Anforderungen an das künftige EU-Jugendprogramm ab 2014
Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
im Rahmen der öffentlichen Konsultation der EU-Kommission über das zukünftige europäische Jugendprogramm
Stellungnahme als PDF
Mit einem aktuellen Konsultationsaufruf eröffnet die Europäische Kommission die öffentliche Diskussion über die Ausgestaltung eines neuen Jugendprogramms als Teil der nächsten Programmgeneration der Europäischen Union (EU) ab 2014. Bereits in den Diskussionen über die Ausgestaltung der Initiative „Jugend in Bewegung“[1] als Teil der EU-Wachstumsstrategie „Europa 2020“[2] und über Umsetzungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten der EU-Jugendstrategie (2010-2018)[3] wurde die Frage der zukünftigen EU-Programmpolitik im Jugendbereich aktuell. Mit der vorliegenden Stellungnahme beteiligt sich die Arbeitsgemeinschaft für Kinder-und Jugendhilfe – AGJ an der genannten Konsultation und beschreibt ausgehend von einer kurzen Zwischenbilanz des laufenden Programms notwendige Rahmungen, Zielsetzungen und Eckpunkte des künftigen EU-Jugendprogramms.
JUGEND IN AKTION (2007-2013)
Das aktuelle Programm JUGEND IN AKTION richtet sich in der Regel an junge Menschen im Alter von 15 bis 28 Jahren und zielt darauf ab, unter jungen Europäerinnen und Europäern einen Sinn für aktive Bürgerschaft, Solidarität und Toleranz zu entwickeln und sie in die zukünftige Gestaltung der EU einzubinden.
Das Programm fördert zudem die Mobilität innerhalb und außerhalb der EU-Grenzen, das nichtformale Lernen und den interkulturellen Dialog und es ermuntert zur Einbeziehung junger Menschen, ungeachtet ihres bildungs-bezogenen, sozialen und kulturellen Hintergrunds. Insgesamt nehmen in jedem Jahr EU-weit mehr als 130.000 junge Menschen und Fachkräfte in über 7.000 Projekten an diesen Maßnahmen teil.
Eine aktuelle Befragung der Kommission ergibt sehr deutliche Zustimmung der Teilnehmenden zu dem Programm. Vor allem wird die Zielerreichung im Bereich der interkulturellen Kompetenz, des Spracherwerbs und des Bewusstseins der europäischen Bürgerschaft hervorgehoben, während der Erwerb allgemeiner Kompetenzen und Fertigkeiten als weniger ausgeprägt bewertet wird.[4]
Trotz der gestiegenen Zahl der jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer erreicht das Programm bislang mit 0,13 Prozent nur einen verschwindend kleinen Teil der insgesamt etwa 98 Millionen jungen Menschen in der EU, der Anteil der Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf ist ausbaufähig.
Rahmung, Zielsetzungen und Eckpunkte des neuen EU-Jugend-programms
Das künftige EU-Jugendprogramm soll nach dem Willen der Europäischen Kommission die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa und die ihr zugrunde liegende EU-Jugendstrategie unterstützen. Das Programm soll sich darüber hinaus in den Gesamtkontext von „Europa 2020“ und in die dazu gehörige Initiative „Jugend in Bewegung“ einfügen.
Aus Sicht der AGJ sind die allgemeinen Zielsetzungen der EU-Jugendstrategie, nämlich mehr Möglichkeiten und mehr Chancengleichheit für alle jungen Menschen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen sowie gesellschaftliches Engagement, soziale Eingliederung und Solidarität aller jungen Menschen zu fördern, geeignet, einen Ausgangspunkt für die Ausgestaltung des neuen EU-Jugendprogramms zu bilden.
Mit den Aktionsfeldern der EU-Jugendstrategie[5] ist ein integrierter jugendpolitischer Ansatz geschaffen, der die jugendspezifischen Handlungsschwerpunkte der Initiative „Jugend in Bewegung“[6] einschließt und darüber hinausreicht.
Das bestehende Programm JUGEND IN AKTION (2007-2013) hat sowohl Auswirkungen auf junge Menschen als auch auf die Weiterentwicklung von Jugendpolitik und „Jugendarbeit“[7], wie eine Analyse der Nationalagenturen darlegt.[8] Daran anknüpfend sollte bei der Ausgestaltung des künftigen EU-Jugendprogramms unter Bezugnahme auf die EU-Jugendstrategie deren jugendspezifische Ausrichtung aufgegriffen und fachlich erweitert werden.
Aus Sicht der AGJ sind für die Ausgestaltung eines wirksamen EU-Jugendprogramms angepasste Projektformate und spezifische Unter-stützungsformen, die noch (weiter-)entwickelt werden müssen, für folgende allgemeine Ziele essentiell:
- Unterstützung und Anerkennung von non-formalem Lernen, Mobilität und freiwilligem Engagement junger Menschen
- Unterstützung, Anerkennung und Weiterentwicklung von Kinder- und Jugendhilfe
- Weiterentwicklung der jugendpolitischen Zusammenarbeit in Europa.
Eine solche Weiterentwicklung des Jugendprogramms im Sinne des Ausbaus der jugend(hilfe)politischen Dimension darf jedoch nicht zulasten der Orientierung auf die Zielgruppe Jugend gehen und muss mit einer entsprechenden Ausstattung gesichert werden.
Unterstützung und Anerkennung von non-formalem Lernen, Mobilität und freiwilligem Engagement junger Menschen
Ein wichtiges Einzelziel bei der Unterstützung und Anerkennung von non-formalem Lernen, Mobilität und freiwilligem Engagement junger Menschen ist die Entwicklung und Verbesserung der Kompetenzen junger Menschen und damit die Beförderung von Chancengerechtigkeit und sozialer Inklusion. Hierzu gehört zum Beispiel der Erwerb von Schlüsselkompetenzen, die für das weitere berufliche Leben, die weitere Bildung und Ausbildung und eine aktive Staatsbürgerschaft von Bedeutung sind.
Die Persönlichkeitsentwicklung und die Herausbildung sozialer Kompetenzen sollte durch ein EU-Jugendprogramm ebenso gefördert werden wie Eigeninitiative, Unternehmergeist und Kreativität. Das Programm sollte sprachliche und interkulturelle Kompetenzen sowie das europäische Bewusstsein, das Interesse an und das Engagement für Europa, die Wertschätzung von kultureller Vielfalt, Solidarität und Toleranz fördern. Einen weiteren Schwerpunkt sollte die Stärkung der Bereitschaft und Fähigkeit zum Engagement in Gesellschaft, zur Beteiligung und Einmischung in Politik darstellen. Mobilität als „klassisches“ Instrument eines EU-Jugendprogramms sollte als Schlüssel für Chancen und Teilhabe verstanden werden, auf dessen Nutzung alle jungen Menschen Anspruch haben.[9]
Spezifische Unterstützungsformen müssten zum Beispiel bei der Konzipierung eines Europäischen Freiwilligendienstes für bildungsferne Jugendliche und eines Formats für den Übergang zwischen Schule und Beruf berücksichtigt werden.
Unterstützung, Anerkennung und Weiterentwicklung von Kinder- und Jugendhilfe
Die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen in den Mitgliedsländern der EU durch Maßnahmen, Programme und Aktionen, die im weitesten Sinne als Kinder- und Jugendhilfe bezeichnet werden können[10], lassen sich durch länderübergreifende Kooperationen unterstützen und weiterentwickeln. Damit wird auch eine Qualitätsentwicklung durch Best-Practice-Vergleiche erreicht. Das kann ebenso durch den transnationalen Austausch von inhaltlichen Konzepten erfolgen wie durch den Austausch von Fachkräften über kurze Praktika hinaus.
Auch die Entwicklung international angelegter Aus-, Fort- und Weiterbildung der Fachkräfte muss mit dem Ziel unterstützt werden, damit ein europäisches Bewusstsein in der Kinder- und Jugendhilfe zu entwickeln. Neben dem zu fördernden bilateralen Austausch von Kooperationspartnern in der Kinder- und Jugendhilfe sind vor allem Vernetzungen mehrerer Kooperationspartner verschiedener Partnerländer verstärkt zu unterstützen.
Weiterentwicklung der jugendpolitischen Zusammenarbeit in Europa
Die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa basiert auf der EU-Jugendstrategie, deren oben beschriebene Aktionsfelder inhaltlich einen umfassenden jugendpolitischen Ansatz widerspiegeln. Das künftige EU-Jugendprogamm sollte nicht nur zur Umsetzung dieser Strategie dienen, sondern auch einen Beitrag zu deren Weiterentwicklung leisten. Zu unterstützen sind unter anderem Forschung im Sinne einer evidenzbasierten Jugendpolitik, das sogenannte Peer Learning, die Verbreitung von Ergebnissen und der kontinuierliche Dialog mit politisch Verantwortlichen (z. B. im Rahmen des „Strukturierten Dialogs“ mit jungen Menschen und Jugendorganisationen).
Bei der Ausgestaltung des künftigen EU-Jugendprogramms sollten beispielsweise angepasste Projektformate zur Förderung lokaler Aktivitäten zur Implementierung der Jugendstrategie und damit zum Transfer europäischer Jugendpolitik auf die kommunale Ebene berücksichtigt werden.
Grundsätzlich muss die Programmstruktur eine größere Wirkungsbreite – sowohl in Bezug auf Beteiligungsraten als auch in Bezug auf die Zusammensetzung der Teilnehmenden – ermöglichen. Hierfür ist neben einer deutlichen Verwaltungsvereinfachung unter anderem eine verstärkte Förderung des Bewusstseins der Einsatzmöglichkeiten des Programms bei Multiplikatorinnen und Multiplikatoren vonnöten.
Aus Sicht der AGJ kann nur eine starke Ressortpolitik und ein eigenständiges EU-Jugendprogramm die Spezifik der drei genannten Zielsetzungen (Förderung von Jugend, Jugendarbeit und Jugendpolitik) bündeln, wobei programmüberschreitende, thematisch begründete Kooperationen sicherlich sinnvoll sein können.
Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ wird den weiteren Prozess der Ausgestaltung des künftigen EU-Jugendprogramms auf dem Weg zu einem Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates intensiv begleiten und sieht dem angekündigten Vorschlag der Europäischen Kommission für einen entsprechenden Programmtext entgegen.
Berlin, 28. Oktober 2010
Geschäftsführender Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
[1] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Jugend in Bewegung“. Eine Initiative zur Freisetzung des Potenzials junger Menschen, um in der Europäischen Union intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu erzielen {SEK(2010) 1047}
[2] Mitteilung der Kommission: Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum
KOM(2010) 2020 endgültig (Brüssel, den 3.3.2010)
[3] Entschließung des Rates vom 27. November 2009 über einen erneuerten Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa (2010-2018) (2009/C 311/01)
[4] vgl. Europäische Kommission Jugend: Youth in action monitoring survey, Mai 2010, veröffentlicht auf der Homepage der GD Bildung und Kultur
]5] allgemeine und berufliche Bildung, Beschäftigung und Unternehmergeist, Gesundheit und Wohlbefinden, Teilhabe, Freiwilligentätigkeit, soziale Eingliederung, Jugend in der Welt, Kreativität und Kultur
[6] lebenslanges Lernen, Jugendbeschäftigung, soziale Integration und Mobilität
[7]„Jugendarbeit ist ein breit gefasster Ausdruck, der ein breites Spektrum an Aktivitäten sozialer, kultureller, bildungs- oder allgemeinpolitischer Art umfasst, die von und mit jungen Menschen und für diese durchgeführt werden. Diese erstrecken sich zusehends auch auf Sport und Leistungsangebote für junge Menschen. Die Jugendarbeit gehört zum Bereich der außerschulischen Erziehung sowie der zielgruppenorientierten Freizeitbeschäftigungen, die von professionellen oder freiwilligen Jugendbetreuern und Jugendleitern durchgeführt werden, und beruht auf nicht formalen Lernprozessen und auf freiwilliger Teilnahme.“ (Entschließung des Rates vom 27. November 2009 über einen erneuerten Rahmen für die jugend-politische Zusammenarbeit in Europa (2010-2018) (2009/C 311/01))
[8] vgl. Reflections of the network of the National Agencies of YOUTH IN ACTION. The YOUTH IN ACTION programme and its link with “Youth on the Move” in the EU 2020 Strategy (16.9.2010)
[9] vgl. Für ein Recht auf Grenzüberschreitung. Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe zur Förderung von Mobilität als Schlüssel für Chancen und Teilhabe. Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ (29./30. September 2010)
[10] Das gilt auch dann, wenn die Maßnahmen nicht dem deutschen Verständnis der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII entsprechen, aber vergleichbare Ziele verfolgen.