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Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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In Deutschland wurde, insbesondere seit der Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK) und deren anschließender Ratifizierung, immer wieder die Frage einer expliziten Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz diskutiert. In den zahlreichen politischen und fachpolitischen Debatten der vergangenen drei Jahrzehnte[1] ließen sich unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Frage ausmachen, ob und wenn ja, wie eine solche Verankerung vorgenommen werden könne. Dennoch konnten bisher die Bemühungen, die Rechte Minderjähriger in das Grundgesetz aufzunehmen und sie damit mit Verfassungsrang auszustatten, keine Umsetzung finden. Dabei hat in den letzten Jahren auf der einfachgesetzlichen Ebene Deutschlands, die durch einen klaren Paradigmenwechsel vollzogene Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen, bereits in vielen Punkten ihre Berücksichtigung gefunden. Die Verfassung bleibt jedoch, hinsichtlich der expliziten Formulierung subjektiver Rechte für Kinder und Jugendliche, hinter den übrigen Regelungen zurück. Auch die völkerrechtliche Vorgabe der UN-KRK wurde mit Deutschlands Zustimmung schon im Jahr 2000 Teil der verabschiedeten Charta der Grundrechte der Europäischen Union und somit
im europäischen Recht verankert. Dies veranlasste 2014 auch den UN-Kinderrechtsausschuss in Genf, in seinen abschließenden Bemerkungen zum Staatenbericht Deutschlands, dazu, Deutschland erneut anzumahnen, dass immer noch die Verankerung der Kinderrechte für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren im deutschen Grundgesetz ausstehe. Er fordert die Bundesrepublik somit bereits zum dritten Mal auf, ihren Verpflichtungen nachzukommen.[2]

Der Forderung nach einer Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz wird meist entgegengehalten, dass, unter Berücksichtigung der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Kinder bereits von ihrer Geburt an, wie Erwachsene, uneingeschränkte Träger aller Grundrechte seien und daher eine rechtliche Notwendigkeit für eine explizite Erwähnung der Kinderrechte im Grundgesetz nicht bestehe. Bisher sind allerdings nur Eltern explizit im Grundgesetz genannt, deren Recht und „die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ (vgl. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) es ist, ihre Kinder zu erziehen. Das Grundgesetz sieht Kinder und Jugendliche vorwiegend aus dem Blickwinkel der Zugehörigkeit zu ihren Sorgeberechtigten und teilt ihnen damit im Prinzip die Rolle als Bezugspunkt elterlicher und staatlicher Sorge (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG; § 1 Abs. 2 SGB VIII) zu.

Aus Sicht der AGJ spiegelt eine solche Stellung von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft die Art und Weise, wie sie im öffentlichen Bewusstsein wahrgenommen werden, nicht umfassend genug wider. Die AGJ nimmt daher erfreut wahr, dass es in Deutschland inzwischen eine breite Unterstützung für die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung gibt und begrüßt die zahlreichen Initiativen hierzu.[3]

Die in der AGJ organisierten Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe sind sich ebenfalls einig: der Schutz, die Förderung und die Partizipation von Kindern und Jugendlichen sind im Grundgesetz zu stärken. Hierfür müssen Staat und Gesellschaft ihr Handeln stärker als bisher auf ihr Wohl ausrichten.

Daher unterstützt die AGJ insbesondere jene Vorschläge, die eine Verankerung von Kinderrechten im Artikel 2 GG vorsehen.[4] In einem hinzuzufügenden Absatz des Artikels sollte, aus Sicht der AGJ, deutlich werden, dass jedes Kind und jede(r) Jugendliche ein Recht auf Entwicklung zu einer freien, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat und der Staat dies durch seine Gesetzgebung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung fördert. Die Verankerung in einem neuen Absatz des Art. 2 GG wäre begründet aus der individuellen Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen, die nicht aus dem Zusammenhang von Ehe, Familie oder Eltern abgeleitet ist und könnte somit den besonderen Bedingungen von Kindern und Jugendlichen in ihrer Entwicklung zu einer eigenständigen Persönlichkeit gerecht werden. Elternrechte und Kinderrechte stehen dabei nicht im Widerspruch, sondern sind als zwei Seiten einer Medaille im Interesse des Kindeswohls zu verstehen.

Eine Änderung im Grundgesetz in diesem Sinne hätte rechtlich klare Auswirkungen. In Zukunft würden Gesetze und Maßnahmen, die für die Gestaltung der Lebensverhältnisse von Kindern und Jugendlichen in besonderer Weise von Bedeutung sind, auch aus ihrer Perspektive zu denken sein und ihr Recht auf Entwicklung zu einer freien, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit müsste ernstzunehmend gestärkt werden. Dies würde beispielsweise auch dem derzeit im Zuge der Reformbemühungen im SGB VIII formulierten Anliegen entsprechen, den Anspruch auf Hilfen zur Erziehung nach § 27 SGB VIII nicht mehr ausschließlich aus der Perspektive von Personensorgeberechtigten zu formulieren. Vielmehr müsste durch individuelle Rechtsansprüche der Kinder und Jugendlichen selbst, der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung erweitert werden, um ihre Subjektstellung zu stärken und ihrem in der Verfassung festgeschriebenen Recht Rechnung zu tragen. Auch das 2013 im Koalitionsvertrag der Bundesregierung formulierte und aus Sicht der AGJ wichtige Anliegen, einen Jugend-Check entwickeln zu wollen, „um  Maßnahmen auf ihre Vereinbarkeit mit den Interessen der jungen Generation
zu überprüfen“ (S. 101), würde durch die Verankerung der Rechte Minderjähriger im Grundgesetz gestärkt werden und eine ernstzunehmende Umsetzung finden müssen.


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 03./04. Dezember 2015
 

[1] Lediglich beispielhaft genannt seien hier die Diskussionen der gemeinsamen Verfassungs-kommission von Bundestag und Bundesrat im Zuge der deutschen Einheit, die Berichter-stattung der Bundesrepublik Deutschland vor dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes gemäß Art. 44 der UN-KRK in den Jahren 1995, 2004 und 2014, die Jugendberichterstattung durch die Sachverständigenkommission sowohl zum 10. als auch zum 14. Kinder- und Jugendbericht sowie Ende 2011 der Beschluss des gemeinsamen Antrags von Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Bundesrat mit der Aufforderung an die Bundesregierung endlich tätig zu werden. 2014 folgte ein JFMK-Beschluss zur Stärkung der Kinderrechte auf allen Ebenen im Bereich des Gesetzes und des Vollzugs.
[2] United Nations Committee on the Rights of the Child “Concluding observations on the combined third and fourth periodic reports of Germany”. (2014)
[3] Zuletzt wurde die Debatte angeregt durch das aus über 100 Organisationen bestehende Aktionsbündnis „Kinderrechte ins Grundgesetz“, die Petition der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. für die Einsetzung einer/eines Kinderbeauftragten des Deutschen Bundestages, das öffentliche Fachgespräch der Kinderkommission des Deutschen Bundestags vom 13.11.2014 anlässlich des 25-jährigen Bestehens der UN-Kinderrechtskonvention sowie aktuelle (fach)politische Überlegungen zum Reformprozess im SGB VIII, in denen nach Einschätzung vieler Expertinnen und Experten die Stärkung der Subjektstellung von Kindern und Jugendlichen im SGB VIII auch eine Stärkung der Kinderrechte im Grundgesetz zufolge haben müsse.
[4] Gleichwohl sind der AGJ andere Vorschläge zur Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung bekannt, so z.B. die Anbindung an Art. 6 GG, wie sie auch von einigen Vertreterinnen und Vertretern der AGJ-Mitgliederstruktur befürwortet werden.