Fachlichkeit hat ihren Preis! Beschäftigungsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe – Prekarisierungstendenzen in einem Wachstumsfeld

Fachlichkeit hat ihren Preis! 
Beschäftigungsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe – Prekarisierungstendenzen in einem Wachstumsfeld

Positionspapier der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ

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1. Einleitung 

Anders als dies noch die Zahlen der Kinder- und Jugendhilfestatistik aus dem Jahre 2006 nahelegten, ist es in der Kinder- und Jugendhilfe in den letzten Jahren nicht zu einem Rückgang des Personals gekommen. Nahezu in allen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe ist ein Ausbau des Personals zu verzeichnen. Dieser schlägt sich jedoch nicht deckungsgleich in der Schaffung von Vollzeitstellen nieder.[1] Gleichzeitig mehren sich die Anzeichen dafür, dass der Zuwachs an Beschäftigten nicht mit entsprechenden qualitativen Bedingungen und Strukturen der Arbeitsverhältnisse einhergeht.

Der Anstieg unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung, die zunehmende Befristung der Arbeitsvertragsdauer, die Zunahme von Leih- und Zeitarbeit, eine wachsende Anzahl von geringfügig Beschäftigten sowie eine steigende Arbeitsverdichtung sind  zu beobachtende Entwicklungen, welche die Beschäftigungsbedingungen in der Kinder- und Jugendhilfe zunehmend prägen. Solche Bedingungen erschweren existenzsichernde und längerfristig planbare  Beschäftigungssituationen und sind für das Personal mit erheblichen Belastungen der Arbeitssituation und Verunsicherungen in Bezug auf eine verlässliche Lebensplanung verbunden. Zudem mehren sich deutliche Anzeichen, dass aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels eine Absenkung von Qualitätsstandards stattfindet, indem geringer qualifizierte Fachkräfte eingestellt werden, was wiederum zu einem Qualitätsverlust in der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt führen kann. 

Der „Arbeitsmarktmotor“ Kinder- und Jugendhilfe steht damit zugleich für die Zunahme unsicherer und atypischer Beschäftigungsverhältnisse und somit für zunehmende Abweichungen von so genannten Normalarbeitsverhältnissen, wie sie üblicherweise für männliche Arbeitnehmer in Form von unbefristeten Vollzeitstellen mit arbeitsrechtlichen, tariflichen und betrieblichen Sicherungen angenommen wurden.         

Vor diesem Hintergrund setzt sich die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ mit der Personal- und Beschäftigungsstruktur in der Kinder- und Jugendhilfe auseinander, um mögliche Prekarisierungstendenzen kennzeichnen und die daraus folgenden Konsequenzen für die Sicherstellung von Fachlichkeit und Qualität der Kinder- und Jugendhilfe benennen zu können.                


2. Beschäftigungsstruktur in der Kinder- und Jugendhilfe

In der gesamten Kinder- und Jugendhilfe hat von 2006/07 bis 2010/11 eine Personalexpansion     stattgefunden. Erhebliche Zuwächse sind dabei insbesondere bei den freien Trägern zu verzeichnen (+ 31,6 Prozent). Teilzeitarbeit gilt als Normalfall, nur noch 43 Prozent der Stellen sind Vollzeitstellen, was insbesondere bei den jüngeren Fachkräften eher den Arbeitsmarktbedingungen als dem Wunsch nach einem Beschäftigungsverhältnis in Teilzeit entspricht. 

Der demographische Wandel spiegelt sich auch in der Personalstruktur der Kinder- und Jugendhilfe wider, in der deutlich mehr ältere Fachkräfte beschäftigt sind. Folglich gibt es in den nächsten Jahren zusätzlich zum Stellenausbau einen hohen Ergänzungsbedarf. Deutlich mehr jüngere Fachkräfte finden eine Beschäftigung, wobei mit Ausnahme des Bereichs der Kindertagesbetreuung zunehmend akademisch ausgebildete Nachwuchsfach-kräfte eingestellt werden. Viele Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger finden sich im ASD wieder, wobei die hier angesiedelten Kinderschutz-aufgaben die Einstellung junger Fachkräfte ohne Begleitung und Anleitung durch erfahrene Kolleginnen und Kollegen problematisch erscheinen lässt. Handlungssicherheit und fachliche Kompetenz in diesem Handlungsfeld erfordern Qualifikation aus beruflicher Erfahrung und persönliche Eignung im Sinne von Rollenklarheit, Empathie und Belastbarkeit. Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger benötigen die Unterstützung der erfahrenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihrerseits „den frischen Wind“ zwar begrüßen, Einarbeitung und Begleitung aber in der Regel zusätzlich zum täglichen Arbeitspensum erledigen müssen, was als zusätzliche Belastung empfunden wird. Dies wird auch als Grund für die abnehmende Bereitschaft zur Anleitung von Praktikanten und Praktikantinnen genannt.

Der Anteil weiblicher Arbeitskräfte  wächst weiterhin – im Bereich der Kindertagesbetreuung liegt er derzeit bei fast 96 Prozent. Im Vergleich mit anderen weiblich geprägten Arbeitsmarktsegmenten ist das weit überdurchschnittlich. Das aber heißt, dass mögliche Prekarisierungs-tendenzen vor allem weibliche Beschäftigte betreffen.  

Hinzu kommt die alters- und arbeitsbelastungsbedingt steigende Zahl von Erkrankungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen. In der Folge entsteht oft kurzfristig und ungeplant Vertretungsbedarf, für den nur in Ausnahmefällen schnell auf einen Pool von Vertretungskräften zurückgegriffen werden kann. Mit dem Personalzuwachs ist zudem sowohl in den erzieherischen Hilfen als auch in den Jugendämtern keine Verbesserung der Fallzahlrelation einhergegangen. Stattdessen lässt sich eine Erhöhung der Fallzahlbelastung konstatieren, dies allerdings mit erheblichen Unterschieden zwischen den Ländern.[2]

Die Beschäftigtenstruktur hängt unter anderem von den Trägerstrukturen in der Kinder- und Jugendhilfe ab. Unterschiedliche Werteorientierungen beziehungsweise die unterschiedliche Dominanz von Marktkonzepten lassen differierende Prioritätensetzungen innerhalb von Organisationen vermuten. In der Zusammensetzung der Trägerstruktur der Kinder- und Jugendhilfe waren von Mitte der 1990er Jahre bis zur Mitte der 2000er Jahre Veränderungen erkennbar. Der Anteil verbandlich nicht gebundener Träger sowie privat-gewerblicher Träger ist in diesem Zeitraum angestiegen[3]. 

Die Daten des DJI-Projekts „Jugendhilfe und sozialer Wandel – Leistungen und Strukturen“ zeigen, dass der Anteil der Wohlfahrtsverbände, der regionalen Initiativen und der Vereine an den vom einzelnen Jugendamts-bezirk finanzierten beziehungsweise finanziell geförderten Trägern bei den Hilfen zur Erziehung ab-, der der kirchlichen und anderen Träger jedoch zunimmt. Diese Entwicklung muss allerdings keine Verschiebung von „Marktanteilen“ zwischen den Trägertypen in der gleichen Größenordnung markieren, weil der Umfang der Förderung einzelner Träger bei dieser Abfrage nicht berücksichtigt wurde. Die Entwicklung zeigt aber, dass sich die Zusammensetzung der Trägerlandschaft in den Jugendamtsbezirken verändert, die Jugendämter vermutlich vermehrt auf freiberufliche Fachkräfte zurückgreifen, da die Kategorie „Selbstständige“ sowohl die Zuordnung zu den privatgewerblichen Trägern als auch zu den anderen Trägern zulässt.

Die öffentlichen Träger ziehen sich als Anbieter von Jugendhilfeleistungen aus etlichen Handlungsfeldern zurück. Sie konzentrieren sich somit auf den nicht delegierbaren Anteil ihrer Aufgaben als Kinder- und Jugendhilfeträger. Diese Entwicklung entspricht unter anderem der Forderung nach einem schlanken Staat, der so wenig wie möglich Aufgaben an sich zieht, und kann als ein weiterer Schritt in Richtung Marktöffnung interpretiert werden. Insbesondere bei den ambulanten Hilfen zur Erziehung und der Kindertagesbetreuung kommt es zu einem Rückzug des öffentlichen Trägers, ebenso bei der Schulsozialarbeit, einigen Formen der stationären Hilfen zur Erziehung (betreute Wohngemeinschaften, Kurzzeitpflege) und auch bei spezifischen Beratungsangeboten (zum Beispiel Beratung für Jugendliche mit Migrationshintergrund). Dennoch lassen sich auch hier regionale und handlungsfeldspezifische Unterschiede feststellen, die einen entgegenge-setzten Trend in Richtung Rückgabe von Jugendhilfeleistungen an öffentliche Träger aufgrund fehlender Eigenmittel aufzeigen.

Die Veränderungen der Trägerstrukturen sowie der Finanzierungsformen weisen in eine Richtung, die im Hinblick auf den Umgang mit Personal eine Orientierung auf rein betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte wahrscheinlicher werden lässt. Es ist zu erwarten, dass noch mehr Personen befristet beschäftigt werden, dass es zu einer Verknappung der Personalkapazitäten kommt und eine Verdichtung der Arbeit sowie eine Ausweitung überfordernder Arbeitsbedingungen zu beobachten sein müsste. Die Arbeitsbelastung ihrerseits hängt wiederum sehr stark von der vorherrschenden Organisationskultur innerhalb eines Trägers ab. Erhebungen beim ASD[4] bestätigen die Annahme einer steigenden Arbeitsbelastung, obwohl in vielen Jugendämtern wieder ein Personalzuwachs zu verzeichnen ist. Dieser Personalzuwachs scheint aber offensichtlich nicht mit dem Umfang der zusätzlichen beziehungsweise vermehrten Aufgaben mithalten zu können. 

Bei kommunalen Entscheidungsinstanzen besteht durchaus die Vorstellung, erst eine Verknappung des Personals würde eine ernsthafte Aufgabenkritik anregen. Dass dieses Modell Wirkung zeigt, lässt sich in etlichen Regionen beobachten. Es gibt interne Diskussionen über das fachliche Selbstverständnis und damit verbunden über die Bearbeitungstiefe, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im ASD erreichen sollen. Es gibt interne Prioritätenlisten, auf denen festgehalten ist, welche Aufgaben prioritär und welche weniger prioritär, und damit bei anhaltender Unterausstattung im Prinzip gar nicht, erledigt werden. Ob solche Strategien tatsächlich dauerhaft zu Einsparungen führen, wird durchaus kritisch diskutiert, da Studien zu Hilfeverläufen zeigen, dass zu spätes oder unzureichendes Handeln der Kinder- und Jugendhilfe den Hilfebedarf letztlich steigern.[5]

Der Anteil der befristet Beschäftigten in den Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe ist bislang nicht systematisch erhoben worden, weswegen nur bedingt etwas über diese Entwicklung ausgesagt werden kann. 

Andererseits kommt Fuchs-Rechlin in ihren Analysen des Sozio-ökonomischen Panels zu dem Ergebnis, dass in allen Bereichen der Sozialen Arbeit der Anteil der befristet beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugenommen hat.[6] Auch eine regelmäßig durchgeführte Befragung bei stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe zeigt für dieses Arbeitsfeld eine kontinuierliche Zunahme des Anteils an befristet Beschäftigten.[7] Im Jahr 2009 hat bereits über die Hälfte der Einrichtungen der stationären Hilfen zur Erziehung Stellen, die befristet besetzt sind. Diese Befunde plausibilisieren die immer wieder berichteten Tendenzen, dass viele Träger nur noch befristet einstellen würden. Allerdings wäre angesichts des wieder steigenden Fachkräftebedarfs in den Hilfen zur Erziehung und des Fachkräftemangels auf dem gesamten Arbeitsmarkt eine Veränderung dieser Praxis auch im Trägerinteresse. 

Für die Handlungsfelder Hilfen zur Erziehung, Jugendarbeit sowie Ganztagsbetreuung an Schulen und in Horten konstatieren Bröring und Buschmann eine Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse in den letzten 15 bis 20 Jahren, auch wenn diese Zunahme nicht immer und nicht in allen drei Handlungsfeldern kontinuierlich verläuft.[8 ]

Der Anteil der Vollzeitstellen hat über die Jahre abgenommen, wohingegen der Anteil an Teilzeitstellen erheblich zugenommen hat. Ein Teil der Personen, die Teilzeit arbeiten, tun dies, weil es ihrem persönlichen Wunsch entspricht. Allerdings gibt es auch einen erheblichen Anteil unter den Teilzeitbeschäftigten, die nur deshalb Teilzeit arbeiten, weil keine Vollzeitstellen verfügbar sind. Dies führt angesichts der Eingruppierungen häufig dazu, dass das Einkommen nicht auskömmlich ist, was die Notwendigkeit, einen Nebenjob annehmen zu müssen, vergrößert. 

Die Bezahlung an Träger oder Selbstständige erfolgt im Rahmen von Vereinbarungen – bei ambulanten Maßnahmen meist als Fachleistungs-stunden, in Ausnahmen auch als Pauschalfinanzierung sowie verstärkt in Form von Werkverträgen. Je nach Finanzlage kommt es seitens der Jugendämter zu Kürzungen in Bezug auf Umfang und Vergütung der Leistungen.

3. Tarifstruktur 

Es gibt keine verlässlichen Daten, die Auskunft darüber geben können, ob in der Kinder- und Jugendhilfe insgesamt nach Tarif bezahlt wird. 
Erschwert wird die Datenerhebung auch dadurch, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Tarife für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kinder- und Jugendhilfe zur Anwendung kommen. Es sind dies natürlich der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD) und auch der TVöD – Sozial- und Erziehungsdienst (SuE). Teilweise gelten noch die alten Eingruppie-rungen nach Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) weiter. Bei kirchlichen Trägern finden häufig die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) beziehungsweise der Kirchliche Arbeitnehmerinnen Tarifvertrag (KAT) Anwendung. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Haustarifverträgen und Trägern, die nicht nach Tarif bezahlen, sondern mit denen das Gehalt frei vereinbart wird.

In der bundesweiten Erhebung des DJI bei Jugendzentren[9] wurde unter anderem auch danach gefragt, welche Ausbildung und welche Eingruppierung die Beschäftigten in den Jugendzentren haben. Bundesweit hat die Mehrheit der Beschäftigten in diesem Handlungsfeld ein Studium der Sozialen Arbeit absolviert. Im Durchschnitt repräsentieren zum Beispiel akademisch einschlägig ausgebildete Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mehr als die Hälfte des Personals in einem Jugendzentrum. Die Eingruppierungen zeichnen sich durch eine enorme Vielfalt aus – sie reichen von untertariflicher Bezahlung bis hin zu einer tarifgemäßen  Eingruppierung von Leitungskräften.  

Auch bei der Bezahlung der Fachkräfte mit einer Ausbildung als Erzieherin oder Erzieher und bei den Absolventinnen und Absolventen der Bachelorstudiengänge gibt es eine sehr große Spannweite hinsichtlich der tariflichen Eingruppierung. 

Überwiegend gruppieren die öffentlichen und freien Träger Fachkräfte nicht nach ihrem Ausbildungsabschluss, sondern nach den Tätigkeitsmerkmalen des Arbeitsplatzes ein. Das führt in der Konsequenz dazu,  dass Absolventinnen und Absolventen des Studienganges „Pädagogik der Frühen Kindheit“ in einer Kindertagesstätte wie eine Erzieherin oder ein Erzieher und dass eine Diplompädagogin beziehungsweise ein Diplompädagoge im ASD wie ein Sozialarbeiter oder eine Sozialarbeiterin entlohnt werden. Nur wenige Stellen werden explizit auch für Hochschulabsolventinnen und -absolventen ausgeschrieben, zum Beispiel im Bereich der Jugendhilfeplanung oder als Fachberater beziehungsweise Fachberaterinnen für Elementarpädagogik bei großen Trägern. Diese sind dann den Tätigkeitsmerkmalen entsprechend dotiert und attraktiv. 


4. Arbeitsbelastung

Zunehmende Arbeitsbelastung wird von den Akteurinnen und Akteuren in allen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe als ein vordringliches Problem benannt. Auch wenn die Arbeitsanforderungen und Rahmenbedingungen in den verschiedenen Feldern sehr unterschiedlich sind, so lassen sich doch einige gemeinsame Ursachen erkennen.

So steigen die Anforderungen nicht nur durch den Anstieg der Fallzahlen, sondern vor allem durch die Komplexität der Problemlagen und die Zunahme der Anforderungen vor allem beim Kinderschutz. Der strukturell in der Kinder- und Jugendhilfe angelegte Auftrag, Beratung und Unterstützung für ein gelingendes Aufwachsen sicherzustellen und gleichzeitig Garant für das staatliche Wächteramt zu sein, führt in der Praxis zu zunehmenden Widersprüchen und damit einhergehender Belastung. 

Vor dem Hintergrund der steigenden Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung aber auch der Herausforderungen im Kinderschutz sind die Anforderungen an standardisierte Verfahren und umfassende Auswertung und Dokumentation gestiegen. In der Praxis vor Ort wird dies einerseits als Absicherung und somit Entlastung verstanden, gleichzeitig verringern sich aber die individuellen Handlungsspielräume und der zeitliche Aufwand für die geforderte Aufbereitung und Dokumentation wächst. Auch dies wird zunehmend als belastend empfunden.

Während bundesweit die Zahl der in den Erziehungshilfen und in den Jugendämtern Tätigen in den letzten Jahren gestiegen ist, führen regionale Unterschiede zu deutlich unterschiedlichen Entwicklungen. Die finanziellen Probleme in den kommunalen Haushalten haben an einigen Orten dazu geführt, dass Stellen abgebaut werden oder die Neubesetzung freigewordener Stellen deutlich verzögert wird. Arbeitsverdichtung oder langfristige Vertretung durch die verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die Folge. 

Dies betrifft vor allem den öffentlichen Bereich. Bei einer Befragung zur sozialen Lage von Fachkräften der Sozialen Dienste in Berlin und Brandenburg im Jahr 2010 beklagten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter öffentlicher Träger insbesondere die personelle Unterbesetzung ihrer Einrichtungen (77,7 Prozent), den erheblichen Zeitdruck, dem sie ausgesetzt sind (85,6 Prozent), die häufiger resultierende Überlastung durch die Arbeitsanforderungen (62,7 Prozent) und einen Mangel an Umfang und Qualität von Supervisionsangeboten (65,8 Prozent). Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freier Träger hingegen problematisierten Sorgen wegen Auslastungsproblemen und daraus resultierender Einkommenseinbußen, ihre Entlassung gegen den eigenen Willen in den vergangenen Jahren (neun Prozent), häufigen Zeitdruck in der Arbeit (73 Prozent) und deutlich geringere Sicherheit ihres Arbeitsplatzes (52 Prozent).[10]

Während für den Bereich der Pflege schon Anfang der 1990er Jahre versucht wurde, die Belastungs- und Beanspruchungssituation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu bilanzieren und zu erklären, sind vergleichbare Bemühungen für den Bereich der Sozialen Arbeit weitgehend unterblieben. Zu umreißen bleibt also ein weites, noch weitgehend unbearbeitetes Forschungsfeld. 

Große Hoffnungen wurden verschiedentlich auf den Ertrag von Befragungen von Hochschulabsolventinnen und -absolventen gesetzt. Um diese Hoffnungen zu realisieren, müssten diese Untersuchungen allerdings erheblich verfeinert werden, erbringen sie doch derzeit wenig aussagekräftige Ergebnisse zu den Beschäftigungsbedingungen. Regelmäßig wird für die Soziale Arbeit ein sehr hohes Maß an Erwerbsintegration (>90 Prozent) bei hoher Bedeutung von befristeter (>50 Prozent) und Teilzeit-Beschäftigung (>50 Prozent) etwa ein bis zwei Jahre nach dem Übergang in die Praxis festgestellt, kaum aber gibt es sinnhaft deutbare Resultate zu Arbeitszufriedenheit oder gar Arbeitsbelastungen. Insofern müssten, um brauchbare Resultate in Bezug auf die hier diskutierten Bedingungen zu erhalten, die Erhebungsinstrumente ergänzt  werden. 


5. Reaktionen und Konsequenzen 

Züchner kommt in der Analyse der vorliegenden Daten zu dem Ergebnis, dass zwar Normalarbeitsverhältnisse in der Kinder- und Jugendhilfe seltener werden, aber auf der Basis der vorliegenden Statistiken eine Prekarisierung der Arbeitsbedingungen noch nicht nachweisbar sei.[11] Dies liegt auch daran, dass es kaum belastbare Daten zu konkreten Arbeitssituationen in der Kinder- und Jugendhilfe gibt. Zudem wurden bei seinen Analysen die Entwicklungen im Bereich Arbeitsbelastung sowie die Entwicklung des Krankenstandes nicht mit einbezogen. 
Von daher gilt es, im Rahmen einer Kinder- und Jugendhilfestatistik Anstrengungen zur Verbesserung der Datenlage sowohl auf quantitativer als auch qualitativer Ebene zu unternehmen und entsprechende Forschungs-arbeiten zu intensivieren. Vielfach muss ein grundlegendes Interesse an der Arbeitssituation in der Kinder- und Jugendhilfe und den damit einhergehenden Belastungen erst noch entwickelt und das Wissen darüber empirisch abgesichert werden.   

Angesichts der Vielfalt an Eingruppierungen und damit notwendigerweise auch an Aufgabenbeschreibungen in den einzelnen Handlungsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe erscheint es erforderlich, sich handlungsfeldspezifisch über fachliche Mindeststandards hinsichtlich der Qualifikation von Fachkräften in der Kinder- und Jugendhilfe und über Mindeststandards der jeweiligen Eingruppierungsmerkmale zu verständigen.

Die Auseinandersetzung mit Prekarisierungstendenzen in der Kinder- und Jugendhilfe gewinnt auch vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs und eines prognostizierten Fachkräftemangels an Bedeutung. In einer durch die AGJ in Auftrag gegebenen Expertise[12] ist unter anderem herausgestellt worden, dass eine Steigerung der Übergangsquote von der Ausbildung sozialpädagogischer Fachkräfte in die Kinder- und Jugendhilfe zwingend erforderlich ist. Zudem gilt es, im Interesse der Beschäftigten die Kinder- und Jugendhilfe als existenzsichernden Lebensarbeitsplatz zu gestalten. 

Erst wenn die Kinder- und Jugendhilfe als attraktiver Arbeitgeber und als zukunftsfähiger Arbeitsmarkt wahrgenommen wird und die hohen Ansprüche an ihre Fachlichkeit sich auch in entsprechenden Arbeitsplatzbedingungen widerspiegeln, kann sie im Wettbewerb um ausbildungs- und studierwillige junge Menschen und in Konkurrenz zu anderen Arbeitsmarktsegmenten auch perspektivisch ausreichende Personalressourcen gewinnen.  


Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe – AGJ
Berlin, 21./22. Juni 2012 

[1 ]KomDat, Juni 2011 (Heft 1+2); KomDat, März 2012 (Heft 1).  
[2] KomDat, März 2012 (Heft 1).  
[3] Pluto, L./Gragert, N./van Santen, E./Seckinger, M. (2007): Kinder- und Jugendhilfe im Wandel. Eine empirische Strukturanalyse, München.

[4] KomDat, März 2012 (Heft 1).  
[5[ Z. B. Bürger, U. (1998): Ambulante Erziehungshilfen und Heimerziehung. Empirische Befunde und Erfahrungen von Betroffenen mit ambulanten Hilfen vor einer Heimunterbringung. IGfH: Frankfurt am Main; Permien, H./Zink, G. (1998): Endstation Straße? Straßenkarrieren aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen, München.
[6] Fuchs-Rechlin, K. (2011): Wachstum mit Nebenwirkung, oder: Nebenwirkung Wachstum? Die Beschäftigungsbedingungen des Personals in der Kinder- und Jugendhilfe, in: Th. Rauschenbach, M. Schilling (Hrsg.): Kinder- und Jugendhilfereport 3, Weinheim u. München 2011, S. 54.
[7] Durch das DJI-Projekt „Jugendhilfe und sozialer Wandel – Leistungen und Strukturen“, www.dji.de/jhsw. 
[8] Bröring, M./Buschmann,  M. (2012): Atypische Beschäftigungsverhältnisse in ausgewählten Arbeitsfeldern der Kinder? und Jugendhilfe, Projekt des Forschungsverbundes DJI/TU Dortmund.
[9] Die Befragung der Jugendzentren wurde vom DJI-Projekt „„Jugendhilfe und sozialer Wandel – Leistungen und Strukturen“ finanziell gefördert vom BMFSFJ in 2011 durchgeführt. Der Auswertung liegen 1115 Jugendzentren zugrunde. Mehr Informationen unter www.dji.de/jhsw.
[10] Soziale Dienste Berlin-Brandenburg  e.V. (SDB) 2011: Abschlussbericht zur sozialen und beruflichen Lage von Fachkräften der Sozialen Dienste in Berlin und Brandenburg, Berlin.
[11] Züchner, I. (2011): Beschäftigungsstrukturen und -entwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe. Vortrag auf dem AGJ-Fachforum „Suche Nebenjob ab 19 Uhr...“, 14. DJHT, Stuttgart.
[12] Schilling M. (2011): Untersuchung zum Fachkräftebedarf in der Kinder- und Jugendhilfe bis zum Jahr 2025 für die AGJ zum 14. DJHT in Stuttgart. in: AGJ (Hg.): Was sollen sie können? Aktuelle Herausforderungen bei der Qualifizierung von Fachkräften für die Kinder- und Jugendhilfe, Berlin.