Anforderungen an jugendpolitische Indikatoren als Instrument der EU-Jugendstrategie

Anforderungen an jugendpolitische Indikatoren als Instrument der EU-Jugendstrategie

Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Diskussionspapier als PDF


Bereits mit der Initiierung der EU-Jugendstrategie im Jahr 2009 schlug die Europäische Kommission den Einsatz von jugendpolitischen Indikatoren vor, um den Erfolg der Strategie besser abschätzen zu können und um einen schnellen Überblick über die Lebenslagen junger Menschen in der EU zu ermöglichen. Dabei wies die Kommission ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Weiterentwicklung und Ergänzung bislang vorliegender Indikatoren hin. 

Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ müssen Indikatoren grundsätzlich adäquat im Spannungsfeld zwischen Transparenz und Kontrolle eingeordnet werden: Einerseits können sie zur vergleichenden Beschreibung von Lebenslagen und im Sinne öffentlicher Transparenz über die Wirkungen (politischen) Handelns genutzt werden, andererseits besteht die Gefahr des missbräuchlichen Einsatzes willkürlich gesetzter Indikatoren als politische Kontroll- und Steuerungsinstrumente. 

Mit diesem Diskussionspapier will die AGJ eine entsprechende Einordnung dieser herausforderungsvollen, aber notwendigen Instrumente vornehmen und die vorgeschlagenen Indikatoren einer kritischen Würdigung unterziehen. Hierbei ist insbesondere die Frage zu klären, ob die bislang gewählten Indikatoren tatsächlich geeignet sind, die Jugendstrategie der EU erkennbarer und den Umsetzungsstand transparenter zu machen.

1. Der Weg zu einer indikatorengestützten EU-Jugendstrategie

Mit der Entschließung des Rates vom 27. November 2009 über einen erneuerten Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa (2010-2018)[1] hat die Europäische Union eine Strategie beschlossen, die das Ziel verfolgt, die jugendpolitische Zusammenarbeit effizienter und wirksamer zu gestalten. Diese EU-Jugendstrategie konzentriert sich auf die acht Aktionsfelder „allgemeine und berufliche Bildung“, „Beschäftigung und Unternehmergeist“, „Gesundheit und Wohlbefinden“, „Teilhabe“, „Freiwilligentätigkeit“, „soziale Eingliederung“, „Jugend in der Welt“ sowie „Kreativität und Kultur“ und formuliert inhaltliche Ansprüche sowie einen zeitlichen Umsetzungsrahmen.

Bereits im jugendpolitischen Weißbuch aus dem Jahr 2001 wurde mehr Wissen über die Jugend Europas als ein zentrales Ziel definiert. Die EU-Jugendstrategie knüpft daran an, indem dort festgestellt wird, dass Jugendpolitik in Europa „auf gesicherten Erkenntnissen beruhen und zielgerichtet und konkret“ sein soll[2]. Als Instrumente hierfür sollen Indikatoren dienen, mit denen es möglich sein soll, den Prozess der Umsetzung in Zusammenarbeit zwischen EU-Kommission und Mitgliedstaaten zu begleiten, Entwicklungen zu analysieren und voranzubringen. Neben der Verwendung bereits vorhandener Indikatoren sollen auch Vorschläge für neue Indikatoren geprüft werden[3]. 

Auch wenn das entstehende Indikatorentableau laut EU-Kommission vorrangig zum Zwecke der Information und weniger für eine politische Steuerung eingesetzt werden soll, ist die angestrebte Entwicklung von Indikatoren im Jugendbereich doch Teil einer erneuerten Politikstrategie der Kommission. Diese soll eine Politik ersetzen, die im Wesentlichen auf Einschätzungen und Umfragen beruht. Ziel ist „eine Herangehensweise, die Personen helfen soll, ihre politischen Entscheidungen auf der Basis möglichst umfassender und objektiver Tatbestände zu treffen“[4]


Basierend auf der Entschließung zur erneuerten EU-Jugendstrategie hat die EU-Kommission im Januar 2010 eine ad-hoc-Arbeitsgruppe aus 60 Expertinnen und Experten aus 25 Mitgliedstaaten eingesetzt, der zwei Aufträge gegeben wurden:
a) eine Übersicht von jugendrelevanten Indikatoren in den Bereichen allgemeine und berufliche Bildung, Beschäftigung und Unternehmergeist, Teilhabe sowie Gesundheit und Wohlbefinden zu erarbeiten sowie
b) eine Übersicht über mögliche neue Indikatoren in zentralen jugendpolitischen Bereichen wie Beteiligung, Freiwilligendienst, Jugend in der Welt, Kreativität und Kultur sowie für junge Menschen zu entwickeln, die nicht in der Schule, Beschäftigung oder Ausbildung sind („NEET“)[5].
Diese Indikatoren liegen seit dem März 2011 als Arbeitspapier der Europäischen Kommission vor.[6] 


2. Indikatoren in der EU-Jugendpolitik – Versuch einer Einordnung

Der Einsatz von statistischen Daten oder Indikatoren ist in vielen Politikfeldern selbstverständlich. Auch Indikatoren, die Lebenslagen junger Menschen abbilden, gibt es bereits (zum Beispiel von der OECD oder im Kontext der Armuts- und Reichtumsberichterstattung der deutschen Bundesregierung). Die Nutzung von Indikatoren oder Kennzahlen zur Steuerung von politischen Prozessen ist ein sinnvolles Verfahren, wenn die Grenzen dieses Verfahrens beachtet werden. 

In der Jugendpolitik lassen sich „harte“ Indikatoren wie die Quote der Jugendarbeitslosigkeit, der Anteil junger Menschen an gesellschaftlichen Organisationen oder der Grad ihrer Beteiligung an Wahlen oder anderen Partizipationsprozessen messen. Derartige Ergebnisse ermöglichen mittelbar auch Rückschlüsse auf die Lebensumstände junger Menschen, insbesondere dann, wenn es ein sorgfältig definiertes und klar formuliertes Ziel gibt, dessen Erreichen mit diesen Indikatoren überprüft werden soll. 

Weniger eindeutig stellt sich die Sachlage dar, wenn mittelbare Wirkungen von Entwicklungen, politischen Entscheidungen oder Programmen „gemessen“ werden sollen. Bei dem EU-Programm „Jugend in Aktion“ gibt es daher seit einiger Zeit neben der Ermittlung der reinen Beteiligungszahlen junger Menschen an diesem Programm auch Befragungen zu qualitativen Aspekten. 

Grundlage für das Funktionieren von Indikatoren ist die Festlegung von (politisch) gesetzten Zielwerten oder -korridoren, damit ermittelte Ergebniswerte bezogen auf das formulierte Ziel als „gut“, „weniger gut“ oder „nicht gut“ angesehen werden können. 

Beispiele für solche angestrebten Zielwerte sind die Senkung der Schulabbrecherquote in der EU auf zehn Prozent[7] und die Steigerung der Mobilität junger Menschen in der EU8. Ähnliche Zielwertsetzungen lassen sich bei der Jugendarbeitslosigkeit oder dem Maß der Beteiligung junger Menschen an gesellschaftlichen und demokratischen Prozessen vorstellen. Dies setzt aber einen breiten gesellschaftlichen Dialog voraus und kann nicht politisch von der Europäischen Kommission „gesetzt“ werden. 

Die Abstimmung von Zielwerten oder eines Zielkorridors ist zwar wichtig, um Wertungen im oben genannten Sinn vorzunehmen. Eine zu starke Fokussierung auf Zielwerte und auf das Erreichen einer bestimmten Benchmark jedoch würde den Erkenntnishorizont und damit die Grundlage für evidenzbasierte Politik einschränken, denn Kennzahlen und Indikatoren hätten dann im politischen Raum „nur noch“ eine Steuerungsfunktion. Die Zielsetzungen sollten  vielmehr dazu dienen, soziale Wirklichkeit transparent werden zu lassen.[9] Evidenzbasierte Politik sollte an dieser sozialen Wirklichkeit ansetzen und sich nicht ausschließlich an festgesetzten Benchmarks oder Zielkorridoren orientieren. 

Auch auf die Gefahren einer Instrumentalisierung der Ergebnisse und der Wirklichkeitsausblendung muss hingewiesen werden. Kennzahlen und Indikatoren „erfassen“ die soziale Wirklichkeit immer in komprimierter und standardisierter Form.[10] Dies gilt umso mehr für die europäische vergleichende Forschung, die häufig mit einer schwierigen Datenlage und extrem divergierenden Lebenslagen umzugehen hat.      


3. Anforderungen an Indikatoren in der EU-Jugendpolitik

Die von der Arbeitsgruppe der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Indikatoren beziehen sich zum einen auf den Bereich „Jugend“ im Gesamtgefüge der Bevölkerung und zum anderen auf Politikfelder, in denen geeignete Indikatoren vermutet werden (wie Bildung und Ausbildung, Beschäftigung und Unternehmergeist oder Gesundheit und Wohlbefinden). Für die Politikbereiche, in denen es noch keine geeigneten Indikatoren für die EU-Ebene gibt (Kultur und Kreativität, Beteiligung, Freiwilligenaktivitäten und Jugend in der Welt), liegen ebenfalls Vorschläge vor. Dabei ist festzustellen, dass ein Teil dieser Indikatoren aufgrund ihrer Herkunft aus anderen Politikbereichen nicht mit einer jugendpolitischen Perspektive entwickelt wurden. Das muss bei der Bewertung der Aussagen berücksichtigt werden.

Aus Sicht der AGJ sind die vorgeschlagenen Indikatoren grundsätzlich geeignet, um wenigstens Teile der Lebenswelt junger Menschen in Europa abbilden und politische Schlüsse daraus ziehen zu können. Gleichzeitig sind die Indikatoren eher an Bedürftigkeitsthemen orientiert als an den vielfältigen Aufgaben, die junge Menschen auf dem Weg zum Erwachsenwerden zu bewältigen haben. Die Indikatoren entsprechen damit vor allem einer defizitorientierten Perspektive. Dadurch werden sie ein eingeschränktes Bild der Jugend in Europa liefern. 

Problematisch, aber auf Grund der verschiedenen herangezogenen Quellen derzeit wohl nicht veränderbar, sind die unterschiedlichen Alterskohorten, die erfasst werden. Das erschwert eine Vergleichbarkeit und mindert damit den Wert der getroffenen Aussagen. So findet sich zum Beispiel bei den Bevölkerungsdaten eine Gruppeneinteilung in 15 bis 19 Jahre sowie 20 bis 24 Jahre, während in anderen Bereichen (Gesundheit, Armutsrisiko) eine Altersgruppierung von 18 bis 24 Jahren zugrunde gelegt wird. Beim Thema Alkoholkonsum wiederum werden Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr und bei einigen Kennzahlen im Bereich der Kinderarmut junge Menschen unter 18 Jahren erfasst. Diese Unterschiedlichkeit ist beim Vergleich der Kennzahlen der verschiedenen Bereiche zu berücksichtigen und sollte längerfristig abgebaut werden. 

Darüber hinaus sind aus Sicht der AGJ einige Ergänzungen des Indikatorentableaus wünschenswert, um ein komplexeres Bild der Jugend widerzugeben:

Kontextuelle Indikatoren

In dieser Indikatorengruppe wird mittels Kennzahlen eine Einordnung des Anteils junger Menschen (15 bis 19 Jahre, 20 bis 24 Jahre, 25 bis 29 Jahre) an der Gesamtbevölkerung vorgenommen. Hier fehlt der Anteil der Kinder (0 bis 14 Jahre) an der Gesamtbevölkerung. Dieser Indikator wäre aber wichtig, gerade um ein Bild davon zu erhalten, wie sich der Anteil der Jugendlichen in der EU in den nächsten zehn Jahren entwickeln wird. Im Europäischen Jugendbericht gibt es dazu bereits entsprechende Ausführungen.[11]
Eine weitere Kennzahl im Bereich der „kontextuellen Indikatoren“ soll das durchschnittliche Alter erfassen, in dem junge Menschen den elterlichen Haushalt verlassen. Dies gilt zwar als ein wichtiger Hinweis auf Verselbständigungsprozesse vor dem Hintergrund des Erwachsenwerdens, ein solcher Indikator reicht jedoch für die Darstellung des Grades der Autonomie junger Menschen bei weitem nicht aus. 

Ein zusätzlicher Indikator, der die aktuelle Wohnsituation und das Einkommen koppelt, könnte über den Zeitpunkt des Auszugs hinaus zumindest den Grad an finanzieller Autonomie erfassen. Es ist ein Unterschied, ob ein junger Mensch in einer eigenen Wohnung wohnt und selbst für seine Lebenshaltungskosten aufkommt oder ob diese von seinen Eltern vollständig übernommen oder durch soziale Transferleistungen aufgefangen werden. Die Erreichung der finanziellen Unabhängigkeit stellt eine der Herausforderungen der Lebensphase Jugend dar. 

Gesundheit und Wohlbefinden

Im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden werden Kennzahlen über den Anteil der regelmäßigen Raucherinnen und Raucher, über Übergewicht, Alkoholkonsum, Selbstmorde und psychische Belastungen sowie über Verkehrsunfälle erfasst. Das zeichnet jedoch ein unvollständiges Bild von der gesundheitlichen Situation junger Menschen. Für ein umfassenderes Bild wären etwa Indikatoren zu Sport und Ernährung sinnvoll. Positive Entwicklungen im Sinne eines veränderten Gesundheitsbewusstseins könnten somit erfasst werden. 
Darüber hinaus ist die Definition von psychischen Belastungen nicht eindeutig und birgt damit die Gefahr mangelnder Vergleichbarkeit. Es fehlt der Hinweis, worauf sich die Definition stützt.[12] 

Soziale Inklusion

Hinsichtlich sozialer Inklusion schlägt die EU folgende Indikatoren vor, die vor allem materielle Gründe für fehlende Inklusion abbilden und eindeutig defizitorientiert sind: 

  • Armutsrisikoquote
  • schwerwiegende materielle Entbehrungen
  • Leben in Haushalten mit geringer Beschäftigungsintensität
  • ungedeckte medizinische Bedarfe
  • junge Menschen außerhalb von Beschäftigung, Bildung oder Ausbildung. 

Aus Sicht der AGJ fehlen in dieser Indikatorengruppe Kennzahlen, die verdeutlichen, in welchem Ausmaß junge Menschen in das soziale Gemeinwesen integriert sind. Dabei stellt zum Beispiel der von der EU separat erfasste Zugang zum Internet im eigenen Haushalt einen möglichen Indikator dar. Der Zugang zu modernen Kommunikationsmedien bietet nicht nur vielfältige Möglichkeiten zur Wissensaneignung, sondern er eröffnet soziale Teilhabechancen. Dabei sollte neben dem Zugang zum Internet im eigenen Haushalt auch die Nutzung dieses Zugangs erfasst werden. 

Auch die soziale Mobilität[13] ist ein bedeutender Indikator für soziale Inklusion. So hängen Bildungserfolg und soziale Herkunft in vielen Ländern der EU zusammen. Ein entsprechender Indikator ließe sowohl soziale Benachteiligungen als auch Chancen erkennen.[14] Gerade für das Ziel der Chancengerechtigkeit und eine entsprechende evidenzbasierte Politik wäre dies wichtig. 

Auch der Faktor Migration wurde völlig außer Acht gelassen. Beispielsweise waren Jugendliche mit Migrationserfahrung lange Zeit in der internationalen Jugendarbeit unterrepräsentiert und seit einigen Jahren wird im Sinne von Chancengerechtigkeit versucht, dies zu ändern. Eine Aufschlüsselung nach Migrationserfahrung könnte Aufschluss über die Teilhabe junger Menschen mit Migrationshintergrund geben – zum Beispiel in Bezug auf Freiwilligenarbeit oder Bildung. Es bräuchte dementsprechend einen Indikator. 

Bildung und Ausbildung

Aus Sicht der Europäischen Union ist die Förderung der Mobilität junger Menschen zu Lernzwecken ein zentrales Anliegen. In den vorliegenden Indikatoren wird jedoch nur nach Mobilität im Rahmen eines freiwilligen (ehrenamtlichen) Engagements gefragt. Mobilität bedeutet aber mehr.[15] Sie betrifft unter anderem die Bereitschaft beziehungsweise die Wahrnehmung von Möglichkeiten, zu Lern- und Arbeitszwecken in ein anderes Land, eine andere Stadt oder Region zu ziehen. Vor diesem Hintergrund wäre in der Indikatorengruppe „Bildung und Ausbildung“ ein Indikator zu Auslandsaufenthalten zu formalen und non-formalen Lernzwecken wünschenswert. 
Zum anderen setzt Mobilität auch die Möglichkeit voraus, mobil zu sein. Dies zielt auf den Zugang zu Verkehrsmitteln ab und somit auf die Unabhängigkeit der Jugendlichen. 

In dem Arbeitspapier der Europäischen Kommission zu jugendpolitischen Indikatoren wird auf die Bedeutung non-formaler Bildung und die Schwierigkeit, diese mit Indikatoren zu erfassen, hingewiesen. Bisher wird dieser Bereich nur mittels der Selbstaussage junger Menschen in Bezug auf ihr politisches Engagement erfasst. 

Eine weitere Möglichkeit wäre es, den Ressourceneinsatz für Kinder- und Jugendhilfe und damit für Akteure, die Räume und Gelegenheiten für non-formale Bildung und Partizipation schaffen, zu verdeutlichen. Die deutsche amtliche Statistik liefert differenzierte Daten zu Einrichtungen, tätigen Personen sowie finanziellen Aufwendungen der öffentlichen Gebietskörper-schaften. Inwiefern vergleichbare Daten auf europäischer Ebene vorliegen, müsste geprüft werden.


Fazit

Insgesamt sind die erarbeiteten Indikatoren aus Sicht der AGJ nicht mehr als ein erster Einstieg in eine datengestützte Politikgestaltung der Europäischen Union im Jugendbereich. Dennoch ergibt sich auf diese Weise die Möglichkeit, längerfristig vergleichbare Daten aus allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu erhalten. Der erste EU-Jugendbericht hat deutlich gezeigt, dass es bislang an der Verfügbarkeit von Daten zur Erfassung der Lebenslagen junger Menschen in Europa mangelt.[16] Wenn der zweite Europäische Jugendbericht künftig eine den deutschen Kinder- und Jugendberichten vergleichbare Wirkung auf politische und fachliche Entwicklungen und Entscheidungen haben soll, ist die hier vorgeschlagene Qualifizierung und Erweiterung der jugendpolitischen Indikatoren unverzichtbar.

(Noch) nicht erfasst werden mit diesen Indikatoren die Wirkungen von Jugendpolitik in Europa. Hier wäre es wünschenswert, in stärkerem Maße nicht nur auf statistische Daten zurückzugreifen, sondern in einem Zeitraum von bis zu vier Jahren die ohnehin vorhandenen Eurobarometer-Befragungen stärker auf Fragen zu fokussieren, die im Zusammenhang mit der Steuerung der jugendpolitischen Initiativen und Strategien der Europäischen Union stehen.

Für eine indikatorengestützte Politik ist die Auswertung und inhaltliche Interpretation der erhobenen Daten zentral. Die damit verbundenen komparativen Analysen erfordern die Beachtung der jeweiligen Kontexte. Aus diesem Grund wäre eine Plattform zur Auswertung hilfreich, die aus Expertinnen und Experten der verschiedenen Mitgliedstaaten besteht, so dass Auswertungsergebnisse in einem gemeinsam Dialog interpretiert beziehungsweise rückgekoppelt werden können. 

Wenn jugendpolitische Indikatoren dem Anspruch gerecht werden sollen, die Jugendstrategie der EU erkennbarer und ihren Umsetzungsstand transparenter zu machen, müssen aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ die zugrunde liegenden Daten europaweit erhoben, verfügbar und vergleichbar sein. Hierzu gehört insbesondere eine stärkere Anpassung der erfassten und dargestellten Alterskohorten. 

Schließlich mangelt es derzeit noch an der Festlegung von politisch wünschenswerten und realistischen Zielwerten. Allein die Darstellung des Ist-Zustandes (zum Beispiel im Bereich der Partizipation) ist zur politischen Steuerung nicht ausreichend. Es bedarf daher einer breiten Diskussion darüber, welche Zielwerte oder -korridore aus welchem politischen Grund anzustreben sind. Nur dann lassen sich die erhobenen Werte einordnen und in transparente und abgestimmte politische Maßnahmen umsetzen. 

Der Definition von Zielwerten als Grundlage politischer Steuerungs-entscheidungen muss grundsätzlich ein breiter Dialog vorausgehen. Im Hinblick auf die politikorientierte Nutzung von Indikatoren im Jugendbereich und auf die Definition weiterer Indikatoren zur Messung der Wirkung von jugendpolitischen Maßnahmen und Programmen sollten sich daran alle relevanten Akteure der Kinder- und Jugendhilfe auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene beteiligen.

Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 24./25. November 2011 

 

[1] Amtsblatt der Europäischen Union, Reihe C vom 19.12.2009, Dokument Nr. (2009/C 311/01)
[2] Ebd., S. 311/2
[3] Ebd., S. 311/3, Buchstabe e)
[4] EU-Commission. Education and Culture DG: Assessing practices for using indicators in the fields related to youth. Final report, C4431/2011, S. 7
[5] NEET = Not in Education, Employment or Training
[6] Vgl. Commission Staff Working Document on EU indicators in the field of youth, SEC(2011)401final
(http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/11/st08/st08320.en11.pdf)
Zudem gibt es eine Studie über die Anwendung und Beurteilung der Anwendung von Indikatoren im Jugendbereich in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Vgl. ECORYS (2011): Assessing practices for using indicators in fields related to youth. Final Report for the European Commission DG Education and Culture). 

[7] Die Senkung der Schulabbrecherquote von der derzeitigen durchschnittlichen EU-Quote von 14,4 Prozent auf unter zehn Prozent ist ein Kernziel der Strategie „Europa 2020“ und soll bis zum Ende des Jahrzehnts erreicht werden.  
[8] So enthalten die Schlussfolgerungen des Rates zur Mobilität junger Menschen (2008) die Zielsetzung, Mobilität von der Ausnahme zur Regel zu machen und Mobilitätsprogramme entsprechend auszubauen. Im Hinblick auf die Erarbeitung des Ratspapieres hatte eine hochrangige Expertengruppe hierfür konkrete Zieldaten empfohlen: In 2012 sollten Mobilitätsprogramme von 900.000 jungen Menschen (15 Prozent), in 2015 von 1,8 Millionen jungen Menschen (30 Prozent) und in 2020 von 2,9 Millionen jungen Menschen (50 Prozent) genutzt werden. Zum Vergleich: Bisher nehmen an allen Mobilitätsprogrammen der EU etwa 300.000 junge Menschen teil. In der Kommissionsmitteilung „Jugend in Bewegung“ (2010) findet sich sogar die Zielsetzung, Möglichkeiten im Rahmen der Mobilität zu Lernzwecken bis zum Jahr 2020 allen jungen Menschen in Europa zugänglich zu machen. Für Studierende will die EU-Kommission laut einem Arbeitsdokument zur Entwicklung von Benchmarks (2011) bis 2020 eine Mobilitätsquote von 20 Prozent erreichen.  
[9] Vgl. Commission Staff Working Document on EU indicators in the field of youth, SEC(2011) 401 final, S. 3
[10] Vgl. Pothmann, Jens (2004): Kennzahlen in der Kinder- und Jugendhilfe. Zur Bedeutung und Verwendung eines Messinstrumentes für Soziale Dienste, Dortmund (https://eldorado.uni-dortmund.de/handle/2003/2910)
[11] Vgl. Commission Staff Working Document “Youth – Investing and Empowering. EU Youth Report”, April 2009, S. 10
[12] Im EU-Jugendreport wird an dieser Stelle auf ein Papier der Weltgesundheitsorganisation WHO von 2008 als Definitionsgrundlage verwiesen (Consensus Paper "Mental Health in Youth and Education").
[13 Unter „sozialer Mobilität“ versteht man die Bewegung von Einzelpersonen und/oder Gruppen zwischen unterschiedlichen sozio-ökonomischen Positionen. Im engeren, hier gemeinten Sinne meint soziale Mobilität den sozialen Aufstieg oder Abstieg, der sich von einer Generation zur nächsten vollzieht. 
[14] Für den Bericht von Eurostat „Youth in Europe. A statistical portrait“ (2009) wurde die Verteilung der 25- bis 34-Jährigen, deren Eltern ein niedriges Bildungsniveau aufweisen, auf verschiedene Bildungsniveaus erfasst. Allerdings waren unter anderem für Deutschland keine Daten zugänglich. 
[15} Vgl. auch: Für ein Recht auf Grenzüberschreitung. Beitrag der Kinder- und Jugendhilfe zur Förderung von Mobilität als Schlüssel für Chancen und Teilhabe- Diskussionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ (29./30. September 2010)
[16} Vgl. Mehr Wissen über die Jugend: Erster Europäischer Jugendbericht. Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ (1./2. Juli 2009)