Anforderungen an die hochschulische Qualifizierung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe

Anforderungen an die hochschulische Qualifizierung von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe

Position der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

Positionspapier als PDF


Bis spätestens zum Jahr 2010 sollen die international anerkannten Hochschulgrade Bachelor (BA) und Master (MA) flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden. Das neue gestufte akademische Qualifizierungssystem wird die herkömmlichen Diplom- und Magisterstudiengänge ersetzen und soll die Schaffung eines durchlässigen “Europäischen Hochschulraums“ befördern. Europäische und nationale Rahmenbedingungen sehen vor, dass im BA-Studium grundlegende fachliche und methodische Kompetenzen sowie ein Überblick über die Zusammenhänge der gewählten Studienrichtung erworben werden. Auf ein erfolgreich absolviertes Bachelor-Studium, mit einem BA als erstem berufsqualifizierenden Abschluss, kann ein Master-Studium folgen. Das MA-Studium dient entweder einer tiefer gehenden Spezialisierung innerhalb der gewählten Studienrichtung – konsekutiver Studiengang – oder einer interdisziplinären Weiterqualifikation. 

Auch für die akademische Qualifizierung für die Handlungsfelder der Sozialen Arbeit und insbesondere für die der Kinder- und Jugendhilfe haben die gegenwärtigen Veränderungen einschneidende Konsequenzen. Die sozialpädagogische Praxislandschaft sieht sich zukünftig mit Absolventinnen und Absolventen konfrontiert, die nicht mehr auf die bislang bekannten Abschlüsse hinweisen können. Das Profil der gegenwärtig entstehenden Studiengangsstruktur ist allerdings noch weitgehend undeutlich. Modularisierte Bachelor- und Master-Studiengänge scheinen zwar einerseits innovative Formen der fach- und hochschulübergreifenden Kooperation zu ermöglichen sowie die Herausbildung von neuen Studienformen nahe zu legen. Andererseits scheinen die neuen Möglichkeiten jedoch auch einen Prozess zu unterstützen, der neue Studiengänge entstehen lässt, deren Profilbildung aktuellen und häufig vermeintlichen Markterfordernissen folgt. Fachliche, disziplinäre und gesellschafts-politische Erfordernisse für die Soziale Arbeit drohen dabei in den Hintergrund zu geraten.


Der sich dabei zeigende zunehmende Diversifizierungs- und Segregationsprozess der hochschulischen Fachkultur birgt für die Soziale Arbeit und insbesondere für die Kinder- und Jugendhilfe die Gefahr, dass sie ihre Kontur als ein im Kern einheitliches professionelles Handlungsfeld sukzessive verliert.

Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ plädiert nachdrücklich an die Universitäten und Fachhochschulen, das bisherige, für die Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe qualifizierende Studiengangsprofil fachlich nicht zu verengen. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ appelliert zudem an die Verantwortlichen der Hochschulen, sich zu verständigen und gemeinsam die Qualität der akademischen Qualifizierungswege für Fachkräfte der Sozialen Arbeit zu sichern, um das fachliche Niveau der Sozialen Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten und weiterzuentwickeln. Eine verstärkte, ja intensive Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen hochschulischen Qualifizierungsinstitutionen ist als Reaktion auf die sozial- und bildungspolitische Herausforderung dringend geboten.

Sowohl für die Fachkräfte als auch für die Kinder- und Jugendhilfe insgesamt hat die Reform der Qualifizierungslandschaft weitreichende Relevanz. Die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ richtet daher aus der Perspektive beruflicher Praxis und Fachlichkeit folgende Empfehlungen mit Nachdruck an alle, die für die Gestaltung und Umsetzung von BA- und MA-Studienprogrammen der Sozialen Arbeit verantwortlich zeichnen:

  • Die Kinder- und Jugendhilfe erfordert Fachkräfte, die auf ein breit angelegtes, fachlich einschlägiges Studium verweisen können. Nur so kann den Anforderungen, die sich durch ständig veränderte gesellschaftliche und professionelle Herausforderungen ergeben, fachlich entsprochen werden.
  • Formen der grundständigen hochschulischen Qualifizierung sollten, wie auch die Angebote der Fort- und Weiterbildung, der Idee des lebenslangen Lernens folgen. Eine Verzahnung von grundständigen und aufbauenden Qualifizierungen muss konzeptioneller Bestandteil der verschiedenen Studien- und Bildungsangebote sein.
  • Auf ein Themenfeld oder besondere methodische Zugangsformen eng geschnittene Spezialisierungen und Profilbildungen sollten hoch-schulischen Weiterbildungs- und Spezialstudiengängen sowie der außerhochschulischen Fort- und Weiterbildung vorbehalten bleiben.
  • Der durch den europäischen Prozess angestrebten Kompatibilität von Studienleistungen und der damit einhergehenden zeitlichen und räumlichen Flexibilität individueller Studiengestaltung ist Rechnung zu tragen. Nur so können den Lebensrealitäten von Frauen und Männern besser entsprochen, die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Qualifizierung erfolgreicher ermöglicht und qualifizierten internationalen Erfahrungen Raum gegeben werden.
  • Aus der Perspektive der Träger und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe ist eine Verknüpfung von Theorie und Praxis in der hochschulischen Qualifizierung der Fachkräfte für die Handlungsfelder der Kinder- und Jugendhilfe von großer Bedeutung. Die intensive Beobachtung beruflicher Handlungspraxen und die Auseinandersetzung mit beruflichem Erfahrungswissen ist den Studierenden in einem ausreichenden Umfang während ihres Studiums zu ermöglichen. 

 

Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Bielefeld, 21. Juni 2006