Preisverleihung des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises 2016
Begrüßt wurden die Gäste der Preisverleihung von der Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ, Prof. Dr. Karin Böllert, die in ihrer Rede an die Namensgeberin des Preises, Dr. Hermine Albers, erinnerte. Der Preis wurde nach dem Tod von Hermine Albers, die eine der Mitbegründerinnen der AGJ war, zu ihrem Gedenken ausgelobt. Und die AGJ-Vorsitzende zitierte eine Einschätzung zu Albers aus der damaligen Zeit. „Die Vornehmheit der Gesinnung war gepaart mit einer tiefen Leidenschaft für die Aufgaben der Jugendhilfe. Keine Reise war ihr zu beschwerlich, wenn es galt sich für die Belange der Jugend einzusetzen, kein Opfer an Zeit und Kraft war zu groß, um für das lebendige Jugendamt, wie es ihr vor Augen stand, zu werben. Sie wollte nicht herrschen, sondern nur helfen. Deshalb war es so leicht mit ihr zu arbeiten. Sie war die verkörperte Idee unserer Arbeitsgemeinschaft, ihre sichtbare Triebkraft und gerade, weil sie es nicht anstrebte, ihr geheimer Mittelpunkt.“ Des Weiteren dankte Prof. Dr. Böllert in ihrer Rede der Jury zur Vergabe des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises 2016 für die geleistete Arbeit und dem weisen Vorschlag zur diesjährigen Preisverleihung. Ein besonderer Dank ging auch an den Stifter des Preises, den Obersten Jugend- und Familienbehörden der Länder. In Ihren Schlussworten betonte Prof. Dr. Böllert: „Hermine Albers, die große Frau der Jugendhilfe, wäre sicherlich sehr stolz, dass ihr Name auch heute noch für Innovation und Engagement steht. Ich gratulieren allen Preisträgerinnen und Preisträgern.“
Nach der Rede von Prof. Dr. Böllert hielt die Vorsitzende der Jugend- und Familienministerkonferenz, Staatsministerin Barbara Klepsch, für den Stifter des Preises ihre Ansprache. Darin betonte sie die Wichtigkeit und den damit verbundenen hohen Stellenwert des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises. „Unser Preis – als Vertreterin der Stifter, der Obersten Landesjugendbehörden, kann ich das sagen. Unser Preis würdigt Menschen, die sich in besonderer Weise für die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe engagiert haben oder für eine wirklichkeitsnahe Darstellung des Aufgabenfeldes in der Öffentlichkeit eintreten. Damit ist die Preisverleihung ein Höhepunkt meiner Amtszeit als Vorsitzende der Jugend- und Familienministerkonferenz,“ so die Staatsministerin. Des Weiteren ging Staatsministerin Klepsch auf die Bedeutsamkeit des ausgeschriebenen Praxispreisthemas „Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung“ ein, welches „zu den wesentlichen Säulen der aktuellen Reform des Kinder- und Jugendhilferechts“ gehört. Abschließend galt ihr Dank den Preisträgerinnen und Preisträgern, der elfköpfigen Jury und dem Vorstand der AGJ. Ganz besonders dankte sie aber „…auch allen Bewerberinnen und Bewerbern, die sich an der Ausschreibung zum Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreis 2016 beteiligt haben. Ihre innovativen Ideen, Ihre wissenschaftliche Expertise, gute Praxis und sensible Öffentlichkeitsarbeit brauchen wir genauso. Sie alle haben dazu beigetragen, dass auch der diesjährige Preis seinem Andenken an das Gründungs- und Vorstandsmitglied der AGJ, Dr. Hermine Albers gerecht wird.“
Im Anschluss an die beiden Reden wurde der Preis in den verschiedenen Kategorien übergeben und die Preisträger präsentierten ihre Arbeiten.
Praxispreis der Kinder- und Jugendhilfe 2016
In der Kategorie Praxispreis, der zum Thema „Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung“ ausgeschrieben war, wurde der Verein Careleaver für seine Arbeit ausgezeichnet.
Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Situation des Personenkreises junger Erwachsener, die in stationären Erziehungshilfen aufgewachsen sind, bekannt zu machen. Er deckt die Nachteile auf, mit denen die Careleaver an der Schwelle zur Volljährigkeit zu kämpfen haben, die teilweise auch strukturell in der Übergangsbegleitung von Careleavern aus dem Hilfesystem angelegt sind, und bemüht sich in Kooperation mit Fachinstitutionen durch eine entsprechende Sensibilisierung die Wege eines Careleavers in die Selbständigkeit zu erleichtern. Darüber hinaus tritt der Careleaver e.V., der sich selbst als ein Verein für Chancengleichheit bezeichnet, für die Rechte der Careleaver ein und versucht diese zu stärken. Zentral für die Vereinsarbeit ist auch der Vernetzungsgedanke der jungen Menschen selbst, die Türen der Einrichtung stehen für jeden offen, so liest man folgende Worte auf der Webseite des Vereins: „Und wir möchten euch Careleaver ansprechen. Unsere Angebote bieten euch eine Möglichkeit des kommunikativen Austauschs über Vergangenes und aktuelle Problematiken. Gemeinsam suchen wir mit euch nach Lösungen und Unterstützung. Wir möchten euch dabei helfen, die individuellen Wünsche eurer Lebensgestaltung selbstbewusst und nach eurem Potenzial umzusetzen.“ Norbert Struck, Mitglied der Jury zur Vergabe des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises 2016 lobte in seiner Laudatio die Arbeit und das damit verbundene Engagement des Careleaver e.V. der „…genau zu diesem Thema, der Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung, in den jetzt 4 Jahren seit seiner Gründung Enormes geleistet hat. (…) Das Engagement von Careleaver e.V. hat ganz wesentlich dazu beigetragen, einen fachlichen Aha-Effekt zu erzeugen: irgendwie wusste man um das Problem der allzu frühen Beendigung der Hilfen, aber irgendwie kriegte man’s nicht griffig. Careleaver e.V. hat diese Griffigkeit erzeugt! Sukzessive drang das Thema und der mit ihm verbundene Handlungsbedarf in die fachpolitische Öffentlichkeit!“
Nähere Informationen über Careleaver e. V. finden Sie unter https://www.careleaver.de
Medienpreis der Kinder- und Jugendhilfe 2016
Thomas Rautenberg vom rbb ist der diesjährige Medienpreisträger, der die Jury mit seiner Langzeit-Radio-Reportage „Allein in der Fremde“, ausgestrahlt im rbb-Kulturradio am 7. Januar 2014, Redaktion Zeitpunkte, vollkommen überzeugte. In der 25-minütigen Radio-Reportage geht es um zwei unbegleitete minderjährige Flüchtlingsmädchen aus Afghanistan, die auf der Flucht von ihren Eltern getrennt wurden. Der Journalist begleitet die beiden Flüchtlingsmädchen von der Aufnahme im Flüchtlingsheim ALREJU in Fürstenwalde bis zum gemeinsamen Leben mit den Eltern in Berlin. Erzählt wird eine packende und positive Geschichte über eine lange Odyssee. Man erfährt viel über die Situation der unbegleiteten minderjährigen geflüchteten jungen Menschen. Der Journalist Rolf Westermann, seit acht Jahren Mitglied der Jury, hob in seiner Laudatio das Besondere der Reportage hervor: „Es ist die Geschichte zweier mutiger Mädchen, die schnell Deutsch lernen, gut in der Schule sind und sich in der Fremde großartig zurechtfinden. Und es ist die Geschichte eines Journalisten, der im sonst so schnelllebigen Mediengeschäft einen langen Atem hat und mit einer nachhaltigen Recherche einen Glanzpunkt setzt.“ Die Reportage, so Westermann, mache Mut. Sie sei in der Flut von Elendsmeldungen ein fast schon notwendiges Signal, dass Hilfe Sinn mache, dass Dinge auch gut werden könnten.
Die Radio-Reportage von Thomas Rautenberg / "Allein in der Fremde. Afghanische Flüchtlingsmädchen in Fürstenwalde und Berlin" finden Sie hier
Anerkennung in der Kategorie Medienpreis
Die Anerkennung beim Medienpreis, die mit 1.000 Euro ausgestattet ist, ging an die Journalistin Birgit Lutz für den Artikel "Das zweite Gesicht" (veröffentlicht: am 23./24. November 2013 in der Süddeutsche Zeitung). Hierbei geht es um die Geschichte des 14-jährigen Pascal. Ein Junge, der in einer schwierigen Lebenssituation mit seinen beiden Brüdern groß wird, aber dann an einen Punkt gerät, wo es heißt: entweder eine intensivpädagogische Maßnahme oder geschlossene Unterkunft. Pascal entscheidet sich für die intensivpädagogische Maßnahme und fährt gemeinsam mit seinem Betreuer von Bayern an die Nordsee. Nach 51 Tagen und 1421 Kilometer mit dem Rad, nach einigen emotionalen Höhen und Tiefen, hat sich Pascal verändert. „Der Stil ist ungewöhnlich, denn es ist kein Artikel im Fließtext, sondern Autorin Birgit Lutz reiht innovativ kleine Absätze aus unterschiedlichen Perspektiven aneinander. So entsteht ein gut lesbares, schillerndes Mosaik, das die Jury ebenfalls sehr angesprochen hat“, lässt Rolf Westermann in seiner Laudatio das Publikum wissen. Den Preis nahm erfreut stellvertretend für Birgit Lutz, die sich auf einer Exkursion in der Arktis befand, der Betreuer von Pascal entgegen.
Den Zeitungsartikel „Das zweite Gesicht“ von Birgit Lutz finden Sie unter
http://www.birgit-lutz.de/wp-content/uploads/2016/02/Das-zweite-Gesicht.pdf
Theorie- und Wissenschaftspreis der Kinder- und Jugendhilfe
Der Theorie- und Wissenschaftspreis wurde Dr. Thomas Mühlmann für seine Dissertation „Aufsicht und Vertrauen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe als Aufgabe überörtlicher Behörden", verliehen. In seiner Dissertation beschreibt Dr. Thomas Mühlmann die behördliche Aufsicht über Einrichtungen der stationären Hilfen zur Erziehung, wobei das bisher kaum erforschte Arbeitsfeld der Kinder- und Jugendhilfe aus mehreren Blickwinkeln beleuchtet wird. Aufgezeigt werden Widersprüche und Klärungsbedarfe hinsichtlich der Aufgaben und der Rolle der Einrichtungsaufsicht, aber auch Perspektiven für eine strukturelle Weiterentwicklung.
Prof. Dr. Wolfgang Schröer, der Vorsitzende der Jury zur Vergabe des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises gab in seiner Laudatio die Begründung der Jury wieder, die einstimmig resümierte, dass die Arbeit „…sowohl wissenschaftlich in der handwerklichen Durchführung der Studie als auch theoretisch in der Aufbereitung und theoretischen Durchdringen des Feldes der Heimaufsicht voll und ganz überzeugte.“ Schröer hielt fest, dass nicht nur das Thema der Heimaufsicht allein die Preiswürdigkeit der Arbeit ausmache, sondern „…vielmehr die Art und Weise zwischen handbuchartiger Neuerschließung des Themas und empirischer Ausleuchtung anhand zweier ausgewählter Landesbehörden. Wer für sich die Heimaufsicht neu theoretisch und beispielhaft erschließen will, dem sei die Studie sehr empfohlen.“
Die Dissertation von Dr. Thomas Mühlmann /"Aufsicht und Vertrauen. Der Schutz von Kindern und Jugendlichen in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe als Aufgabe überörtlicher Behörden" finden Sie unter http://www.pedocs.de/volltexte/2014/8698/pdf/Muehlmann_2014_Aufsicht_und_Vertrauen.pdf
Anerkennung in der Kategorie Theorie- und Wissenschaftspreis
Die Anerkennung in der Kategorie Theorie- und Wissenschaftspreis erhielt in diesem Jahr Dr. Mirjana Zipperle für ihre Dissertation "Jugendhilfeentwicklung und Ganztagsschule. Empirische Ergebnisse zu Herausforderungen und Chancen". Es ist eine empirische, lokale Fallstudie, in der die Autorin der Frage nachgeht, welche Auswirkungen sich bei der Einführung der Ganztagsschule in den Bereichen Hort, Schulkindbetreuung, Schulsozialarbeit, einzelfallorientierte Erziehungshilfen, Gruppenangebote (soziale Gruppenarbeit, Tagesgruppe, Wohngruppe, intensive soziale Gruppenarbeit), Gemeinwesenarbeit, ASD sowie offene Angebote der Kinder- und Jugendarbeit beobachten lassen. Über die Kooperation zwischen Ganztagsschule und Kinder- und Jugendhilfe werde derzeit hitzköpfig diskutiert, stellte Prof. Dr. Schröer in seiner Laudatio fest, aber „Dr. Mirjana Zipperle hat in dieser aufgeregten Stimmung Ruhe bewahrt und empirisch anhand einer Fallstudie die Entwicklung insgesamt unter die Lupe genommen. Sie zeigt vielschichtig auf, dass die Herausforderungen die Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Breite betreffen. Es entsteht ein neues Geflecht zwischen Hilfen zur Erziehung, Schulsozialarbeit, Gruppenangebote, Hort etc., das soweit sich die Ganztagsschule weiter etabliert, die Kinder- und Jugendhilfe vor Ort in neue Kooperationen zieht, ob sie es will oder nicht. Dr. Mirjana Zipperle legt eine der wenigen Studie vor, die uns zeigen, dass wir uns diesem Themenfeld nüchtern und auch auf empirisch zuwenden sollen, damit wir alte Mythen über die Beziehung von Kinder- und Jugendhilfe und Schule nicht immer weiter transportieren.“
Eine Leseprobe der Dissertation von Dr. Mirjana Zipperle"Jugendhilfeentwicklung und Ganztagsschule. Empirische Ergebnisse zu Herausforderungen und Chancen"
finden Sie unter: http://www.beltz.de/fileadmin/beltz/leseproben/978-3-7799-2162-2.pdf
Die Preisverleihung endete mit dem Resümee der AGJ-Vorsitzenden, Prof. Dr. Böllert: „Alle diese heute hier ausgezeichneten Beiträge von Herrn Thomas Rautenberg, Frau Birgit Lutz, dem Verein Careleaver, Herrn Dr. Thomas Mühlmann und Frau Dr. Mirjana Zipperle machen Mut vor allem im Hinblick auf die in den nächsten Jahren zu bewältigenden gesellschaftlichen Herausforderungen. Diese können wir in der Kinder- und Jugendhilfe nur im Zusammenklang mit vielen gesellschaftlichen Akteuren meistern. Und ich freue mich gerade auch mit Blick auf diese spannenden und engagierten Menschen, die wir heute hier kennenlernen durften, auf unsere zukünftigen Aufgaben. Herzlichen Dank Ihnen allen!“
Abschließend gratuliert die AGJ ganz herzlich den Gewinnern des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises 2016 und dankt der diesjährigen Jury für Ihre geleistete Arbeit. Gleichfalls gilt unser Dank dem Stifter des Deutschen Kinder- und Jugendhilfepreises, den Obersten Jugend- und Familienbehörden der Länder für die jahrzehntelange Förderung und der Möglichkeiten den Preis beständig weiterentwickeln zu können.
Der nächste Deutsche Kinder- und Jugendhilfepreis wird im Jahr 2018 vergeben. Die Ausschreibung erfolgt im Frühjahr 2017.
Mitglieder der Jury 2016 unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Wolfgang Schröer (Universität Hildesheim) waren:
Dr. Dirk Härdrich (Niedersächsisches Landesamt für Soziales, Jugend und Familie), Winfried Hebold-Heitz (SJD - Die Falken), Carolin Krause (Amt für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Köln), Dr. Christian Lüders (DJI), Alina Schadwinkel (ZEIT Online), Judith Schwarzburger (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft des Landes Berlin), Norbert Struck (Paritätischer Wohlfahrtsverband), Rolf Westermann (Journalist), Dr. Herbert Wiedermann (Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration Hamburg) und Prof. Dr. Holger Ziegler (Universität Bielefeld)