Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe zur Offenen Kinder- und Jugendarbeit

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Einleitung

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit ist ein Leistungsbereich der Jugendhilfe mit schwacher gesetzlicher Verankerung aber großer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Die Kinder- und Jugendarbeit insgesamt verfügt über spezifische Zugänge und Lernfelder, die den Erwerb von außerschulischer Bildung in besonderer Weise begünstigen. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit leistet einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer ausgewogenen sozialen Infrastruktur in den Städten und Landkreisen. Sie hat zugleich einen wesentlichen Anteil an der Vermeidung von Ausgrenzung und an der Integration von bildungs- und sozialbenachteiligten Bevölkerungsgruppen. Diese Stellungnahme soll dazu dienen, die perspektivische Orientierung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit in Richtung Bildung und Sozialisationsagentur sowohl konzeptionell deutlich zu profilieren als auch öffentlich zu kommunizieren.


1. Gesetzliche Grundlage und Auftrag

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit ist heute unentbehrlicher Bestandteil der sozialen Infrastruktur von Städten und Gemeinden, um den Auftrag des Kinder- und Jugendhilfegesetzes § 11 zu erfüllen, „die erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen“. Als Angebotsform steht es gleichberechtigt neben der verbandlichen Jugendarbeit mit ihrer verbindlichen, wertgebundenen Ausrichtung.

Offene Kinder- und Jugendarbeit richtet sich nach dem gesetzlichen Auftrag grundsätzlich an alle Kinder und Jugendlichen. Bei der Konzipierung von Angeboten muss sie die Lebenslagen und Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen in ihrem Einzugsbereich berücksichtigen und sich dann für ein deutliches Profil entscheiden. Mit diesem auf die Lebenslagen und den Sozialraum ausgerichteten Ansatz erfüllt die Offene Kinder- und Jugendarbeit in besonders niedrigschwelliger Weise den Auftrag des § 11, „an den Interessen der jungen Menschen anzuknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet zu werden“.

Die fachliche Basis der Offenen Kinder- und Jugendarbeit besteht nicht in einem spezifischen, methodischen Ansatz, sondern in der Analyse der Lebenssituation der jungen Menschen in ihrem Zuständigkeitsbereich. Die Offene Kinder- und Jugendarbeit fokussiert in der räumlichen Infrastruktur einer Kinder- und Jugendfreizeitstätte, muss aber gleichzeitig die übrigen öffentlichen Freizeiträume ihrer Zielgruppen in die konzeptionelle Entwicklung einbeziehen.

2. Zielsetzungen für die Offene Kinder- und Jugendarbeit

Die Ziele der Offenen Kinder- und Jugendarbeit orientieren sich an dem Maßstab, der für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe gilt: Sie fördert junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung und trägt dazu bei, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen, sowie positive Lebensbedingungen für junge Menschen zu erhalten oder zu schaffen.

Aus dieser Zielsetzung ergibt sich, dass die Offene Kinder- und Jugendarbeit nicht a priori auf Randgruppen und Benachteiligte ausgerichtet ist. Damit ist auch unübersehbar, dass sich Offene Kinder- und Jugendarbeit nicht definieren muss durch präventive, kompensatorische, „problementsorgende“ oder integrierende Leistungen. Sie sollte aber ihre Stärken in den Dienst der Kinder und Jugendlichen stellen, die Angebote am dringendsten benötigen.

Wichtige Grundlage zur Erfüllung der §§ 1 und 11 KJHG ist die Bereitstellung und der bedarfsgerechte Ausbau der Infrastruktur für Offene Kinder- und Jugendarbeit in Form von „Ermöglichungsstrukturen“ (Räumen, Fachkräften, Sachmitteln). 


3. Gemeinsame Merkmale Offener Kinder- und Jugendarbeit

Die Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit dienen als Basisstationen, die lebenswelt- und stadtteilorientiert den Aktionsradius ihrer kindlichen und jugendlichen Zielgruppen in der Freizeit begleiten und mit ihnen Angebote entwickeln. Im Rahmen des Grundprinzips der Offenheit sind vielfältige spezifische Ausprägungen entstanden.
Zu den gemeinsamen Grundlagen und Merkmalen Offener Kinder- und Jugendarbeit zählen

  • öffentliche Innen- und Außenräume für Kinder und Jugendliche schaffen und zugänglich halten
  • aktive Beteiligung ermöglichen
  • die unterschiedlichen Interessen und Lebenslagen von Mädchen und Jungen berücksichtigen und thematisieren
  • demokratisches Handeln zu unterstützen
  • Eigenverantwortung entwickeln und fördern
  • ein niedrigschwelliges Angebot bereithalten
  • sich im Interesse von Kindern und Jugendlichen in die Gestaltung der Gesellschaft einmischen
  • junge Menschen zu Engagement und Partizipation auffordern, durch Eröffnung von Möglichkeiten, Verantwortung und Leitung zu übernehmen, Meinungen zu artikulieren und zu diskutieren, Einfluss zu nehmen und mitzuentscheiden
  • durch außerschulische Bildung, Erwerb von sozialen und kulturellen Schlüsselqualifikationen.


4. Offene Kinder- und Jugendarbeit als Ermöglichungsstruktur

Kinder und Jugendliche gehören in mehrfacher Hinsicht zur schwächsten Bevölkerungsgruppe in unserem Land. Kinder und Jugendliche sind wesentlich seltener im öffentlichen Raum präsent als vor einer Generation. Ihre Zahl hat sich deutlich reduziert, die Gefährdungspotentiale für Kinder und Jugendliche haben zugenommen, ihr Aufenthalt in öffentlichen Bereichen ist zum Teil deutlich eingeschränkt und sie werden auf sichere Bereiche verwiesen wie Schulhöfe, Spielplätze, Sportanlagen und Jugendeinrichtungen.

Kinder und Jugendliche haben heute mehr denn je ein Recht auf öffentliche Räume für ihre Entwicklung, die als Räume im territorialen wie im sozialen Sinn zu verstehen sind. Räume, die für ihre Interessen und Freizeitbedürfnisse zur Verfügung stehen und in denen sie sich sozial wie emotional entwickeln können. 
Kinder und Jugendliche brauchen neben Elternhaus und Schule Räume mit Aneignungsmöglichkeiten in partizipativ gestalteten Selbstentfaltungs-, Erprobungs- und Lernprozessen. 

Offene Kinder- und Jugendarbeit bietet Rahmenbedingungen, die den Bedürfnissen der Besucherinnen und Besucher nach Selbstverwirklichung, Anerkennung, Geselligkeit, Geborgenheit und Erlebnis entgegen kommen. Selbstorganisationsprozesse in Cliquen werden immer wichtiger und die Entfaltung von Jugendkulturen ist ein praktischer Versuch, sich gesellschaftliche und soziale Wirklichkeit handelnd anzueignen.

Offene Kinder- und Jugendarbeit hilft jungen Menschen dabei, ihre konkrete Lebenswirklichkeit besser zu bewältigen und auch in schwierigen Lebenslagen handlungsfähig zu bleiben. Die niedrigschwelligen, unverbindlichen Angebotsformen enthalten eine besondere Option im Blick auf benachteiligte junge Menschen sowie Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien und unterschiedlichen Herkunftskulturen.

Die Leistungen der pädagogischen Fachkräfte gehen über ein programm- und projektspezifisches Angebot hinaus. Die Fachkräfte haben die Möglichkeit, die Anliegen der Besucherinnen und Besucher subjektorientiert aufzugreifen, ihnen Wege zur Verwirklichung ihrer Interessen aufzuzeigen, ihnen Bildungschancen zu eröffnen und ihnen Beratung, Orientierungshilfen und konkrete Hilfe anzubieten.


5. Bildungsziele in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Bildung ist der umfassende Prozess der Entwicklung und Entfaltung derjenigen Fähigkeiten, die Menschen in die Lage versetzen, zu lernen, Leistungspotenziale zu entwickeln, zu handeln, Probleme zu lösen und Beziehungen zu gestalten. Bildung ist mehr als schulische Bildung. Offene Kinder- und Jugendarbeit basiert auf einem subjektorientierten Bildungsbegriff und versteht Bildung vor allem als Selbstbildung (Auseinandersetzung mit sich und der Welt).
Bildungsziele in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind vor allem die Entwicklung von

  • personalen Kompetenzen, wie Selbstbewusstsein, Fähigkeit zum Umgang mit Gefühlen,  Umgang mit Wissen, Neugier, kritischer Auseinandersetzung, Urteilsvermögen
  • sozialen Kompetenzen, wie Ausdrucksfähigkeit, Teamfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft und Solidarität
  • kulturellen Kompetenzen, wie interkulturellem Wissen, Toleranz, aber auch z.B. Medienkompetenz, als wichtige Voraussetzung für berufliche Perspektiven
  • politischen Kompetenzen der Mitgestaltung, Mitbestimmung und Mitverantwortung (Partizipation), als die adäquate Form der politischen Bildung im Kontext offener Arbeit
  • Genderkompetenzen, wie Erweiterung der individuellen Perspektiven und Handlungsspielräume durch Veränderung vorhandener geschlechtsbezogener Rollenzuweisungen.

In diesem Sinne vermittelt die Offene Kinder- und Jugendarbeit als Ort informeller Bildungsprozesse zentrale soziale Schlüsselqualifikationen und ermöglicht eine vielfältige soziale Bildung für die Gestaltung der Gesellschaft.


6. Förderung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit

Die Offene Kinder- und Jugendarbeit hat außerhalb der Fachpolitik selten eine starke politische Lobby. Ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückt sie häufig erst dann, wenn Kinder und Jugendliche durch auffälliges Verhalten Aufmerksamkeit erregen und nach Abhilfen und passenden Freizeitangeboten für diese jungen Menschen gesucht wird. Gerade solche Situationen beeinflussen die Entscheidung zum Ausbau der Angebote. Die systematische Planung einer Infrastruktur der Offenen Kinder- und Jugendarbeit auf kommunaler Ebene etwa als Freizeitstättenplanung wird hingegen häufig vernachlässigt.

Andererseits fließt ein erheblicher Teil der kommunalen Mittel in die Förderung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. Die Finanzierung der Offenen Kinder- und Jugendarbeit lastet fast ausschließlich auf den Schultern der Kommunen. Regelförderungen gibt es nur in einzelnen Bundesländern. Von der Projektförderung der Länder und von Bundesmitteln kann die jeweils örtlich strukturierte Offene Kinder- und Jugendarbeit nur in Ausnahmefällen profitieren.

Diese unterschiedliche Förderungsstruktur verursacht große qualitative und quantitative Unterschiede in der Verfügbarkeit von offenen Angeboten für junge Menschen. Die jugendpolitisch Verantwortlichen auf allen Ebenen sind hier herausgefordert, für eine ausreichende Ausstattung in Qualität und Umfang Sorge zu tragen.


7. Entwicklungstendenzen, Herausforderungen

Die Verantwortlichen für die Offene Kinder- und Jugendarbeit – die freien Träger, die öffentlichen Träger und die Fachkräfte – müssen sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen, die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche haben, befassen, Entscheidungen treffen und diese in der jugendpolitischen Öffentlichkeit zur Diskussion stellen.

Zu den thematischen Herausforderungen gehört

  • die Ganztagsschule mit den Chancen zur Zusammenarbeit, mit den Veränderungen, die sie für die Freizeit bewirkt und mit dem Bedarf an Förderungs- und Betreuungsleistungen,  die sie an die offene Kinder- und Jugendarbeit heranträgt
  • die Rolle von Kindern und Jugendlichen im Gemeinwesen angesichts der Debatte über das Verhältnis der Generationen, der Verarmungsprozesse von Familien, der Entwicklungen am Arbeits- und Ausbildungsmarkt
  • die Interessenvertretung und Partizipation durch und für Kinder und Jugendliche, die sowohl nach außen in den politischen Raum, als auch nach innen in den Angeboten und Organisationsstrukturen der offenen Kinder- und Jugendarbeit erfolgen muss
  • die Jugendhilfeplanung und entsprechende kommunalpolitische Entscheidung für die Offene Kinder- und Jugendarbeit, mit dem Ziel, gerade angesichts leerer Kassen mittelfristig Planungssicherheit zu gewährleisten
  • die angemessene landespolitische Schwerpunktsetzung durch einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen, der die erforderliche Planungssicherheit auf kommunaler Ebene flankiert
  • die Verknüpfung zwischen Praxis, Forschung und Ausbildung der Fachkräfte.

 

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe
Berlin, April 2005