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Zwischenruf zur Einführung verkürzter Ausbildungsgänge für frühpädagogische Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe

Zwischenruf als PDF

Mit diesem Zwischenruf bezieht die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ Position in der Diskussion um die Einführung neuer, verkürzter Ausbildungsgänge für frühpädagogische Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe und will hierzu eine breite und öffentliche Diskussion mit dem Ziel anstoßen, eine Absenkung von Qualifikationsstandards und die Etablierung einer Schmalspur- und Sackgassenausbildung zu verhindern.

Anlass für diesen Zwischenruf ist eine der AGJ vorliegende Beschlussvorlage des Ausschusses für Berufliche Bildung der Kultusministerkonferenz, die den Beschluss für eine verkürzte Erzieherinnen- und Erzieherausbildung in der Sitzung der Kultusministerkonferenz am 5. Dezember 2019 vorsieht. Die Beschlussfassung ist im verkürzten Verfahren vorgesehen und wurde bisher unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne Einbeziehung der Fachlichkeit der Kinder- und Jugendhilfe behandelt.

Geplant ist die Einführung einer beruflichen Erstqualifizierung auf dem Level 4 des DQRs, die ausschließlich zu einer Tätigkeit als Fachkraft in Kindertageseinrichtungen befähigt und keine Durchlässigkeit zu höheren Qualifikationsstufen vorsieht.

Standards für Ausbildung und Studium in der Kinder- und Jugendhilfe beibehalten

Die AGJ hat in den vergangenen Jahren mehrfach eingefordert, im Zuge des gestiegenen Fachkräftebedarfs die Grundsätze und Standards für Ausbildung und Studium in der Kinder- und Jugendhilfe beizubehalten und eine Absenkung des Qualifikationsniveaus zu vermeiden. In ihrem Positionspapier „Dem wachsenden Fachkräftebedarf richtig begegnen! Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Personalentwicklung mit verantwortungsvollem Weitblick“ [1] spricht sich die AGJ im Hinblick auf die Entwicklung alternativer Qualifizierungsmodelle dafür aus:

  • an den geltenden fachlichen Standards festzuhalten;
  • die generalistische Ausrichtung der Ausbildung/ des Studiums beizubehalten;
  • eine starke Verzahnung von Theorie und Praxis zu gewährleisten;
  • den Grundsatz der Verantwortung für die Qualifizierung auf Seiten der Ausbildungsträger zu beachten;
  • die Einstufung des Abschlusses auf Level 6 des DQRs zu wahren;
  • den Grundsatz der Ermöglichung von Bildungsmobilität und Durchlässigkeit zu berücksichtigen.

Gesamtstrategie zur Fachkräftegewinnung gefordert

In dem Papier fordert die AGJ weiterhin die Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Fachkräftegewinnung sowie eine systematische Auseinandersetzung darüber unter Beteiligung aller Akteurinnen und Akteure ein. Ausbildungs- und Studienorganisationsmodelle, die nur auf eine schnelle und passgenaue Gewinnung von Fachkräften zielen, bewertet die AGJ kritisch.

Die AGJ steht unverändert für diese Grundsätze ein und bekräftigt die Forderung, Veränderungen der Ausbildungsmodelle nur unter der Berücksichtigung von fachlichen Standards und der Gewährleistung von Qualitätsanforderungen vorzunehmen. Die folgenreichen Implikationen einer Einführung von neuen Qualifikationsmodellen müssen differenziert in den Blick genommen und mit allen Beteiligten offen diskutiert werden.

Akteure der Kinder- und Jugendhilfe und deren Fachlichkeit einbeziehen

Für die AGJ ist es nicht akzeptabel, dass die Kinder- und Jugendhilfe, die unmittelbar von der Einführung verkürzter Ausbildungswege betroffen sein wird, nicht in die Diskussion dazu eingebunden wird. Die zu befürchtenden negativen Auswirkungen auf das Feld der Kinder- und Jugendhilfe, die Kindertagesbetreuung und die entsprechenden Auszubildenden sind zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht in Gänze abschätzbar, deutlich wird aber bereits jetzt, dass den gestiegenen Erwartungen an die Fachlichkeit der Kinder- und Jugendhilfe im Kontext der Kindertagesbetreuung und einem gleichzeitig zu konstatierenden erheblichen Fachkräftebedarf  mit verkürzten Ausbildungsgängen und einer  Absenkung von Qualifikationsstandards begegnet werden soll. Für Fachlichkeit ist aber eine adäquate Qualifizierung der Fachkräfte unerlässlich.

Forderungen nach Qualitätsverbesserungen in der Kindertagesbetreuung werden ausgeblendet

Die Einführung eines neuen verkürzten Ausbildungsweges wird nicht nur eine große Unsicherheit für alle Akteurinnen und Akteure mit sich bringen, sie konterkariert letztendlich auch die politisch immer wieder eingeforderte Aufwertung des Berufsfeldes der Erzieherin bzw. des Erziehers. Sie blendet  Forderungen nach Qualitätsverbesserungen in der Kindertagesbetreuung aus und widerspricht dem veränderten Verständnis frühkindlicher Bildung von einem Betreuungsangebot hin zu einem integralen Bestandteil des Bildungswesens.[2] Die Verkürzung der Ausbildung steht zudem  in deutlichem Widerspruch zum europäischen Trend, das Qualifikationsniveau der Fachkräfte in der Frühkindlichen Bildung im Zuge der Qualitätsverbesserung und der Fachkräftegewinnung anzuheben.[3]

Bestrebungen zur Fachkräftegewinnung sind sinnvoll und notwendig. Statt der übereilten Einführung eines neuen Ausbildungsgangs, welcher in Richtung Dequalifizierung führt, empfiehlt die AGJ eine systematische Herangehensweise an den Fachkräftebedarf, die unter anderem auf empirische Weise Fragestellungen klärt, z. B. warum ein erheblicher Teil der Absolventinnen und Absolventen der Erzieherausbildung nicht in das Berufsfeld mündet, welcher Strategien es bedarf, um die hohe Quote der Teilzeitbeschäftigten abzusenken, wie die Attraktivität des Handlungsfeldes der Kindertagesbetreuung gesteigert werden kann.

Die AGJ fordert die Kultusministerkonferenz unter Berücksichtigung der genannten Punkte auf, den neuen Ausbildungsgang der „staatlich geprüften Fachassistenz für frühe Bildung und Erziehung“ nicht zu beschließen. Sie mahnt stattdessen die Ermöglichung einer öffentlichen Diskussion unter Einbindung aller betroffenen Akteure und Akteurinnen hierzu an! Die Kinder- und Jugendhilfe darf bei sie betreffenden Entscheidungen nicht übergangen werden!

Geschäftsführender Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 04. November 2019


Fußnoten

[1] Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ (2018): Dem wachsenden Fachkräftebedarf richtig begegnen! Entwicklung einer Gesamtstrategie zur Personalentwicklung mit verantwortungsvollem Weitblick. Positionspapier.
[2] Autorengruppe Fachbarometer (2019): Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2019. Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte. München.
[3] European Commission/EACEA/Eurydice (2019): Key Data on Early Childhood Education and Care in Europe – 2019 Edition. Eurydice Report. Luxembourg: Publications Office of the European Union.