls erleichtert werden können. 

Der am 17. November 2006 vorgelegte Abschlussbericht der Arbeitsgruppe wurde in den Gremien der AGJ intensiv diskutiert. 

Der Vorstand der AGJ hat sich in seiner Sitzung am 18./19. April 2007 mit den Empfehlungen der Arbeitsgruppe befasst und hierzu Stellung genommen. Auf Grundlage dieser Beratungsergebnisse nimmt die AGJ zu dem am 26.04.2007 bei der AGJ eingegangenen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls wie folgt Stellung:

Artikel 1
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

§ 1631b BGB (freiheitsentziehende Maßnahmen): Aus Sicht der AGJ ist eine familiengerichtlich genehmigte freiheitsentziehende Maßnahme nur dann zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Anzustreben ist eine präzise Fassung der tatbestandlichen Regelungsvoraussetzungen. 


§ 1666 Abs. 1 BGB (Abbau von „Tatbestandshürden“ für die Anrufung der Familiengerichte; Streichung der Voraussetzung des „elterlichen Erziehungsversagens“): Die Empfehlung, die Voraussetzung des „elterlichen Erziehungsversagens“ zu streichen, wird seitens der AGJ begrüßt. Die nach geltendem Gesetzeswortlaut notwendige Kausalität zwischen dem „Versagen der Eltern“ und der Kindeswohlgefährdung ist für die Jugendämter und Familiengerichte nur schwer festzustellen bzw. darzulegen.


§ 1666 Abs. 3 BGB (Konkretisierung der Rechtsfolgen): Aus Sicht der AGJ eröffnet auch der geltende Wortlaut der Norm, nach der das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr „erforderlichen Maßnahmen“ zu treffen habe, den Gerichten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, diese würden jedoch kaum ausgeschöpft. Meist beschränkt sich die gerichtliche Reaktion auf den teilweisen oder vollständigen Entzug des Sorgerechts. 

Daher wird die vorgeschlagene beispielhafte – nicht abschließende – Aufzählung der Rechtsfolgen des § 1666 BGB in Absatz 3, mit dem Ziel, Familiengerichten und Jugendämtern die Bandbreite möglicher Maßnahmen auch unterhalb der Schwelle der Sorgerechtsentziehung zu verdeutlichen, grundsätzlich begrüßt. 

Mehrheitlich kritisiert wird seitens der AGJ die Formulierung in Nr. 1 des § 1666 Abs. 3 BGB. Hier heißt es: „Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge anzunehmen...“. Diese Formulierung setzte voraus, dass das Familiengericht auch die Bewilligung der notwendigen Hilfe bzw. Leistung ersetzt. Da das Familiengericht aber zum Beispiel keinesfalls eine Hilfe nach dem SGB VIII bewilligen könne, schlägt die AGJ vor, den Eltern aufzugeben, „die Hilfe bzw. Leistung zu beantragen“. 


§ 1696 Abs. 3 BGB (Überprüfung nach Absehen von gerichtlichen Maßnahmen): Die vorgeschlagene Ergänzung, mit der sichergestellt werden soll, dass das Gericht in angemessenem Zeitabstand überprüft, ob seine Entscheidung, von gerichtlichen Maßnahmen abzusehen, sich weiterhin als sachgerecht erweist, wird begrüßt. 


Artikel 2
Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

§ 50f FGG (Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) (Erörterung der Kindeswohlgefährdung): Die Ergänzung des familiengerichtlichen Verfahrensrechts durch eine Vorschrift zur „Erörterung der Kindeswohlgefährdung“ wird begrüßt. Schon nach geltendem Recht ist die Erörterung der Kindeswohlgefährdung des Gerichts mit den Eltern nicht ausgeschlossen (§ 50a FGG), allerdings wird diese Möglichkeit in der Praxis kaum genutzt. 

Die Regelung, bei der Erörterung „in geeigneten Fällen“ auch das Kind einzubeziehen, wird seitens der AGJ begrüßt. Eine Festschreibung der ausnahmslosen Einbeziehung des Kindes ist insbesondere bei sehr jungen Kindern unzweckmäßig. Die vorgeschlagene regelmäßige Einbindung des Jugendamtes in die Erörterung, als der für die Bestimmung einer notwendigen und geeigneten Hilfe zuständigen Fachbehörde, wird daher begrüßt. 

Auch die regelmäßige Ladung des Jugendamtes zu dem Erörterungstermin wird begrüßt. Eine zwingende Ladung wäre aus Sicht der AGJ nicht praktikabel; vor dem Hintergrund einzuhaltender Ladungsfristen wären Eilentscheidungen in diesem Falle kaum mehr möglich.  


§ 70e Abs. 1 FGG (Sachverständigengutachten in Unterbringungssachen):  Die vorgeschlagene Erweiterung des Kreises der möglichen Gutachter in Unterbringungsverfahren um Psychologen, Pädagogen und Sozialpädagogen wird von der AGJ begrüßt.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 18./19. April 2007