Neustart statt Stotterstart! Armutsbekämpfung durch Kindergrundsicherung voranbringen!
Der Koalitionsvertrag für die aktuelle Legislaturperiode sieht nichts weniger als einen „Neustart der Familienförderung“ vor und meint damit die Reformierung und Bündelung der bisher bestehenden familienpolitischen Leistungen unter dem Dach der sog. Kindergrundsicherung. Jungen Menschen und Familien in Armutslagen soll so der Zugang zu den ihnen zustehenden Sozialleistungen erleichtert werden.
Dieser versprochene Neustart ist derzeit allerdings heftig ins Stottern geraten, weil sich die Koalitionspartner über die Frage der Finanzierung nicht einig werden. „Mit Sorge und Verärgerung“, so die AGJ-Vorsitzende Prof. Dr. Karin Böllert, „nimmt die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ wahr, dass beim zentralen sozialpolitischen Vorhaben der Regierungskoalition scheinbar der politische Wille für eine nennenswerte Investition in junge Menschen fehlt.“
Die AGJ begrüßt das Vorhaben, eine Kindergrundsicherung einzuführen, weil sie darin einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung von Kinderarmut und zur Verbesserung der gesellschaftlichen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen sieht. Die Kindergrundsicherung kann dazu beitragen, das unübersichtliche Nebeneinander familienpolitischer Leistungen – die sich in ihrer Wirkung teilweise aufheben – in eine neue transparente Struktur zu überführen und Bürokratie abzubauen. Wenn so deutlich mehr Anspruchsberechtigte als bisher die ihnen zustehende finanzielle Unterstützung erhalten, ist dies sozialpolitisch nur wünschenswert. Um bislang verschlossene Zukunftschancen zu öffnen, braucht es zusätzlich zu dem fixen Grundbetrag einen flexiblen, an die finanzielle Situation der Familie angepassten Zusatzbetrag. Damit stellt die Kindergrundsicherung einen Schritt in Richtung gesellschaftlicher und sozialer Teilhabe für alle jungen Menschen dar.
Die AGJ hat in einem Positionspapier im Dezember 2022 folgende Mindestanforderungen an die Kindergrundsicherung formuliert:
- Das Kind ist Anspruchsinhaber*in.
- Die Kindergrundsicherung muss bedarfsgerecht und sozial gerecht ausgestaltet sein.
- Die Kindergrundsicherung muss unkompliziert gewährt werden.
- Der Gestaltung von Schnittstellen kommt eine zentrale Bedeutung zu.
- Die Kindergrundsicherung muss auskömmlich finanziert sein.
- Die Kindergrundsicherung muss mit dem Ausbau von Infrastrukturleistungen für Kinder und Jugendliche verknüpft werden.
Entscheidend wird sein, wie die Kindergrundsicherung konkret gestaltet wird. Dazu besteht eine Vielzahl möglicher Modelle – und es müssen nun Festlegungen zwischen den Koalitionspartnern getroffen werden. Andernfalls wird der für 2025 versprochene Start der Kindergrundsicherung, an dem die Koalition sich wird messen lassen müssen, nicht zu halten sein.
Fest steht: Die Kindergrundsicherung ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die vom Familienministerium genannten 12 Mrd. € liegen dabei noch am unteren Ende der Kostenspanne. Die Nettokosten der bekannten Konzepte zur Umsetzung einer Kindergrund-sicherung betragen je nach Modell zwischen 10 und 22 Mrd. €. Ein großer Teil der Mehrkosten der Kindergrundsicherung geht allerdings darauf zurück, dass von einer automatischen Auszahlung, d. h. einer 100-prozentigen Inanspruchnahme ausgegangen und dies mit den Ausgaben für aktuelle Leistungen verglichen wird. Diese weisen aufgrund ihrer Komplexität und hoher bürokratischer Hürden allerdings deutlich geringere Inanspruchnahmequoten auf. Dies zu Lasten der Kinder in Armutslagen auszublenden, ist unlauter, zumal in der Debatte um die Kosten der Kindergrundsicherung die entlastenden Effekte einer besseren monetären Absicherung von Kindern und Jugendlichen bisher nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dazu Prof. Dr. Karin Böllert: „Bislang bleiben die monetären Folgekosten eines Aufwachsens in Armut außen vor. Nicht zuletzt ist die auskömmliche Finanzierung der Kindergrundsicherung eine Frage sozialer Gerechtigkeit – daran zeigt sich, was einer Gesellschaft ihre Kinder wert sind.“