Auf gute Zusammenarbeit in der Ganztagsbildung! Qualität durch Multiprofessionalität, qualifiziertes Personal und kooperationsförderliche Rahmenbedingungen[1]
Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Abstract
Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ fokussiert in dem Papier auf Ganztagsbildung im Grundschulalter und auf das in diesem Kontext tätige multiprofessionelle Personal. Die AGJ möchte dazu beitragen, dass kooperationsförderliche Rahmenbedingungen und Qualitätsfragen zur Implementierung guter Ganztagsbildung und gelingender Multiprofessionalität systematisch auf die fachpolitische Agenda gesetzt werden. Dabei wird ein Schwerpunkt auf die Kooperation zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Schule zur Gewährleistung des Rechtsanspruchs nach §24 SGB VIII gelegt. Zentrale Aspekte, wie beispielsweise die herausgestellte Verantwortungsgemeinschaft für ein gelingendes Aufwachsen und bestmögliche Förderung der Entwicklungsprozesse von Heranwachsenden, gelten jedoch unabhängig davon, welche Form der organisatorischen Umsetzung und Kooperation gewählt wird.
Nach einer Skizzierung des Grundverständnisses von Ganztagsbildung im Sinne einer kindgerechten und kindorientierten sowie partizipativen und inklusiven Ausgestaltung werden die Potenziale und Formen von multiprofessionellen Kooperationen sowie die Qualifikationen und Professionen in Ganztagssettings in den Blick genommen. Trotz der Vielfalt an Modellen und der damit verbundenen geeigneten Kooperationsmöglichkeiten sieht die AGJ eine möglichst enge Zusammenarbeit, d. h. die kooperative, gleichberechtigte, gemeinsam verantwortete Gestaltung der Ganztagsbildung unter Einbeziehung weiterer Partner*innen/Spezialist*innen, grundsätzlich als erstrebenswert an.
Herausforderungen, wie sie sich beispielsweise durch die Umsetzung des Fachkräftegebotes in der Praxis ergeben können, müssen durch die Verständigung auf kooperationsförderliche Rahmenbedingungen und qualitative Standards für die multiprofessionelle Kooperation in der Ganztagsbildung angegangen werden.
Entsprechend formuliert die AGJ gegenüber den verschiedenen Verantwortungsebenen Handlungsnotwendigkeiten, um qualitätsvolle Ganztagsbildung auch tatsächlich umsetzen zu können. Die Bedarfe und Bedürfnisse von Kindern dienen dabei als Ausgangspunkt. Nur so kann Ganztagsbildung ihrem Anspruch gerecht werden, Kinder in ihrer individuellen persönlichen bildungsbiografischen und sozialen Entwicklung bestmöglich zu fördern und einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit zu leisten. Die AGJ wird den Diskussions- und Umsetzungsprozess zur Ganztagsbildung weiterhin aktiv begleiten.
Gliederung
1. Ausgangslage, Zielsetzung, Grundverständnis von Ganztagsbildung
- Ziele des Papieres
- Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung gestalten
- Grundverständnis und Qualitätsmerkmale von Ganztagsbildung
2. Multiprofessionelle Kooperation in der Ganztagsbildung: Potenziale, Formen und Qualifikationen
- Potenziale und Notwendigkeit (multiprofessioneller) Kooperation
- Merkmale und Formen multiprofessioneller Kooperation
- Professionen und Qualifikationen in Ganztagssettings
- Geeignete Qualifikationen
3. Herausforderungen bezogen auf Personal und Multiprofessionalität
- Multiprofessionelles Kollegium am Fachkräftegebot orientieren und vielfältig aufstellen
- Akteure auf Augenhöhe bringen
- Kooperation im Spannungsfeld zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sinnvoll gestalten
4. Handlungsnotwendigkeiten, kooperationsförderliche Rahmenbedingungen und qualitative Standards für die multiprofessionelle Kooperation in der Ganztagsbildung
- Bundesebene
- Bundes- und Länderebene
- Länderebene
- Kommunale Ebene
- Ebene der kooperierenden Organisationen und Institutionen
1. Ausgangslage, Zielsetzung, Grundverständnis von Ganztagsbildung
Die stufenweise Einführung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter ab dem Jahr 2026 wird dazu führen, dass immer mehr Kinder bzw. deren Erziehungsberechtigte Ganztagsangebote nutzen werden. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Gestaltung einer qualitätsvollen Ganztagsbildung noch einmal mehr an Bedeutung. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist gelingende multiprofessionelle Kooperation, die durch eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Akteuren gekennzeichnet ist. Dafür müssen bereits bestehende Strukturen ausgebaut bzw. mit neu entstehenden Strukturen verknüpft und gut ausgestattet werden.
Mit dem vorliegenden Papier beleuchtet die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ Ganztagsbildung im Grundschulalter und das in diesem Kontext tätige multiprofessionelle Personal. Die AGJ möchte dazu beitragen, dass kooperationsförderliche Rahmenbedingungen und Qualitätsfragen zur Implementierung guter Ganztagsbildung und gelingender Multiprofessionalität systematisch auf die fachpolitische Agenda gesetzt werden. Inhaltlich legt das Papier zwar einen Schwerpunkt auf die Kooperation zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Schule zur Gewährleistung des Rechtsanspruchs nach § 24 SGB VIII, zentrale Aspekte, wie beispielsweise die herausgestellte Verantwortungsgemeinschaft für ein gelingendes Aufwachsen und bestmögliche Förderung der Entwicklungsprozesse von Heranwachsenden, gelten in gleicher Weise auch für weitere gemeinsame Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe und Schule.
Die formulierten Prämissen sind demnach grundlegend für Kooperationsbeziehungen in einer vielfältigen und multiprofessionellen Ganztagsbildung. Ihnen muss Geltung verschafft werden, unabhängig davon, ob die informellen und non-formalen Angebote des Ganztags im unmittelbaren organisatorischen oder räumlichen Kontext von Schulen stattfinden oder eine andere Form der organisatorischen Umsetzung und Kooperation gewählt wird.[2]
Ziele des Papieres
Mit dem vorliegenden Positionspapier möchte die AGJ herausstellen:
- warum eine verlässliche, abgestimmte und tragfähige multiprofessionelle Kooperation in der Ganztagsbildung zwischen den Systemen und Professionen der Kinder- und Jugendhilfe, des Schulsystems und weiteren Akteuren die Voraussetzung für gute Ganztagsbildung ist;
- durch welches Personal und durch welche Personen Ganztagsbildung angeboten, gesteuert und unterstützt werden sollte;
- welches Grundverständnis von multiprofessioneller Kooperation in der Ganztagsbildung für die Kinder- und Jugendhilfe handlungsleitend sein sollte und
- welche Rahmenbedingungen und qualitativen Standards für den Einsatz von Personal und die Ausgestaltung multiprofessioneller Kooperation in der Ganztagsbildung notwendig sind.
Rechtsanspruch auf Ganztagsbildung gestalten
Besondere kinder- und bildungspolitische Bedeutung, u. a. für Bildungs- und Teilhabegerechtigkeit, kommt der Ganztagsbildung im Grundschulalter zu. Im Schuljahr 2018/19 nutzten bundesweit ca. 50 % der Kinder im Grundschulalter ganztägige Betreuungsangebote.[3] Gleichwohl der individuelle zeitliche Umfang und die Inanspruchnahmequoten im Ländervergleich stark variieren, ist davon auszugehen, dass mit Geltung des Gesetzes zur ganztägigen Förderung von Kindern im Grundschulalter (GaFöG) ab dem Schuljahr 2026/27 und dem damit verbundenen Rechtsanspruch auf Förderung und Betreuung im Sinne des Kinder- und Jugendhilferechts noch deutlich mehr Ganztagsangebote genutzt und damit gebraucht werden.
Wenn unter Wahrung des elterlichen Wunsch- und Wahlrechts zukünftig eine große Anzahl der Heranwachsenden zunehmend mehr Zeit in Bildungsinstitutionen in öffentlicher Verantwortung verbringt, muss Ganztagsbildung einen Mix aus qualitätsvollen formalen, non-formalen und informellen Bildungssettings bereitstellen. In diesem Verständnis verantwortet Ganztag als neu gedachter, erweiterter Lern- und Lebensraum Bildungsprozesse aller Art und für alle Kinder.[4] Der Blick auf die Förderung ihrer individuellen Persönlichkeitsentwicklung, ihres Rechts auf Mitbestimmung und auf Berücksichtigung ihrer subjektiven Interessen und Meinungsäußerungen sowie ihres Rechts auf Ruhe, Erholung und selbstbestimmte Freizeitgestaltung muss dabei ernsthaft, d. h. in einer kindgerechten und am Kind orientierten Weise, berücksichtigt werden.[5] Weil dafür die individuellen und familialen Voraussetzungen sehr unterschiedlich sind, kommt dem Ganztag die Aufgabe zu, Ungleichheiten zu verringern.
Grundverständnis und Qualitätsmerkmale von Ganztagsbildung
Ganztagsbildung im Zusammenspiel von Bildung, Betreuung und Erziehung hat die Aufgabe, Kinder in ihrer individuellen bildungsbiografischen und sozialen Entwicklung bestmöglich zu fördern. Sie geht inhaltlich und konzeptionell deutlich über die Beseitigung von formalen Lern-Defiziten (bspw. über die Sprachförderung) hinaus. Ganztagsbildung zielt vielmehr auf verschiedene Institutionalisierungsformen, in denen formale, non-formale und informelle Bildungsprozesse durch die organisatorische, inhaltliche und personelle Verschränkung zu einem integrierten Ganzen zusammengeführt werden.[6] Dabei bilden alle „[…] Strukturelemente der Kernzeit des Ganztags – Unterricht, Pausen, Mittagessen, Lernzeiten, außer-unterrichtliche Angebote und angebotsfreie Zeiten – […] einen pädagogischen Gesamtzusammenhang.“[7] Ganztagsbildung ist somit ein breit angelegter Begriff, der weit über schulische Bildung und den Ort Schule hinausreicht und im Idealfall an den individuellen Lern- und Lebenswelten der Kinder ansetzt.
Zu berücksichtigen sind einerseits die Ziele, wie sie sich aus gesetzlichen Regelungen wie dem SGB VIII und den Schulgesetzen, aus (Rahmen-)Lehrplänen der Bundesländer und aus fachlichen Standards der Jugendhilfeplanung sowie der Träger non-formaler Bildung ableiten und andererseits die Bedarfe und Bedürfnisse von Kindern, Eltern und Fachkräften.
Das Fehlen einer einheitlichen Begriffsklärung zum Ganztag und eines Konsenses über bundesweit einheitliche qualitative Standards für die Ganztagsgestaltung erschwert die dringend notwendige Qualitätsdiskussion. Dennoch sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass in einigen Bundesländern qualitative Standards definiert sind, die von schulischer und Trägerseite geteilt werden.
Aus Sicht der AGJ sind die kindgerechte und kindorientierte sowie die partizipative und inklusive Ausgestaltung von Ganztagsbildung zentrale Anforderungen:
Kindgerechte und kindorientierte Ganztagsbildung[8]
Kindgerecht steht für eine Sozialpädagogik des Kindesalters. Im Zentrum stehen hier die entwicklungsrelevanten Bedürfnisse von Kindern im Grundschulalter: Bewegung/Körpererfahrung; eigenständige Aktivitäten/Welterkundung; Begegnung mit anderen Kindern und Rückzug/Erholung sowie Wissen/Können erwerben und erfahren.[9] Eine entwicklungsfördernde Ganztagsbildung muss diese Bedürfnisse aufgreifen, sie thematisieren und entsprechende Strukturen, Maßnahmen und Prozesse entwickeln, um eine „Bedürfnisbefriedigung“ im Rahmen der kindlichen Entwicklungsphasen ermöglichen.
Kindorientiert fokussiert auf eine an sozialpädagogischen Grundsätzen orientierte Bildung durch Befähigung und Beteiligung. Im organisatorischen Kontext von Ganztag sind hierbei zwei Prozesskreisläufe von zentraler Bedeutung:
Mit Blick auf das Agieren der Kinder (individueller Handlungsansatz):
- Beobachten: Handeln von Kindern aktiv und offen wahrnehmen und als Grundlage für pädagogische Angebote heranziehen;
- Auswerten: Themen der Kinder erkennen und sich ein Bild machen;
- Dialog: Resonanz geben, Themen mit Kindern beraten und aushandeln;
- Öffentlichkeit herstellen: Aktivitäten und Projekte gemeinsam mit Adressat*innen erfahrbar gestalten.
Mit Blick auf das Agieren der kooperierenden Professionen:
- Selbstbeobachtung/Reflexion: das eigene Handeln und Denken in Relation zum kindlichen Handeln setzen und interpretieren;
- Auswertung: Themen der Kinder als Themen der Kooperation erkennen;
- Dialog: Resonanz im Netzwerk geben, beraten/aushandeln;
- Öffentlichkeit herstellen: Gestaltung in der Organisation (z. B. in Schule, Hort) sowie im Sozialraum (z. B. im Stadtteil, Quartier) erfahrbar machen.
Beide Perspektiven – kindgerecht und kindorientiert – bieten in der Ganztagsbildung Gründe und Anlässe für Kooperationen, um unterschiedliche Expert*innen einzubeziehen, welche sich bezüglich dieser Perspektiven gegenseitig bereichern und reflektieren können.
Partizipation
Nicht nur mit Blick auf die UN-Kinderrechtskonvention ist Partizipation ein zentrales Kernthema im Konzept einer Ganztagsbildung. Denn Bildung – als Prozess der Selbstbildung verstanden – setzt Mit- und Selbstbestimmung voraus. Junge Menschen haben ein Recht, an allen sie betreffenden Entscheidungen altersadäquat beteiligt zu werden. Im Kontext von Ganztagsbildung trifft dies auf die Planung und Gestaltung der Bildungs- und Freizeitangebote zu – sowohl auf die strukturierten Angebote als auch auf die notwendigen (Frei-)Räume für selbstbestimmte Gestaltung. Im Zuge von nicht-verpflichtenden Angeboten spielen zudem das Prinzip der Freiwilligkeit sowie die Lebenswelt- und Sozialraumorientierung eine entscheidende Rolle. Für entsprechende Formate der Beteiligung liegt bei den Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe und non-formalen/informellen Bildung breite Expertise vor, die in die Ganztagsgestaltung eingebracht werden muss.
Inklusion
Neben Partizipation ist Inklusion eine weitere zentrale Qualitätsdimension: Eine inklusive Ganztagsbildung verfolgt den Anspruch, allen Kindern in unterschiedlichsten Lebens- und Bildungssituationen, unabhängig von ihren persönlichen Voraussetzungen und ihrer Herkunft, eine möglichst optimale individuelle Förderung zukommen zu lassen.[10]Ganztagsbildung mit einer inklusiven Ausrichtung und einem breiten Verständnis von Bildungsförderung versteht sich in dieser Form als ein Modus der Förderung für „alle jungen Menschen an einem Ort gemeinsamer Teilhabe“.[11]
2. Multiprofessionelle Kooperation in der Ganztagsbildung[12]: Potenziale, Formen und Qualifikationen
Potenziale und Notwendigkeit (multiprofessioneller) Kooperation
Weil es im Rahmen der Ganztagsbildung notwendig ist, dass formale, non-formale und informelle Bildungssettings zusammenwirken und ineinandergreifen, ist die Kooperation zwischen Kinder- und Jugendhilfe und weiteren Partnern mit ihrer Kompetenz in non-formalen und informellen Bildungsprozessen einerseits und Schule als maßgebliche Institution für formale Bildungsprozesse andererseits unerlässlich. Kooperationen verbessern die Handlungsfähigkeit der mit Bildung betrauten Systeme und Akteure: Sie machen es möglich, dass Ganztagsbildung als umfassender pädagogischer Ansatz im Sinne eines erweiterten Bildungsverständnisses entwickelt und gestaltet werden kann, der die Identitätsbildung und Kompetenzentwicklung von Kindern unterstützt. Vorteile für Kinder liegen insbesondere in einem erweiterten Spektrum individueller Förderung, u. a. durch eine Erweiterung von Lern- und Erfahrungsfeldern[13] oder durch die Möglichkeit, Interessen und Hobbys auszubilden und diesen nachzugehen.
Die vielfältigen Akteure der Kinder- und Jugendhilfe beispielsweise als Träger von Tageseinrichtungen, von Kinder- und Jugendarbeit oder von Jugend- und Schulsozialarbeit sind zentrale Partner von kooperativer Ganztagsbildung. Weitere Kooperationspartner kommen insbesondere aus Sport, Kultur und anderen Bereichen der außerschulischen Bildung. Mit Blick auf die verabschiedete Reform des SGB VIIl, welche darauf abzielt, allen Kindern förderliche Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, sind zudem Akteure aus dem Gesundheitssystem und der Behindertenhilfe – mit kindbezogenen Angeboten und ihrer entsprechenden Fachlichkeit (z. B. Frühförderung, Therapie, Heilpädagogik, Heilerziehungspflege) – einzubeziehen.
Darüber hinaus benötigt die Arbeit mit Kindern, die einen besonderen Erziehungsbedarf oder erweiterten Förderbedarf haben oder bei denen dieser entsteht, besonderes Augenmerk. Ein gutes Ganztagsangebot muss auch diese Kinder im Blick haben und Personal einsetzen, das in der Lage ist, ihren Bedarf zu erkennen und ihre soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung und ihre Teilhabe insgesamt mit geeigneten Maßnahmen zu unterstützen. Dazu gehören das soziale Lernen in der Gruppe, die Begleitung der schulischen Förderung und die Elternarbeit. Daneben ist auch eine Zusammenarbeit des Ganztagspersonals mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe und Trägern der Behindertenhilfe sowie anderen Personen, Diensten oder Einrichtungen, die bei der Leistungserbringung für das Kind tätig werden, notwendig.
Nach Maßgabe der neuen, durch KJSG/SGB VIII und SGB IX definierten Möglichkeiten für Inklusion müssen auch im Ganztag pädagogische und damit verbundene therapeutische Leistungen (auch als Gruppenangebot nach § 27 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII) erbracht werden – so wie auch im schulischen Unterricht eine beispielsweise wegen des erzieherischen Bedarfs erforderliche Anleitung und Begleitung erbracht werden kann. Anzustreben sind infrastrukturelle Lösungen und ein Kontinuum der Hilfen über den Ganztag hinweg. Hierfür braucht es nicht nur stundenweise beschäftigte Integrationshelfer*innen und Schulbegleiter*innen. Vielmehr muss das gesamte Personal zum inklusiven Arbeiten befähigt werden, was über Fort- und Weiterbildungen sichergestellt werden kann.
Neben der Kooperation der unterschiedlichen Systeme und Trägerstrukturen ist die gleichrangige Kooperation von Spezialist*innen aus diesen Systemen eine entscheidende Grundlage für erfolgreiche Ganztagsbildung: Multiprofessionelle Kooperation muss daher systematisch in der Ganztagsbildung implementiert werden.
Merkmale und Formen multiprofessioneller Kooperation
Kooperationen sind dann besonders wirksam, wenn eine Aufgabe zu komplex ist, als dass sie von einem der Partner allein bewältigt werden kann – wie es in der Ganztagsbildung der Fall ist: Hier schließt Kooperation nicht nur die Systeme Schule, Kinder- und Jugendhilfe sowie ihre Partner mit ein, sondern insbesondere auch die Menschen, die auf der operativen Ebene als Lehr- und Fachkräfte sowie Expert*innen Ganztagsbildung umsetzen und mit Kindern arbeiten. Die AGJ geht davon aus, dass im Rahmen multiprofessioneller Kooperation die eingebundenen Akteure gemeinsam Verantwortung übernehmen, diese Verantwortung ihren Kompetenzen entsprechend teilen, ihre Expertise für Bildungsprozesse gegenseitig anerkennen und Synergien ermöglichen.
Multiprofessionelle Kooperationsbeziehungen sind i. d. R. dadurch gekennzeichnet, dass sie gezielt gestaltet und längerfristig angelegt sind und auf verbindlichen Regelungen zu Zuständigkeiten und vereinbarten Handlungsabläufen fußen. Damit die gemeinsamen Ziele erreicht werden können, setzen sie in allen Arbeitsphasen (Planung, Durchführung und Bewertung) einen kontinuierlichen fachlichen Austausch zwischen den beteiligten Akteuren voraus.[14]
Hervorzuheben ist, dass einerseits die Intensität und Rahmung der Kooperation einen Einfluss darauf hat, wie die beteiligten Berufsgruppen und Expert*innen Angebotsvielfalt und -qualität miteinander gestalten können. Entscheidend ist andererseits, inwieweit pädagogische und nicht-pädagogische Kooperationspartner und Professionen beteiligt sind. Besonders relevant ist zudem die Dauer der Präsenz im Ganztag. Folgende Kooperationsbeziehungen sind zu unterscheiden:[15]
- Die Partner informieren sich wechselseitig über ihre Aufgaben, die sie unabhängig voneinander gestalten (additives Modell).
- Die Partner stimmen sich zur Verteilung der Arbeitsaufgaben und -bereiche ab (arbeitsteiliges Modell). Diese intensivierten Absprachen können auch zu einer punktuellen Bündelung von Ressourcen und/oder zu gemeinsam durchgeführten Aktivitäten führen.
- Die Partner arbeiten im Sinne einer Ko-Konstruktion zusammen, indem sie an den Aufgaben gemeinsam arbeiten. Hier kommt es zu einer strukturell-konzeptionellen Verknüpfung, die durch ein hohes Maß an gemeinsam verantworteten und abgestimmten Aktivitäten charakterisiert ist.[16]
Diese Kooperationsbeziehungen können als Kontinuum betrachtet werden. Auf ihrer Grundlage kann multiprofessionelle Kooperation aus Sicht der AGJ in allen Modellen des Ganztags umgesetzt werden – also unabhängig von der Organisationsform, der Anzahl der beteiligten Partner, der jeweiligen Jahrgangsstufe sowie der zugrundeliegenden Konzeption. Insbesondere in (teil-)integrierten Organisationsmodellen, die eine nahezu dauerhafte Präsenz von beispielsweise Hortträgern an der Schule voraussetzen, sind Ko-Konstruktion und multiprofessionelle Teams möglich.
Im Zuge des derzeitigen Ausbaus des Ganztags werden aber auch Modelle ihre multiprofessionelle Qualität weiterentwickeln müssen, die weniger verschränkt miteinander sind und daher Informationsaustausch und Arbeitsteilung in den Mittelpunkt stellen. In fast allen Ganztagsmodellen gibt es zudem Partner, die sich durch eine eher angebotsbezogene Anwesenheit auszeichnen (z. B. Sportvereine, Musikschulen, Jugendarbeitszentren). Auch diese sollten in der multiprofessionellen Kooperation berücksichtigt werden.
In Anerkennung der Vielfalt an Modellen und der damit verbundenen geeigneten Kooperationsmöglichkeiten sieht die AGJ die möglichst enge Zusammenarbeit, d. h. die kooperative, gleichberechtigte, gemeinsam verantwortete Gestaltung der Ganztagsbildung unter Einbeziehung weiterer Partner*innen/Spezialist*innen, grundsätzlich als erstrebenswert an.
Professionen und Qualifikationen in Ganztagssettings
Für alle Angebote des Ganztags ist die pädagogische Qualität bzw. die Qualität des Bildungssettings entscheidend. Um ein vielfältiges und attraktives Angebot in der Ganztagsbildung zu gestalten und zugleich den vielfältigen Lebenswelten und Bedarfslagen der Kinder Rechnung zu tragen, bedarf es nach Ansicht der AGJ einer größeren Vielfalt im Personal, das über ein rein pädagogisch ausgebildetes Personal hinausgeht und Öffnungen mit Blick auf die eingesetzten Fachkräfte zulässt. Zu einem multiprofessionellen Kollegium in der Ganztagsbildung gehören daher:
- pädagogische Fachkräfte mit verschiedenen Spezialisierungen (Sozialpädagogik, Sonderpädagogik, Heilpädagogik etc.), die in unterschiedlichen Funktionen im Ganztag eingesetzt werden, also in der Betreuung, in der Schulsozialarbeit, in der Hausaufgabenbegleitung, in der Integrationshilfe, in der Schulbegleitung, für Formate der außerschulischen Bildung, beispielsweise in der Umweltbildung, Erlebnis-, Natur- oder Kulturpädagogik, in den Hilfen zur Erziehung in der Gruppe, bei Mobbinginterventionen oder der Medienbildung.
- Lehrkräfte, die neben dem Unterricht auch Angebote der Hausaufgabenbetreuung, Arbeitsgemeinschaften und sonstige außerunterrichtliche Formate unterbreiten. Sie sind nicht nur für formale Bildungsprozesse zuständig, sondern sollten ebenso verantwortlich die ganzheitliche Bildung und Entwicklung der Kinder ermöglichen (siehe dazu die Bildungspläne der Länder);
- Ehren- und Nebenamtliche, die eine entsprechende bereichspezifische Qualifikation aufweisen (z. B. JuLeiCa-Inhaber*innen, Übungsleiter*innen im Sport) und insbesondere Angebote von außerschulischen Partner betreuen können[17] oder die aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen das Ganztagsangebot bereichern können;
- Fachkräfte aus anderen Bereichen, z. B. mit technischen, handwerklichen, wissenschaftlichen und/oder künstlerischen Berufen oder zum Beispiel mit einer hauswirtschaftlichen Ausbildung, durch die Kinder ein breiteres Spektrum an Spiel- und Lernangeboten und Zugang zu Bildungsbereichen, wie etwa das Werken mit Holz oder den Umgang mit Technik, erhalten;
- Verwaltungs- und hauswirtschaftliches Personal (z. B. das Schulsekretariat, die Hausmeisterei oder die Mitarbeiter*innen in der Schulmensa) und IT-Spezialist*innen;
- Leitungskräfte, wobei je nach zugrundeliegendem Organisationsmodell verschiedene Leitungskräfte, eventuell auch verschiedener Träger, involviert sind, sich absprechen und vorausschauend und konzeptionell die Zusammenarbeit planen müssen.
Ganztagsbildung ist damit ein Setting, in dem Kinder ganz unterschiedlichen Erwachsenen begegnen. Auch die Zusammenarbeit mit den Eltern muss berücksichtigt werden, die mancherorts über Elterninitiativen beispielsweise die (Über-)Mittagsbetreuung organisieren.
Eine weitere Herausforderung in der Organisation von Ganztagsbildung und der multiprofessionellen Kooperation ist es, in diesem komplexen Gefüge bzw. im Kontext von Angebotsvielfalt dem Bedürfnis von Kindern nach verlässlichen Vertrauenspersonen bzw. Bezugserzieher*innen Rechnung zu tragen. Diese sollten das Wohlbefinden und die Entwicklung des Kindes im Blick behalten und zugleich in Zusammenarbeit mit weiteren Spezialist*innen gezielt die individuelle Bildungsbiografie des Kindes bereichern.
Geeignete Qualifikationen
Im schulischen Bereich gibt es Standards für die Ausbildung und Qualifikation von Lehrer*innen, für die Nachqualifizierung und den Einsatz von Quereinsteiger*innen sowie für die Integration von weiterem pädagogischem Personal. Diese Standards bilden eine entscheidende Grundlage für die Umsetzung des unterrichtlichen Anteils von Ganztagsbildung. Um den Rechtsanspruch qualitätsvoll zu gewährleisten, ist im nicht-unterrichtlichen Bereich und für die damit verbundenen Aufgaben der kontinuierlichen Förderung und Betreuung nach Ansicht der AGJ zunächst die Orientierung am Fachkräftegebot gemäß § 72 SGB VIII maßgeblich. Als Fachkräfte, welche die verlässliche Förderung sichern, gelten demnach Personen, die eine für die jeweilige Aufgabe entsprechende Ausbildung erhalten haben – hier insbesondere für Bildung, Betreuung und Erziehung. Gleichwohl sind hier auch Personen, die aufgrund besonderer Erfahrungen in der sozialen Arbeit in der Lage sind, die Aufgabe zu erfüllen, als Fachkräfte anzusehen. Insofern muss der juristisch unbestimmte Fachkraftbegriff mit tätigkeits- oder bereichsspezifischen Kompetenzprofilbeschreibungen konkretisiert werden.
Die landesrechtlichen Regelungen, in denen die für den Einsatz in der Kinder- und Jugendhilfe und die entsprechenden Aufgaben geeigneten pädagogischen Fachkräfte näher bestimmt werden, sind sehr unterschiedlich ausformuliert. Die AGJ befürwortet zur Gewährleistung des Rechtsanspruchs nach § 24 SGB VIII explizit den Einsatz von Absolvent*innen der Berufsabschlüsse Erzieher*innen, Sozialpädagog*innen, Sozialarbeiter*innen, Kindheitspädagog*innen, Heilpädagog*innen und Heilerziehungspfleger*innen. Darüber hinaus befürwortet die AGJ eine Öffnung
- insbesondere unter der Perspektive Inklusion für Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*innen, Pflegefachkräfte mit Schwerpunkt Pädiatrie, Sonderpädagog*innen, Psycholog*innen, für Lern- und Physiotherapeut*innen sowie
- unter der Perspektive umfassender Bildung und Partizipation für weitere Ausbildungen mit pädagogischen Schwerpunkten (z. B. Sportpädagog*innen, Kulturpädagog*innen, politische Bildner*innen).
Der Einsatz bzw. die Genehmigung von Personen ohne eine einschlägige (sozial-?)pädagogische Ausbildung als geeignete pädagogische Fachkräfte gemäß den landesrechtlichen Regelungen in Form der Ausführungsgesetze zum SGB VIII nebst entsprechenden (Personal-)Verordnungen oder Verwaltungsvorschriften ist in den meisten Bundesländern nur als begründungspflichtige Ausnahme möglich. Entsprechend werden aktuell auch Personen als geeignete (sozial-)pädagogische Fachkraft zugelassen, die nach Vorbildung, Praxiserfahrung und Fortbildung über gleichwertige und gleichartige Qualifikationen verfügen. Aufgrund des bildungspolitischen Anspruchs, Bildungs- und Berufswege durchlässig zu gestalten, ist es aus Sicht der AGJ sinnvoll, dass aus verwandten Berufsgruppen Qualifikationen angerechnet und über Nachqualifizierungen oder berufsbegleitende Ausbildungen abgerundet werden. Dabei müssen nicht einschlägig Qualifizierte als Ergänzung und nicht als Ersatz für pädagogische Fachkräfte verstanden werden.
Die weiteren Träger der Kinder- und Jugendhilfe und Anbieter*innen von non-formaler Bildung müssen ebenfalls Teil multiprofessioneller Kooperation sein (können).[18] Dabei sorgen diese Träger dafür, dass ihre angestellten, freischaffenden oder ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen für die wahrgenommenen Aufgaben qualifiziert bzw. geeignet sind und vereinbaren die Bedingungen für den Einsatz im Ganztag mit Schulen bzw. Trägern des Ganztags.
3. Herausforderungen bezogen auf Personal und Multiprofessionalität
Trotz der eingangs konstatierten Ausweitung des Geltungsbereiches auf alle Träger und Strukturen, die Kinder über den Tag begleiten, werden in der nachfolgenden Betrachtung v. a. informelle und non-formale (außerunterrichtliche) Angebote im unmittelbaren organisatorischen bzw. räumlichen Kontext von (Ganztags-)Schulen in den Blick genommen. Hier lassen sich die Anforderungen an multiprofessionelle Kooperationen sowie die damit verbundenen Herausforderungen besonders gut verdeutlichen.
Multiprofessionelles Kollegium am Fachkräftegebot orientieren und vielfältig aufstellen
Die AGJ spricht sich grundsätzlich für die Beachtung struktureller Qualitätsstandards in der Ganztagsbildung aus. Dazu zählen ein angemessener Personalschlüssel sowie die Orientierung am bereits angeführten Fachkräftegebot gemäß § 72 SGB VIII. Dennoch ist die Umsetzung des Fachkräftegebotes in der Praxis mit Herausforderungen verbunden. Das Fachkräftegebot ist in diesem Papier aus der Sicht der Kinder- und Jugendhilfe definiert. Da in der Ganztagsbildung jedoch in multiprofessionellen Kooperationen auch Kooperationspartner aus anderen Bereichen aktiv sind, verwischen hier Grenzen: Macht z. B. ein Träger der kulturellen Jugendbildung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe ein musikpädagogisches Angebot, gilt das Fachkräftegebot; „kauft“ der Ganztagsbildungsträger eine*n Musiker*in für ein ähnliches Angebot ein, gilt es nicht. Gewisse Standards, beispielsweise Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses i. S. d. Kinderschutzes, Nachweis eines gewissen Sprachniveaus (z. B. GER B2 für deutschsprachige Angebote, in einer anderen Sprache für bilinguale/internationale Angebote, Gebärdensprache) oder Nachweis von Erfahrungen mit der Zielgruppe, wären demnach sinnvoll; sie sollten für alle in der Ganztagsbildung involvierten Partner gelten.
Richtschnur für den Einsatz im Ganztag muss sein, dass Fach- und Lehrkräfte aufgrund ihrer spezifischen Erfahrungen und Kenntnisse sicherstellen können, dass die Arbeitsprinzipien einer Sozial-/Schulpädagogik des Kindesalters sowie von Inklusion, Partizipation und Befähigung berücksichtigt werden. Letztendlich muss das Personal, gleich welche formale Qualifikation es mitbringt, die fachlichen Kompetenzen haben, den im GaFöG formulierten Rechtsanspruch auf Förderung im Sinne des SGB VIII umzusetzen. Denn gemäß den in § 22 (2) SGB VIII formulierten Grundsätzen ist das Ziel, „die Entwicklung des Kindes zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfa?higen Persönlichkeit zu fördern sowie die Erziehung und Bildung in der Familie zu unterstützen und zu ergänzen“. Das heißt: Personal ohne einschlägige pädagogische Qualifikation, Quereinsteiger*innen oder bereits im Feld tätiges Personal ohne entsprechende Qualifikation, aber mit praktischer Berufsfelderfahrung, muss/müssen durch Anpassungsqualifizierungen in die Lage versetzt werden, den gesetzlichen Auftrag des GaFöGs zu erfüllen. Wie genau diese Anpassungsqualifizierungen aussehen und welchen Umfang sie haben sollen, ist lokal zu entscheiden. Die Akteure vor Ort sind nicht nur an den gesetzlichen Auftrag und Standards, beispielsweise der Länder, gebunden, sondern müssen festlegen, welche lokalen Angebote, pädagogischen Settings und Strukturen für eine an den kindlichen Bedürfnissen orientierte Förderung notwendig sind und welches Personal für die Realisierung dieser pädagogischen Konzeption gebraucht wird.
Akteure auf Augenhöhe bringen
Um die unterschiedlichen Akteure in multiprofessionelle Kooperationen einbinden zu können, müssen die hauptberuflichen Mitarbeiter*innen aller Professionen damit vertraut sein, einerseits untereinander, andererseits auch mit Honorarkräften und ehrenamtlich Engagierten „auf Augenhöhe“ zusammenzuarbeiten. Die Gleichrangigkeit von Lehr- und Fachkräften muss im Ganztag aktiv hergestellt werden. Die Rahmenbedingungen hierfür sind, gerade im schulischen Ganztag, eher ungünstig:[19]
Lehrkräfte erhalten in der Regel einen höheren Lohn als andere pädagogische Fachkräfte wie Erzieher*innen und Sozialpädagog*innen.[20] Ihre berufliche Laufbahn folgt zudem anderen Regeln, insbesondere wenn sie verbeamtet sind: Die Rechtsstellung ist dann durch die Beamtengesetze der Länder geregelt. Als Beamte sind die Lehrkräfte an Grundschulen – in der Regel – in die Laufbahngruppen des gehobenen Dienstes eingestuft. Nach dem Studium und dem Vorbereitungsdienst werden sie in ein Amt der Besoldungsgruppe A 12 eingewiesen.[21] Im Kontrast dazu werden Fachkräfte anderer Professionen, beispielsweise im offenen Ganztag, aufgrund von Ausschreibungspflichten nur befristet und zudem in Teilzeit eingestellt. Dies macht das Arbeitsfeld sehr unattraktiv; eine unbefristete Anstellung des Ganztagspersonals ist unbedingt anzustreben.
Zudem liegen bei multiprofessionellen Kooperationen zwischen den unterschiedlichen Systemen oft unterschiedliche Arbeitszeitmodelle vor, was Auswirkungen auf den Umgang mit Arbeits- und Ferienzeiten hat: Beispielsweise liegen die Arbeitszeiten der pädagogischen Fachkräfte oftmals ungünstig, mitunter ist ein Einsatz morgens vor dem Unterricht und dann erst wieder nachmittags sowie in den Ferien vorgesehen.
Dort, wo ein Einsatz der pädagogischen Fachkräfte am (schulischen) Vormittag aus einer elterlichen und einer fachlichen Perspektive gewünscht und fachlich sinnvoll ist, kann er durch die pädagogische Konzeption selbst, aber auch durch arbeitsrechtliche Regelungen erschwert werden.
Kooperation im Spannungsfeld zum Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sinnvoll gestalten
Die gemeinschaftliche Gestaltung der ganztägigen Bildung durch Mitarbeiter*innen verschiedener Träger kollidiert in der Praxis immer wieder mit den Maßgaben des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). So kann die Übernahme von Pausenaufsichten durch Mitarbeiter*innen freier Träger schnell als Arbeitnehmerüberlassung interpretiert werden, auch wenn die gemeinsame Gestaltung der Pausenzeit durch die Kooperationspartner sinnvoll sein kann. Ein willkürlicher Zugriff der Schulleitung auf die Beschäftigten der Kinder- und Jugendhilfe zur Schließung von Aufsichtslücken kann und wird zu Spannungen zwischen den Kooperationspartner führen. Sinnvoll ist vielmehr, in einer engen konzeptionellen Abstimmung zwischen den Partnern zu vereinbaren, in welchem Umfang Lehrkräfte bei den Angeboten des freien Trägers mitwirken können (und gemäß AÜG dürfen) und umgekehrt. Auch die Teilnahme der Mitarbeiter*innen der freien Träger an Konferenzen und Dienstbesprechungen der Schule kann aus AÜG-Sicht kritisch sein. Hier können Konferenzen, die von den Partnern gemeinsam verantwortet und eingeladen werden, eine praktikable Lösung darstellen. Dafür gilt es ggf., im Schulrecht des jeweiligen Landes die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Bei der Gestaltung von Kooperationsverträgen und deren Umsetzung unter Ausschluss des AÜG ist darauf zu achten, dass ein pädagogisches Konzept abgestimmt wird, in das der*die Kooperationspartner*in seinen*ihren eigenen „Betriebszweck“ einbringt. Der*die Kooperationspartner*in behält dann als Arbeitgeber*in weiterhin das alleinige Arbeitgeberdirektionsrecht, das fachliche Weisungsrecht der Schulleitung umfasst dementsprechend keine disziplinarische Weisungsgewalt. Dennoch wird das Personal des*r Kooperationspartners*in während der Erbringung seiner*ihrer Angebote und Aufgaben sinnvollerweise in die organisatorischen Abläufe ganztägiger Bildung eingegliedert.
Es ist Aufgabe der Verantwortungsträger, beim Abschließen der Kooperationsverträge die Voraussetzungen und positiven Rahmenbedingungen für multiprofessionelle Zusammenarbeit zu antizipieren und vertraglich abzusichern. Dies insbesondere auch mit der Perspektive, prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu vermeiden und zukünftig die vorhandenen prekären Arbeitsverhältnisse im Feld (nicht sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, unfreiwillige Teilzeit, Honorarverträge mit Entgelten auf Mindestlohn-Niveau etc.) in reguläre und faire Beschäftigungsverhältnisse zu überführen.
4. Handlungsnotwendigkeiten, kooperationsförderliche Rahmenbedingungen und qualitative Standards für die multiprofessionelle Kooperation in der Ganztagsbildung
Zur Umsetzung von Ganztagsbildung muss zwingend eine qualitätsgeleitete Debatte über Rahmenbedingungen geführt werden, damit professions- und berufsbildübergreifendes Arbeiten dabei unterstützen kann, Qualitätsanforderungen in der Ausgestaltung von Ganztagsbildung zu definieren und zu erfüllen. Einerseits muss sich von Anfang an im gemeinsamen Einvernehmen der beteiligten Systeme und der darin tätigen Professionen über verbindliche Regelungen und Qualitätsaspekte zur Implementierung multiprofessioneller Kooperation in der Ganztagsbildung verständigt werden. Andererseits dürfen die Organisations- und Professionslogiken der ausführenden Institutionen und Bildungsanbieter*innen nicht ausschließlich im Zentrum der Betrachtung stehen. Ganztagsbildung ist einerseits im sozialen Nahraum der Heranwachsenden und deren Familien verortet und ihren Bedürfnissen und Interessen verpflichtet. Sie wird dabei durch lokale Akteure gesteuert, ausgestaltet und verantwortet. Zum anderen aber ist sie eingebettet in komplexe Rahmungen, die sich von der lokalen Ebene bis hin zur Bundesebene erstrecken. Insofern sind die nachfolgend aufgeführten Handlungsnotwendigkeiten, die sich aus den zuvor skizzierten, fachlichen Ansprüchen ergeben, zu einer besseren Übersicht entsprechend den verschiedenen Handlungsebenen zugeordnet:
Bundesebene
- Stärkung von Multiprofessionalität und Kooperation über den Qualitätsrahmen zum Ganztag: In dem im Koalitionsvertrag angekündigten Qualitätsrahmen zum Ganztag sind Anforderungen an die Qualifizierung von Personal, Multiprofessionalität und kooperationsförderliche Rahmenbedingungen unbedingt zu berücksichtigen.
- Aushandlung einer rechtlichen Grundlage zur Vermeidung von Dienstleistungsverhältnissen bei Ausschreibungen: Es bedarf einer rechtlichen Regelung, wie eventuell geforderte Ausschreibungspflichten/-verfahren des örtlichen Kinder- und Jugendhilfeträgers bei der Vergabe von Verträgen mit den anerkannten, freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe – beispielsweise bei der Trägerschaft des außerunterrichtlichen Bereichs in Ganztagsschulen – gestaltet werden können. Denn ein asymmetrisches „Dienstleistungsverhältnis“ ist keine hinreichende Grundlage für ein kooperatives und gleichwertiges Miteinander der Systeme. Vielmehr führt es tendenziell zu Abhängigkeiten auf Seiten der freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe und anderer non-formaler Bildungsanbieter*innen. Daher müssen alle Vertragsparteien mit ihren eigenen Möglichkeiten und eigenen Verantwortlichkeiten „auf Augenhöhe“ agieren und entsprechende Regelungen aushandeln können.
Bundes- und Länderebene
- Abstimmung einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung des Fachkräftemangels: Es bedarf einer konzertierten, mit allen Bundesländern abgestimmten Initiative zum wirksamen Abbau des Fachkräftemangels. Denn der bereits bestehende Mangel – in den meisten Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe sowie des Bildungssystems – wird sich durch die Gewährung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter weiter verschärfen.
- Weiterentwicklung der Qualifizierung/Nachqualifizierung von Lehr- und Fachkräften im Ganztag und Sicherstellung notwendiger Ressourcen: Die AGJ fordert Bund und Länder auf, die (Aus-)Bildungspläne mit Blick auf multiprofessionelle Kooperation in der Ganztagsbildung gemeinsam in Richtung einer modernen, generalistisch ausgerichteten Qualifizierung weiterzuentwickeln und weitere Maßnahmen zu ergreifen, um multiprofessionelle Kooperationen zu stützen, z. B. (Nach-?) Qualifizierungsmaßnahmen und Bereitstellung von ausreichend Ressourcen. Auch ehren- und nebenamtlich Aktive sollten die Grundzüge multiprofessioneller Kooperation in angemessenen Qualifizierungsformaten vermittelt bekommen.
- Verständigung auf ein Kernprofil für pädagogische Fachkräfte im Ganztag: Analog zu den staatlich anerkannten Ausbildungsabschlüssen bspw. im Elementarbereich ist es wünschenswert, dass sich die 16 Bundesländer auf ein Kernprofil oder Basis-Kompetenzprofile von pädagogischen Fachkräften verständigen. So verbleibt die Regelungshoheit bezüglich der Vereinbarungen zu den Grundsätzen über die Qualifikation in den Ausführungsgesetzen der Länder, bekommt aber eine verbindliche bundesweite Rahmung im Hinblick auf eine hinreichende Qualifikation des eingesetzten Personals.
- Anerkennung des Fachkräftegebotes als handlungsleitend für Ganztagsbildung: Für die Ganztagsbildung sollte auf der Landesebene das Fachkräftegebot im Sinne des SGB VIII handlungsleitend sein, um eine qualitativ hochwertige Ganztagsbildung zu sichern. In den Qualitätsrahmen, landesrechtlichen Regelungen und Ganztagskonzeptionen müssen daher Funktionsbereiche und Aufgaben abgegrenzt werden, die nicht durch anders qualifizierte Fachkräfte, Ehrenamtliche und Honorarkräfte besetzt werden sollten. Dies bedarf einer weiteren Ausdifferenzierung, welche Qualifikationen im Ganztag zugelassen werden sollen.
- Schaffung kooperationsförderlicher Rahmenbedingungen: Bund und Länder sind maßgeblich dafür verantwortlich, für die außerschulischen Trägerstrukturen kooperationsförderliche Rahmenbedingungen zu schaffen sowie für Auftragsklarheit, Verbindlichkeiten und die Eröffnung von Spielräumen zu sorgen. Über den im Koalitionsvertrag benannten Qualitätsrahmen zum Thema Ganztag sowie über die Schulgesetze und das Kinder- und Jugendhilferecht müssen Kooperation und Multiprofessionalität ermöglicht und gestärkt werden.
- Bereitstellung von adäquaten Ressourcen: Bund und Länder sind für die Bereitstellung personaler, zeitlicher, sachlicher und finanzieller Ressourcen für Kooperation und Organisation sowie für die Etablierung fester Kooperationsstrukturen als Voraussetzung für das gelingende Arbeiten in multiprofessionellen Kooperationen zuständig.
- Gewährleistung eines verlässlichen und auskömmlichen Finanzierungsrahmens: Ein verlässlicher und auskömmlicher Finanzierungsrahmen für Personal- und Sachaufwand und die Abstimmung dazu zwischen den zuständigen Institutionen ist zwingend erforderlich. Dazu zählt auch die Berücksichtigung von Tarifen, aber auch die angemessene Finanzierung von Kooperationen. Dies muss sich beispielsweise im fairen Gehalt und attraktiven, gesicherten Anstellungsverhältnissen widerspiegeln. Diese Klärung und Festschreibung ist i. d. R. auch Voraussetzung für die Bereitschaft außerschulischer Träger und Kooperationspartner zur Bereitstellung von Angeboten und zur aktiven Mitgestaltung.[22]
Länderebene
- Schaffung rechtlicher Voraussetzungen zur Vermeidung von Kollisionen mit dem AÜG: Die AGJ regt an, im Schulrecht des jeweiligen Landes die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass die Teilnahme der Mitarbeiter*innen freier Träger an Konferenzen und Dienstbesprechungen der Schule ermöglicht werden kann, beispielsweise indem diese von den Partnern gemeinsam verantwortet und dazu eingeladen werden kann.
- Ermöglichung von Partizipation aller Kooperationspartner: In den Schulgesetzen der Länder sollten – sofern noch nicht vorhanden – Möglichkeiten für die Partizipation aller Kooperationspartner an der Ausgestaltung der Schule als Ort ganztägiger Bildung geschaffen werden, beispielsweise durch Einbeziehung der Träger in Schulkonzeptionen und Schulkonferenzen.
- Verständigung auf Regelungen für die Zulassung als Fachkraft im Ganztag: Es muss in den Ländern geregelt werden, wer als Fachkraft für die Gewährleistung des Rechtsanspruchs zugelassen ist, beispielsweise über die Landesschulgesetze, Gesetze zur Kindertagesbetreuung bzw. über Ausführungsgesetze zum SGB VIII und entsprechenden Verordnungen.
- Verständigung auf Standards bei Nichtgeltung des Fachkräftegebotes: In Bereichen des Ganztags, in denen das Fachkräftegebot nicht zur Geltung kommt, sollte sich zwischen den Ländern auf gewisse Standards (beispielsweise Vorlage eines erweiterten Führungszeugnisses, Nachweis eines gewissen Sprachniveaus, Nachweis von Erfahrungen mit der Zielgruppe) verständigt werden, die für alle in der Ganztagsbildung involvierten Partner gelten sollten.
- Beförderung der Abstimmung zwischen den einzelnen Rechtskreisen: Es ist erforderlich, dass zwischen den unterschiedlichen Ressorts auf Länderebene Kooperation vereinbart, aber auch eine Klärung der Zuständigkeiten herbeigeführt wird. Eine wichtige Grundlage für die Implementierung multiprofessioneller Kooperation ist, dass eine entsprechende Zusammenarbeit und Abstimmung auch auf der Verwaltungsebene gewollt ist, geregelt und in der Praxis gelebt wird.
- Aushandlung von Rahmenvereinbarungen: Rahmenvereinbarungen zwischen Ländern und Trägerverbänden sollten die konkreten Ziele und Rahmenbedingungen für Kooperationen, inklusive Zuständigkeiten und Finanzierungsregelungen, festlegen. Auf ihrer Grundlage können Muster für Kooperationsvereinbarungen entwickelt werden, die den Trägern vor Ort Gewissheit über grundsätzliche Regelungen geben.
- Gewährleistung einer adäquaten Personalausstattung: Die Personalbemessung sollte so ausgerichtet sein, dass in der kontinuierlichen Betreuung eine „Fachkraft-Kind-Relation“ gegeben ist, die dem Tätigkeitsfeld und vor allem dem Entwicklungsstand und Förderbedarf der Kinder angemessen ist. Gleichzeitig muss die Personalplanung vorausschauend vorgenommen und die Arbeitsbelastung des Personals berücksichtigt werden, d. h. Zeitanteile und Personalreserven eingeplant, die Ausfallzeiten (Urlaub, Fortbildung, Krankheit) sowie anteilige Arbeitszeiten für Planung/Konzeption, Dokumentation, Koordination und Kooperation sowie Praxisanleitung berücksichtigen werden. Konkrete Empfehlungen für eine adäquate Fachkraft-Kind-Relation müssen analog des Prozesses in der Kindertagesbetreuung geführt werden und auf einer fachlich fundierten Grundlage basieren.
Kommunale Ebene
- Verantwortungsübernahme der Kommunen für die Ausgestaltung des Ganztags als wichtiger Bildungs- und Steuerungsauftrag: Die kommunale Ebene ist als wichtige Steuerungs- und Gestaltungsinstanz für den Prozess der konzeptionellen Konkretisierung und Ausgestaltung des Ganztags vor Ort zuständig. Dazu muss sie die vorhandenen Träger und Angebote in der Bildungslandschaft konzeptionell und strukturell miteinander verzahnen. Die Kommunen müssen Verantwortung bei der Entwicklung von Zielen und zugrundeliegenden Modellen sowie für kooperative Strukturen übernehmen, ggf. im Zusammenspiel mit Schul- und Jugendhilfeplanung.
- Beförderung der Abstimmung zwischen den einzelnen Rechtskreisen: Auch auf kommunalpolitischer Ebene muss zwischen den Akteuren der unterschiedlichen Ressorts eine Klärung von Zuständigkeiten für die Ausgestaltung des Ganztags herbeigeführt werden. Jugendämter, Schul- und Schulverwaltungsämter müssen auf lokaler Ebene zielorientiert und partnerschaftlich sowohl untereinander als auch mit den operativen Ebenen kooperieren.[23]
- Etablierung einer datengestützten kommunalen/ämterübergreifenden Bildungsplanung unter Berücksichtigung des Ganztags: Die partnerschaftliche, ämterübergreifende Kooperation kann durch die Etablierung einer datengestützten, kommunalen Bildungsplanung befördert werden, die explizit den Ganztag berücksichtigt. Über den ämterübergreifenden, engen Austausch von Erkenntnissen über die Struktur der Sozialräume können schulische und außerschulische Bildungsangebote im Ganztag passgenau gestaltet werden.
- Schaffung eines geeigneten Steuerungsinstrumentes vor Ort: Notwendig ist die Beförderung des strukturierten Dialogs der Systeme Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe sowie Schule und weiterer Partner. Dafür ist ein geeignetes Steuerungsinstrument vor Ort – beispielsweise eine „Ganztagsbildungskonferenz“[24] – notwendig, in der alle Akteure, die in einer Stadt, einem Stadtteil oder einer Region Ganztagsbildung gestalten, in einen regelmäßigen Austausch treten, Vereinbarungen treffen und gemeinsam reflektieren.
Ebene der kooperierenden Organisationen und Institutionen
- Aushandlung klarer Kooperationsvereinbarungen: Kooperationsvereinbarungen zwischen den Partnern mit klaren Zielen und Regeln hinsichtlich der inhaltlichen und organisatorischen Ausgestaltung bis hin zur Finanzierung auf bilateraler Ebene sind notwendig, um Handlungssicherheit und Verlässlichkeit zu gewährleisten. Auch das Verhältnis der Akteure zueinander braucht Abstimmung.
- Gemeinsame Erarbeitung und Implementierung einer Ganztagskonzeption: Maßgeblich für die Ausgestaltung multiprofessioneller Kooperation in der Ganztagsbildung ist eine zugrundeliegende Ganztagskonzeption. Unabhängig ihrer Institutionalisierungsform beinhaltet eine solche Ganztagskonzeption vielfältigste Angebote, in denen informelle, non-formale und formale Bildung durch die organisatorische, inhaltliche und personelle Verschränkung, durch die Ko-Produktion sich ergänzender Professionen zu einem integrierten Ganzen gestaltet werden.[25] Es ist notwendig, dass die Ganztagskonzeption gemeinsam von den Lehr- und Fachkräften unter Einbeziehung von Jugendhilfe- und Schulträgern, Schulaufsicht, weiteren Trägern non-formaler Bildung und Freizeit, Eltern sowie Kindern erarbeitet und abgestimmt wird.
- Sensibilisierung für bzw. Verständigung auf fachliche Prinzipien in der Ganztagsbildung: kindgerecht, kindorientiert, partizipativ und inklusiv: Aus Sicht der AGJ sind die kindgerechte und kindorientierte sowie die partizipative und inklusive Ausgestaltung von Ganztagsbildung zentrale Anforderungen. Es ist erforderlich, dass ein gemeinsam getragenes Verständnis zu diesen Anforderungen vereinbart und diese als grundlegende fachliche Prinzipien begriffen werden. So müssen beispielsweise Kinder und deren Erziehungsberechtigte an allen sie betreffenden Fragen umfassend beteiligt und zur Mitbestimmung befähigt werden.
- Etablierung einer koordinierenden Instanz: Auf Organisationsebene muss die Leitung des Ganztagsmodells als eine alle Mitarbeiter*innen koordinierende Instanz verankert werden. Diese Instanz kann, je nach Bundesland und zugrundeliegendem Ganztagsmodell, beispielsweise die Schul- oder die Hortleitung sein. Oder sie kann in einem Gremium bestehen, in dem die kooperierenden Träger auf Augenhöhe agieren. Im Sinne einer gleichberechtigten multiprofessionellen Kooperation ist das Tandem-Modell zu bevorzugen. Dafür sollte bspw. eine Funktionsstelle bzw. eine gewisse Ausstattung von Funktionszeit vorgesehen sein und fest verankert werden.
- Beförderung der Kooperation durch Kommunikation: Es braucht Settings und Prozesse/Abläufe, die die gegenseitige Information, vertrauensvolle Kommunikation und Reflexion unter den Partnern und ihrem Personal fördern. Hierzu gehören gemeinsame Konzeptions- und Planungsphasen, Projekte, Fortbildungen und Gremien sowie Fallbesprechungen[26]. Umfang und Lage der Arbeitszeiten sind so zu gestalten, dass Kommunikation und Austausch zwischen Lehr- und Fachkräften im Ganztag je nach Form der Kooperation hinreichend sind. Dazu gehören Zeiten für Absprachen ohne Kind (Überschneidungen); Zeiten für Koordination und Leitung sowie Tage für konzeptionelle Arbeit, welche nicht die vier Wochen Schließzeit erhöhen.
- Voranbringen multiprofessioneller Teamentwicklung: Mit multiprofessioneller Kooperationsbildung muss ein professioneller Teamentwicklungsprozess einhergehen. Hierbei ist es notwendig, durch geeignete Maßnahmen die unterschiedlichen Qualifikationen und Kompetenzen, die speziellen Wissens- und Erfahrungsbestände der Lehr- und Fachkräfte im Sinne einer besten Fachpraxis zusammen zu führen und die Mitverantwortung für das gemeinsame Ziel zu stärken.
- Etablierung der Leitungsverantwortung und -strukturen: Die Leitung im Ganztagsmodell muss sich mit den Chancen und Grenzen sowie der Umsetzung und Begleitung von multiprofessioneller Kooperation auseinandersetzen. Aufgabe der Leitung ist es zudem, Aufgabenbereiche und Verantwortlichkeiten klar zu definieren. Personalentwicklungsprozesse und konzeptionelle Veränderungen werden so transparent.
- Ermöglichung gemeinsamer Qualifizierung für Ganztagsbildung: Gemeinsame Fortbildungen und Arbeitsfeldqualifizierungen sollten die fachlichen Besonderheiten des Arbeitsfeldes Ganztagsbildung in angemessener Form aufgreifen. Dadurch können die vorhandenen unterschiedlichen Systemlogiken in fachlicher, organisatorischer und berufsständischer Hinsicht aufgefangen, Barrieren abgebaut und Unterschiede als Ressource nutzbar gemacht werden.
- Gemeinsame Entwicklung und Sicherung von Qualität: Die erreichten Ergebnisse und Wirkungen sowie die zugehörigen Strukturen und Prozesse der Kooperation müssen regelmäßig reflektiert werden (Evaluation), um sie weiterzuentwickeln. Ausgangspunkt sind dabei die gemeinsam erarbeiteten Ziele und die ebenfalls gemeinsam erarbeiteten fachlichen Standards (Qualität), die es jeweils zu erreichen bzw. einzuhalten gilt. Eine Kultur, die Auseinandersetzungen als normal und notwendig erachtet, ist dabei unerlässlich. Die Reflexionsarbeit mit Aktiven im Ehrenamt bzw. Nebenamtlichen/Freischaffenden ist ebenfalls erforderlich, sollte in Form und Zeit aber angemessen sein.
Qualitätsvolle Ganztagsbildung benötigt die Zusammenarbeit der eingebundenen Systeme. Die Qualität etabliert sich maßgeblich über einen gemeinsamen Prozess, bei dem am Ende eine Konzeption entsteht, die auf gemeinsamer Verantwortung von Fach- und Lehrkräften und Multiprofessionalität beruht. Die Bedarfe und Bedürfnisse von Kindern dienen dabei als Ausgangspunkt, denn nur so kann Ganztagsbildung ihrem Anspruch gerecht werden, Kinder in ihrer individuellen persönlichen bildungsbiografischen und sozialen Entwicklung bestmöglich zu fördern und einen Beitrag zu Bildungsgerechtigkeit zu leisten. Auf den verschiedenen Verantwortungsebenen sind wichtige Weichenstellungen vorzunehmen, um eine erfolgreiche Entwicklung von Ganztagsbildungsangeboten zu ermöglichen. Die AGJ wird den Diskussions- und Umsetzungsprozess zur Ganztagsbildung weiterhin aktiv begleiten.
Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 22./23. September 2022
[1] Ansprechperson für dieses Positionspapier in der AGJ ist die zuständige Referentin des Arbeitsfeldes III „Qualifizierung, Forschung, Fachkräfte“: Katja Lüdke (katja.luedke@agj.de).
[2] Sie sind übertragbar auf weitere Organisationsmodelle der Zusammenarbeit zur Umsetzung von Ganztagsbildung, seien es bspw. die Kooperationsformen zwischen Hort und Schule, die intra- und interprofessionelle Kooperation im organisatorischen Kontext eines einzelnen Hortes oder andere teil- und vollintegrierte Ganztagsmodelle mit ihren jeweiligen Partnern.
[3] Nationaler Bildungsbericht 2020.
[4] Rauschenbach, T. (2015): Lebensweltorientierung + Bildung = Alltagsbildung? Zumutungen und Annäherungen für die Sozialpädagogik. In: Zeitschrift für Sozialpädagogik (ZfSp), 13. Jhrg.; Heft 2; S. 128: „Wenn Bildung nicht allein auf Ergebnisse standardisierter Lehr-Lernprozesse reduziert werden kann, wenn sie andere, zusätzliche Inhaltsdimensionen umfasst, andere Lernmodalitäten als zertifizierten Pflichtunterricht zulässt sowie potenziell auch andere Bildungsorte und Lernwelten als Schule für relevant hält – z. B. auch Familie, Gleichaltrige, Medien, so schwindet eine bislang angenommene Exklusivität schulischen Tuns“.
[5] AGJ-Positionspapier (2019): „Kind- und jugendgerechte Ganztagsbildung“.
[6] Vgl. Coelen, T. / Otto; H.-U. (2008): Zur Grundlegung eines neuen Bildungsversta?ndnisses. In: Coelen, T. /Otto, H.-U. (Hrsg.): Grundbegriffe Ganztagsbildung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 17–25.
[7] Behörde für Schule und Berufsbildung (Hrsg.): Orientierungsrahmen Schulqualität. Vollständig überarbeitete und erweiterte Fassung, Hamburg 2019.
[8] Diese Unterscheidung ist angelehnt an „jugendgerecht und jugendorientiert“ aus dem Beitrag: Maykus; S. (2018): In der Großstadt Jugend ermöglichen – Stadtteile als junge Bildungs- und Beteiligungsra?ume. Warum Bildungsmanagement einem pädagogischen Anliegen folgen sollte. In: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins (NDV); Ausgabe 02/2018; S. 1-7.
[9] Z. B.: Enderlein O. (2015): Schule ist meine Welt. Ganztagsschule aus Sicht der Kinder. Themenheft 08; Publikationsreihe der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen von "Ideen für mehr! Ganztägig Lernen", Berlin.
[10] Dazu gehört auch die Schaffung von armutssensiblen Zugängen in die Angebote der Ganztagsbildung, siehe bspw. AGJ-Positionspapier (2017): „Armut nicht vererben – Bildungschancen verwirklichen – soziale Ungleichheit abbauen! Fünfter Armuts- und Reichtumsbericht: Konsequenzen und Herausforderungen für die Kinder- und Jugendhilfe“.
[11] Maykus, S. (2021): (Inklusive Ganztagsschule: erweiterte Pädagogik und Organisation als herausfordernde Bedingung einer veränderten Schule. In: Radisch, F.; Schulz, U.; Züchner, I. (Hrsg.): Jahrbuch Ganztagsschule 2021/22. Ganztagsschule und Übergänge im Bildungssystem. S. 114-134.
[12] Im Folgenden wird nur noch von Ganztagsbildung gesprochen, wobei die oben aufgeführten Qualitätsmerkmale jeweils mitgedacht werden.
13 Haenisch, H. (2010): Bedingungen, Determinanten und Wirkungen der schulinternen Kooperation von Lehr- und Fachkräften in offenen Ganztagsschulen. In: Serviceagentur „Ganztägig lernen in Nordrhein-Westfalen“ (Hrsg.): Kooperation im Ganztag. Erste Ergebnisse aus der Vertiefungsstudie der wissenschaftlichen Begleitung zur OGS. 6. Jhrg., Heft 14, S. 31.
[14] Speck, K. (2020): Multiprofessionelle Kooperation in der Ganztagsbildung. In: Bollweg, P. / Buchna, J. / Coelen, T / Otto, H.-U. (Hrsg): Handbuch Ganztagsbildung, 2. Auflage, Bd.2., S. 1455.
[15] Gra?sel/Fußangel/Pro?bstel (2006) in Haenisch 2010.
[16] Thimm (2008): In Haenisch 2010:31.
[17] AGJ-Zwischenruf (2020): „Guter Ganztag?! Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter mit Qualität verbinden.“
[18] AGJ-Positionspapier (2019): „Kind- und jugendgerechte Ganztagsbildung“.
[19] AGJ-Positionspapier (2019): „Kind- und jugendgerechte Ganztagsbildung“
[20] www.lohnspiegel.de.
[21] Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2019): Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland 2017/2018 - Darstellung der Kompetenzen, Strukturen und bildungspolitischen Entwicklungen für den Informationsaustausch in Europa, S. 206.
In mehreren Bundesändern ist jedoch mittlerweile festgelegt worden, eine Eingruppierung in E 13 TV-L vorzunehmen.
[22] AGJ-Positionspapier (2019): „Kind- und jugendgerechte Ganztagsbildung“.
[23] Dazu zählt beispielsweise auch die Kooperation mit der Bundesagentur für Arbeit im Hinblick auf die Beratung von (ausländischen) Fachkräften, die in diese Handlungsfelder einmünden wollen/sollen.
[24] AGJ-Positionspapier (2019): „Kind- und jugendgerechte Ganztagsbildung“.
[25] Bollweg, P., Buchna, J., Coelen, T., Otto, H.-U. (2020 i.E.) (Hrsg.): Handbuch Ganztagsbildung. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. VS-Verlag für Sozialwissenschaften: Wiesbaden.
[26] Speck 2020: 1462 f.