Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe zur Reform des gesetzlichen Kinder- und Jugendschutzes und zum Jugendschutzgesetz (JuSchG)

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Die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe hat die Reformbestrebungen des gesetzlichen Kinder- und Jugendschutzes in den vergangenen Jahren mit nachdrücklichem Interesse verfolgt und die Novellierungsbedarfe der bestehenden Vorschriften in ihren Fachgremien diskutiert. Hier wird eine umfassende Jugendschutzreform nach einer grundsätzlichen Debatte über inhaltliche Zielsetzung und Systematik der Jugendschutzgesetzgebung schon seit Jahren gefordert.

Die Anpassung der gesetzlichen Regelungen an die gegenwärtigen Lebenslagen von jungen Menschen und die gesellschaftlichen und technischen Veränderungsprozesse ist dringend geboten. Darüber hinaus bedarf die bestehende unübersichtliche Regelungssystematik einer Korrektur. Bisher finden sich Jugendschutzbestimmungen in einer Vielzahl von Regelungswerken, von denen nur wenige als jugendschutzspezifische Fachgesetze ausgestaltet sind. Zumeist sind die Jugendschutzvorschriften als Einzelbestimmungen in fachspezifischen Regelungswerken verankert.

Die Erwartungen der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe an die nun in Kürze zu erwartende Reform des Jugendschutzes sind mit dem neuen Jugendschutzgesetz nur teilweise erfüllt worden. Das Gesetz beabsichtigt nicht eine grundlegende Reform des gesamten Jugendschutzrechts, sondern soll insbesondere den Jugendmedienschutz neu regeln und die Gefährdungstatbestände des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit, JÖSchG, den technischen Entwicklungen anpassen. Die AGJ bedauert die Diskrepanz zwischen den seit Jahren in Fachkreisen geforderten Neuerungen im gesetzlichen Kinder- und Jugendschutz und den nur teilweise erfolgten Umsetzungen in dem neuen Jugendschutzgesetz. Die Zusammenfassung des JÖSchG und des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte, GjS, in einem mit dem Medienstaatsvertrag abgestimmten JuSchG allein begründet noch keine ausreichende Klarheit und Übersichtlichkeit der derzeit in vielen Gesetzen verstreuten Jugendschutzregelungen. Hier wäre eine umfassendere Änderung der Regelungssystematik des Jugendschutzes wünschenswert gewesen.

Neben den kritisch zu bewertenden inhaltlichen Beschränkungen des Gesetzesentwurfes, insbesondere auf die Neuregelung des Jugendmedienschutzes und die Anpassung des JÖSchG an die technischen Entwicklungen, sind die inhaltlichen Zielsetzungen und Neuregelungen des Jugendschutzgesetzes aus Sicht der AGJ jedoch weitgehend zu begrüßen.

Die Verschärfung der jugendschutzrechtlichen Vorschriften, die die Abgabe von Tabakwaren an Kinder und Jugendliche betreffen, ist sinnvoll. Positiv zu bewerten ist ferner die nun erstmals getroffene Regelung, die die Alkohol- und Tabakwerbung für Kinder und Jugendliche einschränkt.

Einstieg in den Gebrauch von Nikotin findet bevorzugt im Jugendalter statt und ist – wie erst jüngst durch den 11. Kinder- und Jugendbericht und den aktuellen Bundesdrogen- und Suchtbericht belegt – trotz verstärkter gesundheitlicher Aufklärungskampagnen nicht rückläufig. Die Zahl jüngerer Raucher und Raucherinnen steigt vielmehr stetig an und die Ergebnisse der Suchtforschung belegen eindeutig den Zusammenhang zwischen einer frühzeitigen Nikotinsucht und einer herabgesetzten Hemmschwelle, legale und illegale Drogen zu konsumieren. Daher muss im gesetzlichen Jugendschutz ein Zeichen gesetzt werden, das auch eine öffentliche Mitverantwortlichkeit signalisiert. Der Gesetzgeber ist gefordert, dem Bereich der Gesundheitsförderung auch im Kinder- und Jugendschutz ein stärkeres Gewicht zu geben. Neben einer „gesetzlichen Gefahrenabwehr“ sind allerdings auch die Eigenverantwortlichkeit, der Aufbau gesundheitsfördernder Netzwerke und Health-Lifestyles zu fördern. Die AGJ schließt sich daher der Forderung des 11. Kinder- und Jugendberichtes an, Jugendschutz als Gesundheitsschutz im Sinne der Kinder- und Jugendhilfe so zu verstehen, dass die Kinder- und Jugendhilfe Angebote für gesundheitsfördernde Verhaltensweisen der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien vorsieht und sich der gesetzliche Jugendschutz an dieser Angebots- und Förderungskonzeption orientiert.

Eine Anpassung der gesetzlichen Vorschriften an die Lebensrealität hätte sich die AGJ im Hinblick auf den Zugang von unter 16-Jährigen in Gaststätten und Diskotheken gewünscht. Zwar sind klare Altersgrenzen für Tanzveranstaltungen etc. durchaus sinnvoll, sie sollten jedoch realitätsnah sein und den tatsächlichen Lebenswelten von jungen Menschen entsprechen. In der weitgehenden Beibehaltung der bisherigen „Ausgehzeiten“ spiegeln sich die Entwicklungen von jungen Menschen in den letzten Jahren nicht wider. Letztlich geht es bei der Regelung des Zugangs von Jugendlichen zu Tanzveranstaltungen und einer daraus resultierenden Gefährdung nicht nur um die zeitliche Begrenzung des Besuchs, sondern vor allem um die jugendgerechte Durchführung der Veranstaltung. Hier sollten einheitliche Kriterien und Standards entwickelt und deren Einhaltung überwacht werden, denn eine mögliche Gefährdung von Jugendlichen in Gaststätten und Diskotheken besteht in erster Linie im Zusammenhang mit Suchtmittelmissbrauch, Gewalt und Gesundheitsgefährdungen durch einen zu hohen Lärmpegel.

In dem Jugendschutzgesetz wird erstmals der Begriff der erziehungsbeauftragten Person verwendet. Erziehungsbeauftragte Personen sind Personen über 18 Jahre, die auf Dauer oder zeitweise aufgrund einer Vereinbarung mit den Eltern Erziehungsaufgaben wahrnehmen. Die AGJ begrüßt die Einführung des Begriffes. Die Begleitung durch eine/n Beauftragte/n stellt keine Degradierung der elterlichen Fürsorgepflicht gegenüber ihren Kindern dar, sondern ist vielmehr als ein Lösungsmodell anzusehen, dass sich an den veränderten Lebenswelten orientiert, in denen gerade im Freizeitbereich neben den Eltern oftmals auch andere Personen Verantwortung für Minderjährige übernehmen. Problematisch ist allerdings die Legitimation der erziehungsbeauftragten Personen. Hier bedarf es einer deutlicheren Regelung, die sowohl für die Eltern als auch die Veranstalter und Gewerbebetreiber praktikabel ist.

Die umfassende Neuregelung des Jugendmedienschutzes in dem Jugendschutzgesetz wird befürwortet. Auch die Anpassung der Gefährdungstatbestände des JÖSchG an die technischen Entwicklungen der vergangenen Jahre war längst überfällig. Reformbedarf bestand vor allem im Hinblick auf die zersplitterten staatlichen Aufsichten über die Medienangebote aufgeteilt zwischen Bund und Ländern, Behörden und Gremien, Selbstkontrolleinrichtungen und Kommissionen. Infolge der stetigen Weiterentwicklung im Medienbereich und der unterschiedlichen Entwicklung der verschiedenen kontrollierenden Systeme (Jugendschutzgesetze, Strafrecht, Rundfunkstaatsvertrag, Mediendienstrecht, Bundesprüfstelle, Freiwillige Selbstkontrolle) entstand bereits vor einigen Jahren die Forderung nach einer Vereinheitlichung zugunsten größerer Effektivität. Das Jugendschutzgesetz kommt dieser Forderung nur teilweise nach.

Positiv wird die einheitliche Behandlung von Angeboten der Tele- und Mediendienste als Telemedien bewertet. Damit wird die bisherige Zersplitterung in sogenannte Teledienste, für die der Bund nach dem Teledienstegesetz (TDG) bzw. dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) zuständig ist, und die Mediendienste, deren Zuständigkeit bei den Ländern liegt, aufgehoben. Der Begriff der Telemedien im Jugendschutzgesetz stimmt inhaltlich im wesentlichen mit der Telemediendefinition des Jugendschutzmedienstaatsvertragsentwurfes überein. Begrüßt wird auch die Einbeziehung der neu zu schaffenden Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) als Prüfstelle der Länder in das Prüfungsverfahren der Bundesprüfstelle. Die verfahrensrechtliche Verzahnung und Schaffung einheitlicher Schutzstandards ist sinnvoll und hilft Koordinierungsproblemen zwischen Bund und Ländern ab. Nachdrücklich befürwortet wird das neu eingeführte Tätigwerden der Bundesprüfstelle auch von Amts wegen.

Dennoch gibt es auch bei den Neuregelungen Unklarheiten. Insbesondere bei der Abgrenzung von Trägermedien und Telemedien kann die Zuständigkeitszuordnung problematisch werden. Denn soweit bei den Trägermedien von einem elektronischen Verbreiten ausgegangen wird, ist die Abgrenzung zu den Telemedien, die durch das Merkmal der elektronischen Übermittlung gekennzeichnet sind, nicht mehr hinreichend klar. Relevant ist diese Überschneidung, da es unterschiedliche Zuständigkeiten gibt. Für die Trägermedien sind die obersten Landesbehörden bzw. Organisationen der freiwilligen Selbstkontrolle zuständig, für die Telemedien die neu einzurichtende Kommission für Jugendschutz der Landesmedienanstalten bzw. die von ihr zertifizierten Organisationen der freiwilligen Selbstkontrolle. Wird ein Medienangebot gleichzeitig auf mehreren Trägermedien an- geboten, kann es zu einer Doppelprüfung kommen.

Die Entwicklung bei den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien stellt für den gesetzlichen Kinder- und Jugendschutz eine besondere Herausforderung dar. Besonders hervorzuheben sind die vielfältigen Formen von gewaltdarstellenden und gewaltverherrlichenden Medieninhalten und deren (entwicklungspsychologische) Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Die Aufnahme der Video- und Bildschirmspielgeräte in die gesetzlichen Regelungen und die entsprechende Erweiterung der Freigabe- und Kennzeichnungsregelung ist daher ausdrücklich zu begrüßen. Abge- lehnt wird dagegen die Abgabe bespielter Bildträger in Automaten. Es ist zweifelhaft, ob Sicherheitstechniken entwickelt werden können, die Kindern und Jugendlichen die Automatenbedienung tatsächlich unmöglich machen können. Darüber hinaus kann die Anonymität der automatisierten Abgabe zu größerem Missbrauch verleiten.

Neben den zahlreichen Neuregelungen des Jugendschutzgesetzes muss ein besonderes Augenmerk auf die Verbesserung der Kontrolle des gesetzlich normierten Jugendschutzes gelegt werden. Kontrolldefizite, die sich in einer geringen Kontrolldichte und lückenhaften „Kontrollgängen“ bemerkbar machen, resultieren teilweise aus den begrenzten Personalkapazitäten bei den Kontrollinstanzen. Problematisch sind schließlich die bestehenden Mehrfachzuständigkeiten für Jugendschutzkontrollen von Jugendamt, Polizei und Gewerbeaufsichtsamt. Im Internetbereich scheitert eine zuverlässige Kontrolle oftmals an den technischen Voraussetzungen bzw. Kenntnissen und an der Unüberschaubarkeit des zu kontrollierenden Angebotes. Erschwerend wirken sich zudem Unterschiede in der in- ternationalen Kinder- und Jugendschutzgesetzgebung aus.

Bei der Novellierung des gesetzlichen Jugendschutzes kann es nicht allein um Verschärfungen einzelner Bestimmungen gehen. Vielmehr sollte der Gesetzgeber sich bei der Reform von den Zielvorstellungen der Vereinfachung, Vereinheitlichung des Kinder- und Jugendschutzes, einer Rechtsklarheit für Wirtschaft und Eltern, Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern sowie der Stärkung der Selbstverantwortung der Wirtschaft leiten lassen.

Ein zeitgemäßer Kinder- und Jugendschutz sollte in erster Linie eine Orientierungshilfe für Eltern und Erziehungsberechtigte darstellen, die angemessene Vorgaben und Leitlinien für deren erzieherisches Handeln bietet. Regelungen, die Kinder und Jugendliche bevormunden, sollten reduziert werden.

Erforderlich ist schließlich, sich angesichts der globalen Vernetzungen für die Schaffung europa- und weltweiter Mindeststandards des Kinder- und Jugendschutzes einzusetzen. Vor allem beim Jugendmedienschutz sind nationale Regelungsmechanismen nicht mehr ausreichend, um jugendgerechten Schutz zu gewährleisten. Auch wenn das Regelungswerk des Kinder- und Jugendschutzes sich nicht im Gleichklang mit dem technischen Fortschritt der modernen Kommunikationsmedien weiterentwickeln wird, sind internationale Abkommen, die einheitliche Sicherheitsstandards festschreiben, ein Schritt in die richtige Richtung.

 

Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe Berlin/Kassel, den 25./26. Juni 2002