Stellungnahme zum Regierungsentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“
Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ[1]
Abstract
Der Regierungsentwurf „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ greift wesentliche Kritikpunkte nicht auf, die bereits gegenüber dem Referatsentwurf eingebracht wurden. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ sieht an zentralen Punkten dringenden Weiterentwicklungsbedarf und weist die Abgeordneten des Bundestages daher für den nun bevorstehenden Gesetzgebungsprozess auf Änderungsbedarfe hin. Sie fokussiert dabei auf Kritikpunkte hinsichtlich der Regelungen im SGB VIII sowie den für die Umsetzung innerhalb der bundesweiten Strukturen hochbedeutsamen Beratungsbedarf.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Aufarbeitung
2.1 Recht auf Aufarbeitung für die Betroffenen (§ 9b SGB VIII-E)
2.2 Institutionelle Aufarbeitung
3 Schutzkonzepte
4 Beratungssystem
Einleitung
Der „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen“ erfährt in den Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe für seine grundsätzliche Ausrichtung breite, nachhaltige Zustimmung. Er greift lange gehegte Anliegen der Fachpraxis auf. Dennoch gibt es einige wesentliche Kritikpunkte an konkreten Regelungsvorschlägen.
Den Hauptregelungsgegenstand, also das Gesetz zur Einrichtung einer oder eines Unabhängigen Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (Gemeinsam-gegen-Kindesmissbrauch-Gesetz – UBSKMG), welches die gesetzliche Verankerung der Struktur einer*eines Unabhängigen Bundesbeauftragten mit einem dort angesiedelten Betroffenenrat und einer Unabhängigen Aufarbeitungskommission bilden würde, hält die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ für sehr unterstützenswert, da von dieser Bundesstruktur wichtige Impulse gegen sexuellen Missbrauch und zur Aufarbeitung ausgehen. Dies gilt insbesondere für die Berichtspflicht gegenüber Bundestag und Bundesrat und Bundesregierung – mit einem eigenständigen Berichtsteil des Betroffenenrats. Die AGJ begrüßt dabei auch, dass die Empfehlung des Nationalen Rates aufgenommen wurde und somit empirische Daten als eine Grundlage für den Bericht festgeschrieben werden.
Die AGJ unterstreicht jedoch Veränderungsforderungen, die zu den vorgesehenen Änderungen im SGB VIII (Einführung einer neuen Aufgabe in „§ 9b Aufarbeitung“ und zu den Datenschutz-/Finanzierungs- und Qualitätsentwicklungsnormen bereits durch Vertreter*innen der Kinder- und Jugendhilfe anlässlich des Referatsentwurfs im April 2024 eingebracht wurden, jedoch nicht aufgegriffen wurden. Die AGJ wendet sich deshalb an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit der Aufforderung, im Gesetzgebungsprozess noch wichtige Korrekturen vorzunehmen.
Aufarbeitung
Die AGJ ist davon überzeugt, dass Aufarbeitung in zweierlei Hinsicht von Bedeutung ist und gesetzliche Absicherung verdient: persönlich für Betroffene, aber auch institutionell. Beides wurde im Gesetzentwurf bedacht, trifft aber noch nicht die Bedarfe:
Recht auf Aufarbeitung für die Betroffenen (§ 9b SGB VIII-E)
Die AGJ begrüßt das in § 9b SGB VIII-E festgehaltene Recht zur Aufarbeitung der Betroffenen, das durch eine spiegelbildliche Pflicht des öffentlichen Trägers zur Einsichtnahme in und zur Gewährung von Auskunft zu konkret benannten Akten hergestellt wird (Abs. 1). Damit Betroffenen auch der Zugang zu Unterlagen von Trägern von Einrichtungen und Diensten eröffnet wird, sind mit diesen Vereinbarungen abzuschließen (Abs. 2). Eine solche Regelungskonstruktion ist grundsätzlich tragfähig. Damit sich aus der Norm allerdings tatsächlich eine Stärkung der Rechte der Betroffenen ergibt, sind folgende Veränderungen erforderlich:
Die als „Erziehungshilfe-, Heim- oder Vormundschaftsakten“ beschriebene Reichweite kann zur Ausklammerung eines Teils des Aktenbestands führen. Es ist deutlich zu machen, dass sowohl Akten zu Kinderschutzverfahren (§ 8a SGB VIII), zu allen individuellen Leistungsbezügen (§§ 27, 35a, 41 SGB VIII), zur Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII) und zur Vormund- und Ergänzungspflegschaft (§ 55 SGB VIII) erfasst werden. Durch eine Nennung der Paragrafen und einem Verweis auf deren frühere Entsprechung würde vermieden werden, dass durch andere Bezeichnungen Unsicherheiten entstehen (so gilt z.B. der Begriff „Heimakte“ inzwischen als überholt). Alternativ wäre eine Formulierung denkbar wie „Akten, aus denen Entscheidungen in Erziehungsfragen nachvollzogen werden können“/“Akten, die für die Biographiearbeit des sie betreffenden jungen Menschen relevant sein können“. Jugendamtsleitungen machten in der AGJ darauf aufmerksam, dass eine lange und weite Aufbewahrungspflicht deutlich weniger Ressourcen binde, als wenn alle bestehenden Akten bereits zum jetzigen Zeitpunkt nach bestimmten Kriterien im Hinblick auf die Aufbewahrungspflicht des § 9b SGB VIII-E durchgesehen werden müssten. Antizipierende Prüfungen sind unbedingt zu vermeiden. Die AGJ regt an, in dem auf die Träger von Einrichtungen und Diensten bezogenen Abs. 2 nicht die gleiche Terminologie der Akten zu verwenden, um so den Anschein zu vermeiden, dass es um einen offiziellen Status statt breit um „dokumentierende Unterlagen in Ergänzung zu den in Abs. 1 genannten Akten“ geht.
Die Festlegung der gegenüber Leistungserbringern greifenden Aufbewahrungsfrist bis zum Abschluss des 50. Lebensjahrs (§ 9b Abs. 2 Nr. 1) ist sachlich nicht zu rechtfertigen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Wunsch nach Aufarbeitung der eigenen Biografie erst später aufkommt und für die Betroffenen ein dringendes Anliegen sein kann. Die AGJ empfiehlt daher eine Anlehnung an die Fristen bei Adoptionsvermittlungsakten (100 Jahre; § 9c Abs. 1AdVermiG), für das Geburtenregister (110 Jahre: § 5 Abs. 5 Nr. 2 PStG) oder Samenspenden (110 Jahre; § 8 S. 1 SaRegG), bei denen es jeweils ebenfalls um eine Sicherung des Rechts auf Kenntnis biografischer Daten von existenzieller Bedeutung geht. Da für Betroffene nicht nur die Einsichtnahme in Akten von freien Trägern, sondern insbesondere auch in Akten der öffentlichen Träger wichtig ist, sollte auch für diese ausdrücklich die Aufbewahrungsfrist verlängert werden. Für diese ist nur eine ganz allgemein gefasste Pflicht zur Aufbewahrung geregelt („betreffende Akten“, „angemessen Zeitraum“) (§ 79a Abs. 2 S. 2 SGB VIII-E).
Nicht gelungen ist schließlich die Bindung des Rechts auf Aufarbeitung an ein in § 9b Abs. 3 SGB VIII-E definiertes „berechtigtes Interesse“. Die Koppelung mit der Begrifflichkeit der „gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohles eines Kindes“ ist für die intendierte retrospektive Klärung der Plausibilisierung des Einsichtsinteresses nicht sinnvoll: Stattdessen sollten handlungsleitend sein der Sachvortrag der Betroffenen zu früheren Erlebnissen und deren persönliches Interesse Kenntnis über die Inhalte der Akte zu erlangen für die psychosoziale Aufarbeitung der eigenen Biografie. Zwar besteht eine besonders hohe staatliche Verantwortung, wenn es bereits gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung gab oder die Entscheidung für eine stationäre Unterbringung gegen den Willen der Personensorgeberechtigten getroffen wurde. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kinder- und Jugendhilfevergangenheit kann aber insbesondere auch dann relevant sein, wenn aus Sicht des Jugendamts keine gewichtigen Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorlagen, etwa weil die sexuelle Gewalt nicht erkannt wurde.
Damit das Recht zur Aufarbeitung nicht durch datenschutzrechtliche Bestimmungen ausgehebelt wird, ist durch den Gesetzgeber klarzustellen, dass das Auskunftsinteresse des Kindes ggf. bestehende Schutzinteressen von Eltern, anderen Familienmitgliedern oder Dritten überwiegt. Da in den Akten in der Regel Daten mit sog. Drittbezug enthalten sind, die ggf. sogar als anvertraute Daten einen hohen Schutzgrad genießen, und in der Praxis hieraus oft Hürden für die Betroffenen entstehen, ist eine solche Klarstellung erforderlich und wird durch den Verweis auf § 25 SGB X in § 9b Abs. 4 SGB VIII-E bisher eben gerade nicht hergestellt, sondern das Gegenteil nahegelegt. Zur Klarstellung kann in § 65 Abs. 1 SGB VIII eine zusätzliche Ausnahme aufgenommen werden: „Nr. 8 zur Akteneinsicht Betroffener nach § 9b Absatz 1, soweit das Interesse Dritter an einem Schutz von sie auch betreffenden Daten nicht überwiegt und diese Daten nicht anonymisiert werden können“.
Institutionelle Aufarbeitung
Mit Blick auf die institutionelle Aufarbeitung hält die AGJ zwei Ansätze für bedeutsam, deren gesetzliche Absicherung im Zuge dieses Gesetzgebungsverfahrens vorgenommen werden sollen und die ebenfalls noch Nachbesserungen bedürfen:
Im Gesetzesentwurf sind Fallanalysen zur Qualitätsentwicklung (§ 79a Abs. 2 iVm § 64 Abs. 2c und § 65 Abs. 1 Nr. 7 SGB VIII-E) vorgesehen, die auf Initiative der öffentlichen Träger durchgeführt werden und deren Potentiale zur Verbesserung des Kinderschutzes auch die AGJ unterstreichen möchte. Die AGJ begrüßt diese bundesgesetzliche Verankerung, regt jedoch in Anlehnung an das Landeskinderschutzgesetz NRW an, stärker als im vorgeschlagenen Wortlaut auch deren anlassunabhängige Durchführung festzuhalten.
Unbedingt nachjustiert werden sollte die notwendige Einführung des § 64 Abs. 2c SGB VIII-E. Die Einschränkung in Satz 2 („Personenbezogene Daten sind zu anonymisieren.“) bedarf einer sorgfältig formulierten weiteren Öffnung. Nur so kann bei Fallanalysen tatsächlich die – im Gesetzentwurf vorgesehene – Einbeziehung freier Träger erfolgen. Denn die fallbeteiligten Fachkräfte kennen die Sozialdaten und gegenüber ihnen ist eine Anonymisierung nicht möglich. Außerdem ist auch bei Fällen, die öffentliche Aufmerksamkeit erlangt haben (z.B. Lügde, Staufen), eine Anonymisierung nur noch teilweise möglich, Fallanalysen aber besonders wichtig. Daher ist die Einführung einer Ausnahme erforderlich, die eine Pseudonymisierung vorsieht, wenn gegenüber anderen fallbeteiligten Fachkräften oder wegen medialer Aufmerksamkeit das Risiko einer Re-Anonymisierung gegenüber den an der Fallanalyse vertraulich involvierten Personen nicht ausreichend reduziert werden kann. Wichtig ist, dass einerseits fallbeteiligte Fachkräfte an der Fallanalyse beteiligt werden können (siehe bspw. das Konzept der Fallanalyse in Berlin und Brandenburg) und andererseits die Daten gegenüber Personen außerhalb der Fallanalyse anonymisiert bleiben.
Wissenschaftliche Forschungsprojekte zur Aufarbeitung sind auch jenseits der eben genannten Fallanalysen denkbar und dabei nicht immer als Arbeiten mit pseudonymisierten Daten sinnvoll – etwa, wenn es konkret um Forschung im Zusammenhang mit Täternetzwerken geht. Die AGJ hält es für richtig, dass in solchen Fällen grundsätzlich eine Einwilligung der Betroffenen eingeholt werden muss. Da Betroffene aber teils aufgrund ihres Todes, unbekannten Verziehens oder einer offensiven Abgrenzung von diesem Teil ihres Lebens nicht erreicht werden können, sollte die Durchführung solcher Forschungsprojekte durch die Aufnahme einer Ausnahmeregelung für Fälle eines überwiegenden öffentlichen Interesses ermöglicht werden, wenn eine Einwilligung der Betroffenen nicht erlangt werden kann. Die aktuell kaum zu überwindenden Hürden solcher Forschungsprojekte sind nicht angemessen.
Schutzkonzepte
Die Erweiterung der Vorgaben zur Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe (§ 79a Abs. 1 SGB VIII-E) um Qualitätsmerkmale für den Schutz vor Gewalt von Kindern und Jugendlichen bei der Aufgabenwahrnehmung begrüßt die AGJ. Da die vorgeschlagene Regelung durch ihre Verschachtelung mit den Finanzierungsregeln jedoch schwer zu verstehen und damit zu befürchten ist, dass diese ins Leere läuft, drängt die AGJ auf ein deutlicheres Herausarbeiten der Zielsetzung und Verantwortlichkeit.
Gelungen ist, dass durch die Ergänzung des § 79a Abs. 1 S. 2 SGB VIII-E die öffentlichen Träger zur Erarbeitung institutioneller Gewaltschutzkonzepte für ihre eigene Aufgabenerbringung verpflichtet werden und sich dabei gemäß des neuen Einschubs in § 79a Abs. 1 S. 3 SGB VIII-E an den Empfehlungen des überörtlichen öffentlichen Trägers zur Entwicklung, Anwendung und Überprüfung von Konzepten zum Schutz vor Gewalt orientieren müssen. Dadurch wird zum einen – hierauf hebt die Begründung (S. 67) ab – die Verantwortung des örtlichen öffentlichen Trägers für die durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz implementierte Pflicht zur Entwicklung, Anwendung und Überprüfung von Schutzkonzepten in Bezug auf Kinder und Jugendliche, die in betriebserlaubnispflichtigen Einrichtungen oder in Pflegefamilien betreut werden (§ 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 und § 37b Abs. 1 SGB VIII), betont. Richtigerweise – und erstaunlich unbeachtet im Begründungstext – wird sich jedes Jugendamt aber auch fragen müssen: Wo im eigenen Handeln (also „bei der Aufgabenwahrnehmung“ des Allgemeinen Sozialen Dienstes, der Amtsvormundschaft, der Unterhaltsvorschussstelle usw.) braucht es noch Qualitätsentwicklung zum Schutz vor Gewalt?
Die neu vorgesehenen Ergänzungen der Finanzierungsregelungen (§§ 74 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 77 Abs. 1 S. 1 und S. 2, 78 Abs. 1 SGB VIII-E) beschränken sich überwiegend auf die Mitwirkung an der Durchführung der institutionellen Aufarbeitung zur Qualitätsentwicklung (vgl. 2.2) (s.o.) – nur für den Bereich der zweiseitigen Vereinbarungsfinanzierung ambulanter Leistungen nach § 77 SGB VIII-E kommt eine Verpflichtung zur Vorhaltung von Schutzkonzepten hinzu. Die AGJ stellt fest, dass diese Vorschläge auf viele Fragen („Wer muss nun was?!“) stoßen und in erster Linie Furcht vor einer Zunahme von Dokumentations-, Kontrollaufwand und weiteren Bürokratieanforderungen und entsprechend verkomplizierten Finanzierungsverhandlungen auslösen. Diese Regelungskonstruktion droht mehr zu verwirren statt zur Qualitätssteigerung beizutragen. Die AGJ warnt, dass der intendierte und wichtige Handlungsimpuls ins Leere gehen dürfte. Sie unterstützt jedoch nachdrücklich, dass offenbar beabsichtigt wurde, die Vielfalt der Trägerstrukturen und Angebote zu berücksichtigen und nicht pauschal alle ambulanten Angebote und Leistungen zum Vorhalten von Schutzkonzepten zu verpflichten, da dies insbesondere im ehrenamtlich gestalteten Handlungsfeld der Kinder- und Jugendarbeit und Selbsthilfe wertvolle Initiativen verhindern würde.
Der derzeitige Regelungsvorschlag des Referatsentwurfs bietet allerdings auch nicht die Trennschäfte, die er vermuten lässt, da es ambulante Angebot gibt, die in einer Region über Zuwendungen (§74 SGB VIII), anderswo – trotz entsprechender Konzeption – über Vereinbarungen nach § 77 SGB VIII finanziert werden. Die AGJ hält es für zielführender, wenn anstelle der Ergänzungen in den Finanzierungsregelungen die gewählte Formulierung in § 79a SGB VIII-E aufgenommen würde, so dass hier der öffentliche Träger auch ausdrücklich zur Hinwirkung auf eine partizipative Entwicklung, Weiterentwicklung und Umsetzung von Schutzkonzepten bei der Erbringung von Leistungen und Angeboten verpflichtet würde. Eine solche Änderung würde die Beratungsverantwortung des öffentlichen Trägers betonen. Durch die Veränderung des Regelungsortes und die Trias von Partizipation, Entwicklung und Umsetzung würde zudem verhindert, dass das Vorhalten von Schutzkonzepten zur starren und das Abheften eines Vordrucks erfüllten Finanzierungsvoraussetzung wird, statt konzeptbezogen angepasst und mit Leben gefüllt zu werden. In dem Begriff des Hinwirkens steckt aber umgekehrt auch die Möglichkeit, dass durch den öffentlichen Träger ab einem gewissen Institutionalisierungsgrad des ambulanten Angebots, wenn dieses regelmäßig bzw. langfristig stattfindet, oder bei bestimmten Merkmalen (z.B. dem Stattfinden von Übernachtungen) auch die Finanzierung an Schutzkonzepte geknüpft werden könnte.
Beratungssystem
Für hochbedeutsam hält die AGJ, dass der Gesetzesentwurf zur Umsetzung des staatlichen Auftrags das Vorhalten eines Beratungssystems durch den Bund vorsieht (vgl. S. 3, 36f. des Entwurfs). Die AGJ erstaunt, dass mit der Ausführung dieses Auftrags die BzGA beauftragt werden soll. Ihr ist nicht bekannt, dass in der BzGA – jenseits einer Kooperation zwischen Nationalem Zentrum Frühe Hilfen und dem Deutschen Jugendinstitut für das Projekt „Lernen aus problematischen Kinderschutzverläufen“ – bisher eine entsprechende Fachexpertise vorgehalten worden ist. Die AGJ hält eine Ankoppelung an den Beratungsauftrag bestehender Strukturen für deutlich sachgerechter, sie lässt sich durch eine Stärkung der Kapazitäten beim überregionalen Träger der öffentlichen Jugendhilfe (Landesjugendämter) sowie bei spezialisierten Trägern mit Expertise zum Kinderschutz erreichen. Dies betrifft sowohl die Aufklärung und Sensibilisierung als auch und umso stärker eine individuelle Unterstützung der Aufarbeitung von Betroffenen bezogen auf ihren jeweiligen Einzelfall. Dies betrifft außerdem die Qualifizierungen zur strukturellen Qualitätsentwicklung oder das Zurverfügungstellen von überörtlichen Rahmenschutzkonzepte zur konzeptionellen Anpassung auf den jeweiligen Anwendungsbereich. Sollte die Entscheidung der Übertragung der Aufgabe an die BZgA aufrechterhalten werden, ließe sich durch Mittelweiterleitungen ebenfalls das Ziel der Beratung vor Ort erreichen.
Geschäftsführender Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 22. Juli 2024
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[1] Ansprechperson für dieses Positionspapier in der AGJ ist die für das Arbeitsfeld I „Organisations-, Finanzierungs- und Rechtsfragen“ zuständige stellv. Geschäftsführerin Angela Smessaert (angela.smessaert[at]agj.de).